M 05.03 Die Wissenskluft-Hypothese
 


So geht die Wissenskluft-Hypothese davon aus, "dass es vor allem die Gut-Informierten sind, die vom bestehenden Informationsangebot zu profitieren vermögen, und dass sich so die Wissenskluft zwischen den Gut- und den Schlecht-Informierten tendenziell eher vergrößert" (Bonfadelli/Saxer 1986, S. 12). Die Folge davon sei, dass es nicht ausreiche, eine optimale gesellschaftliche Kommunikation mit einem möglichst großen Angebot an Informationen sicherzustellen. Denn das Problem bestehe ja gerade darin, dass Motivationen und Fähigkeiten der Bürger unterschiedlich seien, um dieses Angebot sinnvoll und optimal zu nutzen. In ihrer Untersuchung an Zürcher Jugendlichen können Bonfadelli/Saxer (1986) die Wissenskluft-Hypothese mindestens tendenziell stützen. So ergibt sich beim Lesen eine klare und starke Beziehung zwischen Buch und schulischer Bildung sowie der Schichtzugehörigkeit der Eltern: "Mittelschüler und Jugendliche aus der Mittel- und Oberschicht lesen deutlich mehr als Realschüler und solche mit Eltern aus der Mittel- und Unterschicht" (Bonfadelli/Saxer 1986, S. 65). Ebenfalls schichtspezifisch ausgeprägt ist das Nutzungsverhalten beim Fernsehen, wo Mittelschüler (Gymnasiasten) die tiefste TV-Frequenz haben (vgl. Bonfadelli/Saxer 1986, S. 151). Generell zeigt sich, dass Schüler mit Eltern aus der Unter- oder oberen Mittelschicht das Fernsehen beträchtlich häufiger nutzen als ihre Kameraden aus der oberen Mittel- und Oberschicht. [...]

Damit legt die Wissenskluft-Hypothese nahe, dass die Informationsaufnahme nach dem Motto funktioniert: Wer schon hat, dem wird gegeben. Wer also höheren Bildungsschichten entstammt, bzw. in anspruchsvolleren Schulformen unterrichtet wird, der ist eher imstande, aus Fernsehsendungen zu lernen. Er wird sein Wissen vermehren und seine Fähigkeiten verbessern, Informationen aufzunehmen. Saxer fasst die Konsequenzen an anderer Stelle zusammen, indem er hervorhebt, dass mehr Medieninformation nicht mehr Wissen für alle bedeute. Vielmehr eigneten sich Bevölkerungssegmente mit höherem sozio-ökonomischem Status und höherer formaler Bildung diese zusätzlichen Wissensangebote schneller an als die anderen - mit dem Resultat, dass die Wissenskluft zwischen ihnen zu- statt abnehme.

Quelle: Heinz Moser, Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im Medienzeitalter, Opladen 1995, S. 127-128.
-> drucken