M 04.05 Ist DOOM schuld am Schulmassaker in Littleton?
 


Voller Entsetzen mussten wir in diesen Tagen die Nachricht aufnehmen, dass zwei 17-18jährige Schüler in Amerika ein Massaker mit Schusswaffen angerichtet haben. Unbarmherzig gingen sie durch die Räume der Schule und schossen auf alles, was sich bewegte. Eine fürchterliche Parallele wurde deutlich, ist doch genau diese Vorgehensweise oft auch die einzige Spielhandlung in den sogenannten Ego-Shootern wie z.B. DOOM und Quake. Als starker Kämpfer ist man mit verschiedenen Waffen ausgerüstet und muss sich in einem Labyrinth von Gängen seiner Haut wehren. Die Spielenden schießen oft schon prophylaktisch, um möglichst nicht getroffen zu werden.

Die folgenden Meldungen in der Presse schienen diese anfänglichen Ahnungen nur noch zu bestätigen: Beide Täter sahen sowohl Gewaltfilme wie "Natural Born Killers" oder "Jim Carroll" mit Filmliebling Leonardo DiCaprio und spielten auch Gewaltspiele wie "DOOM" oder "Quake". Natürlich sucht man bei solch irrational erscheinenden Taten nach Motiven. Und was scheint näher zu liegen, als einen direkten Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und derartigen Amokläufen zu sehen? Jugendschützer waren 1993 erstaunt, dass Spiele wie DOOM in den Staaten frei verkäuflich waren. DOOM und Quake dürfen in der Bundesrepublik nicht an Personen unter 18 Jahren verkauft werden, und der Handel darf für solche indizierte Titel nicht werben. Sie stehen auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften [0]. In Deutschland gibt es sowohl den gesetzlichen als auch einen freiwilligen präventiven Jugendschutz. Der gesetzliche Jugendschutz basiert auf dem "Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte" (GjS [1]). Hier ist festgelegt, dass Medien indiziert werden, wenn sie "sozialethisch desorientierend" wirken. Im Blickpunkt der BPjS, die nur auf Antrag der Jugendämter tätig wird, stehen frauenverachtende, rassistische, gewaltverherrlichende und NS-verherrlichende Medien.

Compterspiele verbieten?
Liegt die Schlussfolgerung nun noch näher, man müsse einfach derartige Computerspiele und den freien Verkauf von Waffen verbieten, und schon könne nichts mehr passieren?
Als Herd der Gewalterfahrung wird die Familie angesehen. Wie aggressiv und rüde wird im Straßenverkehr miteinander umgegangen? Wieviel Hass wird ausländischen Mitbürgern entgegengebracht? Was für ein Umgangston herrscht in der Familie? Hier lernen Kinder, dass Gewaltanwendung zum Alltag gehört und übertragen das Gelernte in ihren Lebensbereich. Entsprechend suchen sie sich Gleichgesinnte, mit denen sie einen entsprechenden Umgang hegen oder weiter einüben. Scherzhafte Rempeleien, Knuffe, Schläge oder Tritte gehören zu den (fast) rituellen Gebärden. Blitzschnell kann sich aus einer soeben noch spielerischen Situation das Geschehen wandeln: Wird ein "Treffer" subjektiv als zu stark wahrgenommen, entsteht sofort eine ernste und brutale Prügelei.(...)
Hier beginnt die Gewaltspirale zur Bewaffnung, denn den Unterlegenen kann der nächste Schritt zur Bewaffnung mit einem Messer, Schlagring, Schlagstock oder einer Gaspistole führen. Man muss sich deutlich machen, dass eine Bewaffnung immer aus der Angst heraus vorgenommen wird, in der Welt der Stärke zu unterliegen.
Wie konnten Jugendliche allerdings so tief verletzt und verängstigt werden, dass sie zu einer so schrecklichen Tat schreiten konnten? Das muss umso nachdenklicher machen, wenn man jetzt hört, dass sie die Tat lange vorbereitet hatten. Sie galten als ausgegrenzt, aber wer hat sie in diese Abseitsposition gerückt, dass sie einer Trenchcoat-Ideologie nachgingen? Und noch ein Vorurteil muss man zur Seite schieben, denn Gewalttaten gibt es nicht nur in Städten oder Slums; auch hier stammen die Täter aus einer beschaulichen Kleinstadt mit 35.000 Einwohnern. Trotz dieser eigentlich behüteten Atmosphäre muss man sie heute als sozial verwahrlost ansehen. Dafür wird aber wohl kaum jemand zur Verantwortung gezogen werden.

Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle
Ähnliche Schlussfolgerungen zieht auch Herr Dr. Gerstenberger, der Leiter der Unterhaltungsoftware Selbstkontrolle (USK[2]):
Gerade nach dem Massaker in der amerikanischen Schule stellt sich verstärkt die Frage, ob z.B. Ego-Shooter wie DOOM gewaltverherrlichend wirken und solche Straftaten hervorrufen. Stimmt das?
Gerstenberger: Wenn Jugendliche sich zu Mord und Selbstmord entschließen, dann scheitern sie in der wirklichen Welt, nicht in der Spielewelt. Mitleid wird im wirklichen Leben gelernt oder nicht. In Computerspielen kann es jedenfalls nicht erlernt werden, deshalb kann es dort aber auch nicht verlernt werden. (...)
Wie viele Computerspiele werden der USK zur Prüfung vorgelegt und welcher Anteil davon wird als "jugendgefährdend" eingestuft?
Gerstenberger: Über 4.060 Titel wurden seit 1994 geprüft. Demnach wurden ca. 90 % aller Spiele geprüft. Etwa 5% aller Titel erhielten durch die prüfenden Pädagogen, Soziologen, Journalisten ein "nicht geeignet unter 18 Jahren". Etwa 15% dieser 18er Titel wurden später durch behördlichen Jugendschutz auf Antrag indiziert und als "jugendgefährdend" eingestuft. Das Achtungszeichen der USK wurde insofern bestätigt. Zugleich wurde per Selbstkontrolle also häufiger auf Risiken des Mediums hingewiesen als durch die interessierte Öffentlichkeit.

Krieg und Gewalt sind Themen in Computerspielen, kann man solche Titel ernsthaft noch als Spiele verkaufen?
Gerstenberger: Computerspiele münden sowenig in Schulmassakern wie Jugendschutz den Kosovo-Krieg verhindern kann. Krieg und Gewalt sind auch Themen in Büchern, Theatern, im Film und im Fernsehen. Weil wir uns die eigene Welt dort vorspielen und zugleich unser Wissen über die Welt aus Medien beziehen. Man kann sich wünschen, Kindern und Jugendlichen mögen Krieg und Gewalt als Themen des Spiels erspart bleiben. Dann muss man sie aber von der Welt abschotten, die ihnen diese Themen ja auch aufdrängt. Im Moment können sie in Medien eher den Eindruck gewinnen, der wirkliche Krieg sei eine Art Computerspiel, nicht umgekehrt.

Es bleibt der Appell des (ehemaligen, d. A.) US-Präsidenten Clinton, dass Amerika aufwachen möge. Nach 15 Toten werden die Stimmen wieder lauter, nun endlich den freien Verkauf von Waffen einzuschränken oder zu verbieten. Was aber leistet eigentlich eine Gesellschaft gegen Ausgrenzung und Gewalterfahrung? Wird es nicht endlich Zeit für eine Friedenserziehung?
Im Bereich der Computerspiele bleibt zu hoffen, dass nicht erst aufgrund solch grausamer Geschehnisse über den Jugendschutz nachgedacht wird oder im Kompetenzgerangel der Institutionen der präventive Jugendschutz auf der Strecke bleibt. Gerade den Gutachtern der USK ist ihre Verantwortung bewusst, so dass sie ihre Bewertungspraxis laufend überprüfen müssen, weil sich auch fortwährend die Spielinhalte ändern. Eltern und Kinder sollten sich zusammensetzen und die Spiele gemeinsam aussuchen und vielleicht sogar gemeinsam spielen. Das Siegel der USK kann immer nur Empfehlung sein, die Verantwortung obliegt den Eltern und uns allen als Teil der Gesellschaft. Programmierern sei ans Herz gelegt, schon bei der Entwicklung der Spiele auf problematische Inhalte zu verzichten.

Links:
[0] http://www.bmfsfj.de/bpjs/bundespr/index.htm
[1] http://www.bmfsfj.de/bpjs/rechtsla/gesetz2.htm
[2] http://www.usk.de
[3] http://www.vud.de/

von Gerald Jörns , 30.04.1999, Verlag Heinz Heise, Hannover
http://www.telepolis.de/deutsch/special/game/6400/1.html
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