M 05.08 Politik im Unterhaltungsformat
 


Zur Inszenierung des Politischen in den Bildwelten von Film und Fernsehen

Politische Unterhaltung und unterhaltende Politik
Wie gewinnt man eine Landtagswahl gegen den seit langer Zeit erfolgreich amtierenden und in der Bevölkerung beliebten Ministerpräsidenten? Klaus Breuer, Spitzenkandidat der wichtigsten Oppositionspartei im Land, hat die Zeichen der Zeit erkannt und weiß, wie der Machterwerb im Zeitalter der Erlebnisgesellschaft zu bewerkstelligen ist: Er stellt seine attraktive Ehefrau Babette in den Mittelpunkt der Wahlkampagne. Die nämlich ist nicht nur jung und schön, sondern auch ein populärer Musicalstar, dem das ältere wie das jüngere Publikum zu Füßen liegt. Babette Breuer tritt schließlich kurz vor dem Wahltermin in einer Talk-Show auf, in der sie mit einer schwungvollen Gesangseinlage vollends die Herzen der Zuschauer und somit die entscheidenden Stimmen für ihren Mann gewinnt. Der neue Ministerpräsident heißt Breuer, und das attraktive junge Paar eröffnet den ersten Presseball der Legislaturperiode mit einem temperamentvollen Tango.

Diese Geschichte ist fiktiv, könnte sich aber doch so ereignet haben. Sie wird erzählt in dem Fernsehfilm Rache ist süß (Regie Bettina Woernle, Hauptdarsteller Henry Hübchen und Michaela Rosen, 1996), der im Stil einer Doppelgänger- und Verwechselungskomödie die Grundregeln des politischen Handelns in der heutigen Unterhaltungsöffentlichkeit vorführt. Nicht etwa überzeugende Programme oder die Professionalität der politischen Akteure sind am Wahltag die entscheidenden Voraussetzungen für den Erfolg, sondern die Fähigkeit, auf der Klaviatur des Entertainment zu spielen. Gleichzeitig ist der Film ein gutes Beispiel für die in der deutschen Medienkultur beobachtbare Tendenz, politische Themen, Ereignisse und Akteure als Material in Unterhaltungssendungen zu verwenden. Die "neue Intimität" zwischen Politik und Unterhaltungskultur, welche die Realität des Politischen am Ende des 20. Jahrhunderts prägt, enthält beides: Politiker, die sich den gängigen Unterhaltungsformate bedienen, und Medien, die den politischen Prozess als Hintergrund für ihre Krimi- oder Komödienhandlungen verwenden.Wie weit die Interaktion zwischen Politik und Unterhaltung schon fortgeschritten ist, wird auch deutlich an der Tatsache, dass Politiker als Talk-Master tätig werden. So hat der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Lothar Späth, mit Späth am Abend eine eigene Talk-Show im Nachrichtensender N-TV bekommen, und der ebenso streitbar wie medienbezogen agierende Kölner Regierungspräsident Frahz-Josef Antwerpes wirkt seit August 1999 als Gastgeber in Amado und Antwerpes beim WDR mit; der frühere CDU-Politiker Heinrich Lummer wird ab Herbst in einem privaten Berliner Fernsehsender eine Talk-Show moderieren.

Mediengesellschaft
Beides führt dazu, dass das öffentliche Bild des Politischen immer deutlicher durch die Stilmittel und Bildsprachen des Entertainment gestaltet wird. Die Massenmedien, allen voran das Fernsehen, durchdringen heute den Alltag nahezu aller Bürger. Wir verbringen durchschnittlich viermal soviel Zeit mit dem Konsum von Medien wie mit persönlichen Gesprächen. Der Fernseher ist zwar noch nicht wie in amerikanischen Haushalten durchschnittlich jeden Tag sieben Stunden eingeschaltet, aber die hiesigen Verhältnisse gleichen sich dem immer mehr an. Bedenkt man schließlich, wie sehr auch die normale Alltagskommunikation durch mediale Vorgaben, durch Themen, Figuren und Zitate vor allem aus Fernseh - und Radioprogrammen, bestimmt ist, dann wird klar, in welchem Maße unsere Gesellschaft zur Mediengesellschaft geworden ist. Inhaltlich werden die Programmangebote eindeutig dominiert durch Unterhaltungsformate. Was in den Vereinigten Staaten vom Beginn der massenmedialen Kommunikation an galt, hat sich in Deutschland mit der Einführung des dualen Rundfunksystems in den achtziger Jahren ebenfalls durchgesetzt: Wer sich auf dem Markt der Medien behaupten will, der muss auf attraktive Unterhaltung setzen. Das gilt nicht zuletzt auch für die öffentlich-rechtlichen Anbieter, die sich daher ständig in einem schwierigen Balanceakt zwischen Bildungsauftrag und Quote befinden.

Die Mehrzahl der politischen Akteure hat die Folgen dieser Entwicklung längst erkannt. Das Medienpublikum ist zugleich auch Elektorat, jeder Wähler ist auch Mediennutzer. Die Erreichbarkeit der potentiellen Wählerschaft ist am besten über den Kanal der massenmedialen Unterhaltungsformate zu sichern. Politische Akteure und Institutionen müssen daher nicht nur ihre gesamte Selbstpräsentation den veränderten Wahrnehmungsgewohnheiten und Erwartungshorizonten eines durch die Bilderflut der Medienunterhaltung sozialisierten Publikums anpassen, sondern auch den Weg in die Unterhaltungsforen hinein wählen, wenn sie die knapp gewordene Ressource Aufmerksamkeit erheischen wollen.

Wahlkampf
Im Bundestagswahlkampf 1998 hat Gerhard Schröder anschaulich vorgeführt, was es heißt, die. Funktionslogik der medialen Erlebnisgesellschaft im Prozess des demokratischen Machterwerbs zu nutzen. So wurden beim großen SPD-Parteitag, der im Frühjahr 1998 in Leipzig stattfand, die sonst eher sachlich und nüchtern daherkommenden Akteure in eindrucksvoller Licht- und Farbästhetik in Szene gesetzt. Schwungvolle popmusikalische Darbietungen rahmten das Geschehen ein, und beim Höhepunkt der Show wurde schließlich Schröders neuer Wahlkampfspot überlebensgroß auf der Bildschirmwand zelebriert. In einer Bildästhetik, die stark angelehnt war an den visuellen Code von MTV-Musikvideoclips, trat der Kanzlerkandidat als ein souveräner Macher auf, der in der Lage ist, vorhandene Visionen in politische Realität umzusetzen.
Verstärkt wurde diese Ästhetik des "Machers" durch eine geschickt eingesetzte musikalische Rahmung. Es ertönte die hymnische Filmmusik aus der Hollywood-Produktion Airforce One (1997). Die Semantik dieses populären Films, in dem der amerikanische Präsident (Harrison Ford) als heroischer Streiter für sein Land durch entschlossenes Handeln im Alleingang eine ganze Gruppe von Terroristen besiegt, verlieh dem niedersächsischen Ministerpräsidenten und Kanzlerkandidaten - zumindest für den Moment der Inszenierung - ebenfalls die außeralltägliche Aura des politischen Erlöserhelden, mit dessen Erscheinen alles besser werden kann. In dieser Inszenierung vollzog sich das, was für die Präsenz des Politikers in der medialen Erlebnisgesellschaft zunehmend typisch wird: die Transformation des realen Akteurs in eine "hyperreale" Medienfigur, an die sich Bedeutungen, Werte, Sehnsüchte und Sinnverheißungen anlagern. Diesen Status einer Medienfigur hat Schröder weiter dadurch gefördert, dass er als niedersächsischer Ministerpräsident, also sich selbst spielend, auch in Unterhaltungsformaten des Fernsehens auftrat. So gab es im Mai 1998 großen Presserummel, als bekannt wurde, dass der Kanzlerkandidat Dreharbeiten für einen Auftritt in der Serie Gute Zeiten, Schlechte Zeiten absolviert hatte. Hier wurde ganz bewusst eine vor allem beim jüngeren Publikum populäre Serie genutzt, um dem Politiker an der Seite von Popstars wie "Oli P " ebenfalls medialen Kultstatus zu verleihen.

Die SPD-Wahlkampfstrategen haben damit freilich nur gelehrig das umgesetzt, was amerikanische Polit-Profis ausführlich vorexerziert hatten. So hat das Team um Bill Clinton schon zu Beginn der neunziger Jahre die etablierten seriösen Medien im Hintergrund belassen und statt dessen auf Unterhaltungsmedien gesetzt. Talk-Shows, insbesondere auf den Sendern MTV und CNN, waren die bevorzugten Foren des Kandidaten. Clinton bezog sich in seinen Äußerungen oft auf Elvis Presley, den Rock'n Roll Star, der für die Generation Clintons ein wichtiger Sozialisationsfaktor gewesen war. Elvis symbolisierte eine nonkonformistische Kultur, die sich von der älteren Generation nichts mehr sagen lässt. Dieses Image des Rebellen ließ sich rhetorisch gut verbinden mit der Proklamation des Wechsels, die in Clintons Motto "Time for a change in America" Ausdruck fand. Nicht zufälligerweise wurde Clinton durch die bekannte Szene-Zeitschrift "Rolling Stone" massiv unterstützt. Der Höhepunkt dieser medienkulturellen Kampagne fand Anfang Juni des Jahres 1992 statt, als Clinton mit schwarzer Sonnenbrille einen musikalischen Auftritt in der Arsenio HallShow hatte. Er spielte auf seinem Saxophon Elvis Presleys Hit Heartbreak Hotel; mit dieser Inszenierung als Popstar gewann Clinton die Offensive in der amerikanischen Medienöffentlichkeit zurück, die er zuvor an Ross Perot verloren hatte.

Am Ende der neunziger Jahre lässt sich für die westlichen Demokratien ohne Übertreibung formulieren, dass ein Spitzenpolitiker nur dann wirklich Aussicht auf Erfolg hat, wenn er bereit ist, in die Unterhaltungsformate zu gehen und dort Imagepolitik und Impression Management zu betreiben. Wer etwa in Deutschland nicht wenigstens einmal zum Talk bei Alfred Biolek und Harald Schmidt oder in eine Show wie Wetten dass? eingeladen wird, der hat aufgrund mangelnder Medienprominenz zu wenig Öffentlichkeitsmacht, um politisch etwas zu bewegen.

In Deutschland hat sich in den letzten Jahren ebenfalls eine Kultur des politischen Entertainment herausgebildet. Eine feste Institution des linksliberalen politischen Diskurses ist beispielsweise die Lindenstraße geworden. Hier werden nicht nur ständig kritische Kommentare zur Tagespolitik eingeflochten, sondern auch Modelle des sozialen und politischen Engagements vorgeführt. Die Bürger der Lindenstraße setzen sich erfolgreich gegen rechtsradikale Umtriebe zur Wehr, integrieren griechische und türkische Ausländer ebenso wie Ostdeutsche und Aussiedler, gründen Bürgerinitiativen zur Verkehrsberuhigung von Straßen, führen Protestaktionen gegen Atomstrom durch und fördern auf Nachhaltigkeit angelegte Energieprojekte - und sie leben bzw. anerkennen schließlich alternative Lebensstile von der Patchwork-Familie über die Homosexuellen-Ehe bis zur Wohngemeinschaft von Rentnern. Der gesamte Political-Correctness-Kanon der gegenwärtigen politischen Öffentlichkeit in Deutschland kann zu verlässig den Folgen dieser populären Dauerserie entnommen werden.

Unterhaltungsöffentlichkeit: politische Defizite und Potentiale
Illusion und Blendwerk für die unterdrückten Bürger einerseits, Selbstfindungs- und Befreiungsinstrument andererseits - ein angemessenes Bild lässt sich letztlich nur durch eine abgewogene Erörterung der Vor- und Nachteile entwickeln:

  1. Zunächst sollte nicht unterschätzt werden, dass Mediennutzung tatsächlich politische Partizipationsräume eröffnet. Damit ist zunächst gemeint, dass mediale Angebote in Gesprächen und Diskussionen in der Alltagswelt verarbeitet und zur Meinungsbildung genutzt werden können. So werden z. B. auch in den über das Internet verknüpften Fan-Gemeinden von Unterhaltungsserien Diskussionen über die politischen Inhalte geführt. Weiterhin können Medienangebote zum Anlass und Aufhänger für politische Aktionen gemacht werden. Die amerikanische Hausfrau Terry Rakolta hat beispielsweise das negative Bild der Familie in der Serie Married ... with Children (dt. Eine schrecklich nette Familie) zum Anlass genommen, eine großangelegte Kampagne gegen die Serie zu führen und Werbekunden wie Coca Cola oder McDonald's zum Rückzug ihrer Aufträge zu bewegen. Und die Ausstrahlung des Films The Day After wurde 1982 in den USA zum Kern einer landesweiten Aktion gegen Atomwaffen gemacht. Vor allem in den Vereinigten Staaten nutzen Parteien, Interessenverbände und Watch Dog-Gruppen immer wieder die Ausstrahlung von Sendungen dazu, Probleme zu thematisieren und politische Aufmerksamkeiten zu steuern - in Deutschland beginnen die politischen Akteure erst, dieses Potential zu entdecken.
  2. Unterhaltungsöffentlichkeiten bieten den Rahmen für "Interdiskurse", die den Autismus von gesellschaftlichen Teilsystemen und hochspezialisierten Diskursen zu überwinden vermögen und das Politische - wie reduziert auch immer - allgemein zugänglich halten. Vor allem populäre Sendungen vermögen, auch in Zeiten weitgehender Differenzierung und Pluralisierung im Mediensystem, große Publikumsgruppen zu erreichen. Sie bieten eine kommunikative Infrastruktur, die zur Thematisierung von politischen Problemen genutzt werden kann. Unterhaltungsöffentlichkeiten sind also in gewissem Maße dazu geeignet, den Fragmentierungstendenzen des öffentlichen Diskurses entgegenzusteuern.
  3. Hinzu kommt, dass soziale Asymmetrien in der gesellschaftlichen Wissensverteilung in diesem Bereich weniger greifen. Sozialstrukturelle Unterschiede sind hier weitgehend zu vernachlässigen. So hat Oliver Stones Filmepos JFK (1991), in dem der mysteriöse Mord an Präsident John E Kennedy als Verschwörung von Exilkubanern, Militärs, Geheimdienstlern und Wirtschaftslobby dargestellt wird, in den USA heftige öffentliche Debatten ausgelöst. Der Film und die Diskussion waren bald Professoren und Politikern ebenso bekannt wie Angestellten, Arbeitern und Schülern.
  4. Filme und erfolgreiche Fernsehserien wirken an der Setzung von öffentlichen Themen mit. In einer Zeit der Informations- und Reizflut ist Aufmerksamkeit ein besonders knappes Gut. Daher müssen die Bildwelten, an denen sich eine Reflexion anschließen kann, bewirtschaftet und knapp gehalten werden. Die Marktmechanismen der populären Medienkultur leisten eine solche Verknappung, indem ein relativ kleines Segment der insgesamt produzierten Angebote jeweils so in den Mittelpunkt rückt, dass sehr viele Menschen ihre knappe Zeit und Aufmerksamkeit diesem Angebot zuwenden. JFK zählte im Jahr 1991 mit über 70 Mio. Dollar Erlös in den USA zu den meistgesehenen Filmen. Titanic hat in der Saison 1997/98 sogar weit über eine Milliarde Dollar erwirtschaftet und weltweite Diskussionen nicht nur über die den Tod überwindende romantische Liebe, sondern auch über den Fortschrittsmythos und die Gefahren einer blinden Technikgläubigkeit am Ende des 20. Jahrhunderts ausgelöst.
  5. Unterhaltungsöffentlichkeiten ermöglichen in diesem Sinne die Herausbildung von dem, was die neuere Kommunikationssoziologie als "öffentliche Meinung" mit wichtigen Orientierungsfunktionen für das Publikum beschreibt. In der öffentlichen Meinung kristallisiert sich auch der Wertekonsens einer Gesellschaft heraus. So zeigen die Beispiele, die oben für die neue Inszenierung des Politischen in deutschen Unterhaltungsfilmen herangezogen wurden, dass die Themen NS-Vergangenheit und Rechtsradikalismus/Neonazismus in der deutschen Unterhaltungsöffentlichkeit dominieren. Die Medienangebote spiegeln und verstärken hier zugleich einen Konsens, der die bundesrepublikanische Gesellschaft über Jahrzehnte hinweg stabil integriert hat: die deutliche Ablehnung aller Artikulationen von rechtsradikalen oder NS-orientierten Positionen.
  6. Schließlich sind Unterhaltungsöffentlichkeiten auch ein wichtiger Faktor für die Stabilisierung von politischen Kulturen. Indem sie Normalitätserwartungen bedienen und sich aus Marktgesichtspunkten in aller Regel im konsensfähigen Bereich bewegen, festigen sie Traditionsbestände. Während in den USA bestimmte Muster wie der Republikanismus und der Individualismus durch ihre stets neue Inszenierung in den Unterhaltungsmedien auch nach mehreren Jahrhunderten noch immer im öffentlichen Wahrnehmungsraum präsent sind, lässt sich für Deutschland immerhin konstatieren, dass in Krimis und Komödien mit antinazistischen Werten ein wichtiger Teil des politisch-kulturellen Selbstverständnisses, der sich nach 1945 herausgebildet hat, auf unterhaltsame Weise lebendig gehalten wird. Diese Leistungen zeigen an, dass Unterhaltungsöffentlichkeiten in der modernen Gegenwartsgesellschaft durchaus Integrationsfunktionen wahrnehmen können.

Freilich stehen dem deutliche Defizite gegenüber:

  1. In der Unterhaltungsöffentlichkeit sind auch jene Probleme erkennbar, die sich allgemein für massenmediale Öffentlichkeiten feststellen lassen: Es gibt Zugangsbarrieren, Asymmetrien und Ungleichheiten bei der Präsenz von Teilnehmern und Meinungen, beim Einfluss von Sprechern und bei den Wissensvoraussetzungen. Faktoren wie Geld, Prestige, Bildung und das soziale Kapital einflussreicher Netzwerke sind wichtige Steuerungsgrößen, die den Zugang zu den öffentlichen Foren steuern.
  2. Das Politische wird im Unterhaltungsformat ohne Zweifel verkürzt, emotionalisiert und personalisiert. Eine adäquate, differenzierte Information über den politischen Prozess kann hier nicht stattfinden. Aber Informationsdefizite sind bei der derzeitigen Politikmüdigkeit auch nicht das zentrale Problem. Man sollte bedenken, dass der emotionale Zugang zum Politischen, die Erfahrbarkeit seiner Relevanz in einer spannenden Bilderzählung, welche Identifikationsmöglichkeiten und Katharsismomente bietet, keine geringe Leistung in einer Welt darstellt, in der politische Akteure und Institutionen immer ferner und abstrakter zu werden drohen.

Folgerungen
Politische Realität ist in der Gegenwartsgesellschaft zu einer Medienrealität geworden, und diese Medienrealität gehorcht heute weitgehend den Gesetzen des Unterhaltungsmarktes, Nicht gut oder böse, effektiv oder ineffektiv sind in diesem Kontext die Leitdifferenzen, sondern unterhaltsam oder langweilig, Diese neue (Medien-)Realität des Politischen lässt sich nur um den Preis der Erfolglosigkeit dauerhaft ignorieren. Das große Potential an Politikvermittlung, das in der populären Medienkultur verborgen ist, wird tatsächlich auch jenseits von Partei- und Verbändeinteressen zunehmend genutzt. So versuchen die öffentlich-rechtlichen Medienanbieter ihren (politischen) Bildungsauftrag dadurch wahrzunehmen, dass relevante Themen mit den Mitteln des Infotainment unterhaltsam aufbereitet werden. Und mitunter gelingt es auch, eigentlich ausgesprochen spröde Problematiken wie das Zoll- und Steuerrecht durch eine mediengerechte Gestaltung im Krimi-Format ebenso spannend wie interessant darzustellen: Die schwierigen Recherchen des sympathischen Zollfahnders Zaluskowski in der Serie Schwarz Rot Gold hat ein Millionenpublikum verfolgt. Nicht uninteressant ist schließlich, dass auch im deutschen Kontext zunehmend offenes und verdecktes Sponsoring von TV-Produktionen mit dem Ziel direkter oder indirekter symbolischer Politik erfolgt. So wurde die Miniserie Klinik unter Palmen (1996) mit dem SchwarzwaldklinikStar Klaus-Jürgen Wussow in der Hauptrolle aus dem deutschen Entwicklungshilfe-Etat mit nicht weniger als 276 000 DM gefördert. Das Ministerium hat sich später auch an einer Tatort-Folge zum Thema Kinderprostitution beteiligt. Und ähnlich wie das amerikanische Pentagon hat der Bundesgrenzschutz den Produzenten der Serie Küstenwache (1997) ein ganzes Boot zum Billigtarif überlassen, um so ein positives Bild von der eigenen Organisation auf den Bildschirm zu bringen. Allerdings zeigt gerade auch die Klinik unter Palmen, dass derartige Unternehmen gründlich misslingen können, weil die politische Botschaft vor lauter Südsee-Ambiente, Herz-Schmerz-Geschichten sowie Sex-and-Crime-Elementen gar nicht mehr erkennbar ist. Gleichwohl ist offensichtlich, dass die populäre Medienkultur mit ihren Unterhaltungsformaten ein Potential an politischer Kommunikation bietet, das vor allem hinsichtlich der Erreichbarkeit des Publikums und der emotionalen Intensität der Medienrezeption konkurrenzlos erscheint. Dieses Potential könnte, vor allem durch die öffentlichrechtlichen Anbieter, noch besser genutzt werden. So wäre die oft blutleere Europa-Thematik über eine verstärkte Berücksichtigung von Unterhaltungsangeboten aus anderen EU-Ländern mit Leben zu füllen, indem uns die Alltagswelten aus den Nachbarstaaten anschaulich nähergebracht werden. Außerdem sind Serien denkbar, die - beispielsweise, indem sie eine europäisch-gemischte Studenten-WG in den Mittelpunkt stellen - die Schwierigkeiten des interkulturellen Miteinander im neuen Europa auf vergnügliche Weise thematisieren. Aber auch andere Problembereiche des politischen und gesellschaftlichen Lebens könnten, etwa im Stil der überaus erfolgreichen Lindenstraße, im Unterhaltungsformat verarbeitet werden, ohne dass dies gleich zur Trivialisierung und Entpolitisierung dieser Themenfelder führen muss.

Aus: Andreas Dörner: Politik im Unterhaltungsformat. Zur Inszenierung des Politischen in den Bildwelten von Film und Fernsehen.
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