M 05.02 Was verändert sich in unserer Gesellschaft?
 


Differenzierung, Pluralisierung und Individualisierung von Familien-, Nachbarschafts- und Lebensformen
(weil die Verbindlichkeit traditioneller normativer Erwartungen, Werthaltungen und Zwänge, aber auch Wünsche und Glücksversprechen abgenommen hat, kann und muss man mittlerweile jenseits des Kitts der alten Bindungen in einer Art provisorisch-situativen Lebensabschnittsplanung individuell, aber durchaus institutionsabhängig zwischen verschiedenen fragmentarischen Lebensentwürfen, Familien- und Beziehungskonstellationen, Lebensmilieus und Lebensstilen auswählen; die zentrale Erfahrung heutigen Lebens umfasst eine - nicht immer gelingende - Kombination von ganz unterschiedlichen, zumeist segmentierten, zersplitterten und konkurrierenden Lebensformen);

merkliche Einkommensverbesserungen, Anhebung des Lebens- und Wohnstandards, die Entfaltung einer Privatsphäre breiter Bevölkerungsschichten insbesondere auch jenseits und trotz hoher, nie gekannter Arbeitslosenraten, am Rande der Wohlstandszonen ausgestoßener, marginalisierter Minderheiten und Zwei-Drittel-Gesellschaft
(Langzeitarbeitslose, Alters- und Kinderarmut, Wohnungs- und Obdachlose, arbeitssuchende Einwanderer usw.) sowie an die die damit einhergehende zunehmende Bedeutung des Konsum- und Freizeitsektors (auch der Massenkonsum mit einem unübersehbaren Angebot von Gütern weist neben standardisierten Tendenzen im Zuge der Auswahl und Nutzung auch unverwechselbar individualisierende auf; man kann, soll und muss, freilich nur, wenn die notwendigen Ressourcen vorhanden sind, zwischen verschiedenen Biersorten, Fertiggerichten, Fernsehprogrammen, Waschmitteln, Küchenzeilen, Reissorten, Gartenlauben, Autotypen, Glaubenselementen, Erziehungsmethoden und vielem anderen mehr wählen; individualisierende und entindividualisierende, konformistische Tendenzen in den Geschmäckern und Moden liegen eng beieinander, fließende Übergänge und Überschneidungen sind an der Tagesordnung; [...]

Mobilitäts- und Bildungschancen des einzelnen
(auch in diesem Falle wird der einzelne nicht mehr nur qua Geburt, Stand und Klasse bzw. aufgrund seiner sozialen, kulturellen, ökonomischen, regionalen und ethnischen Herkunft vorbestimmt und auf bestimmte Entscheidungen festgelegt, sondern er ist "frei" und zugleich gezwungen, zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Partnerwahl, der Religion, der Bildungs- und Berufswege der Persönlichkeitsentwicklung zu wählen);

Pluralität und Vielfalt von Sinnangeboten und Lebensperspektiven sowie die Vielstimmigkeit der Kultur
(wir werden heute ohne große soziale Unterstützung durch Traditionen, Rituale, umfassende Ordnungen und zuverlässige Einbindungen in Lebensmilieus mit dem pluralistischen Wertehorizont unserer Gesellschaft konfrontiert; eine stark auf sich allein gestellte Selbstverortung in ethnischen, religiösen, politischen, sozialen, kulturellen und ästhetischen Fragen muss vorgenommen und oftmals gegen schwierige äußere Bedingungen auch durchgesetzt werden).

Quelle: Wilfried Ferchhoff, Georg Neubauer, Patchwork Jugend. Eine Einführung in postmoderne Sichtweisen, Opladen 1997, S. 40-42.
-> drucken