Aktuelle Herausforderungen für die Medienpädagogik
 

Das Resümee des voranstehenden Kapitels macht bereits deutlich, dass der Umgang mit Medien für die Pädagogik eine Reihe von Herausforderungen in sich birgt. Zwar wurde die heftige Debatte um Neue Medien in der Schule nicht von Pädagogen oder Bildungspolitikern angestoßen, sondern von Computerherstellern, Softwareverlagen und Telekommunikationsfirmen (Schnabel, Ulrich 1997, S. 33), aber es ist eine konstitutive Eigenschaft der Pädagogik, Probleme des Lebens aufzugreifen (vgl. Baacke, Dieter, 1996, S. 202) und aufgrund des Drucks neuer technischer Entwicklungen mit pädagogischen und didaktischen Konzepten zu reagieren. So hat sich die Medienpädagogik in der öffentlichen Diskussion um Chancen, Risiken und pädagogische Handlungskonzepte im Umgang mit den Neuen Medien mittlerweile Gehör verschafft.


 


Begriffsklärung

Medienpädagogik wird als Oberbegriff für die vier Teilbereiche Mediendidaktik, Medienerziehung, Medienkunde und Medienforschung verwendet. Damit umfasst er die Summe aller pädagogisch obligaten handlungsanleitenden Überlegungen in bezug auf Medien.

Im Teilbereich Mediendidaktik geht es um die Frage, wie Medien in Lern- und Lehrprozessen sinnvoll eingesetzt werden können oder sollen, um diese Prozesse zu fördern.

Medienerziehung hat die Aufgabe, Kindern und Jugendlichen einen kritischer Umgang mit Medien zu vermitteln und Medienkompetenz zu fördern. Darüber hinaus muss sie sich über eine angemessene pädagogische Form Gedanken machen, wie die formulierten pädagogischen Ziele erreicht werden können.

Unter Medienkunde versteht man die Gesamtheit der Kenntnisse über Medien bezüglich ihrer Technik, der Organisation sowie ihrer ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Dieses Wissen bildet eine Grundlage für medienpädagogische Überlegungen und Handlungskonzepte.

Medienforschung befasst sich mit deskriptiven und empirisch-hypothetischen wissenschaftlichen Untersuchungen, die im Kontext von Medien und Erziehung von Bedeutung sein können. Sie hat das Ziel, diese Aussagen zu überprüfen und zu systematisieren (vgl. Tulodziecki, Gerhard. 1989, S. 18 ff).


 


Medienpädagogische Konzepte

In den 60er und 70er Jahren dominierten in der Medienpädagogik im wesentlichen drei Richtungen: die normative, die technologische und die kritisch-emanzipatorische Medienpädagogik.

Normative Medienpädagogik: Dieser Ansatz ist der bewahrpädagogischen Denkrichtung in der Medienerziehung zu zurechnen. Das Anliegen der normativen Medienpädagogik ist es, Rezipienten bzw. Nutzer von Medien vor belastenden und negativen Auswirkungen des Mediums zu bewahren. Unter belastenden Momenten werden entwicklungsunangemessene Inhalte oder moralisch und ethisch verwerfliche Inhalte verstanden. Um diese Form der Bewahrung zu bewerkstelligen, können sich die Medien eine freiwillige Selbstkontrolle auferlegen, oder der Gesetzgeber muss entsprechende Regelungen vorschreiben. Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften ist ein Beispiel für diese Vorgehensweise.

Im Sinn der Bewahrpädagogik wird derzeit über ein Gesetz debattiert, das die Veröffentlichung pornographischer und rechtsextremer Inhalte im Internet verbieten soll. In der Regel richtet sich die Intervention jedoch direkt an die Rezipienten und Nutzer, indem sie ihnen den Zugang zu bestimmten Inhalten verwehrt, durch Schranken, die aufgestellt werden für die zeitliche, altersgebundene und örtliche Distribution von Medien (vgl. Schorb, B. 1995, S. 50). Gleichzeitig sollen Zuschauer die ethischen Maßstäbe lernen, damit sie gegen negativ bewertete Inhalte immunisiert werden. Dabei sind die zugrunde liegenden Werte und Normen durch den gesellschaftlichen Konsens über bevorzugte Wertmaßstäbe bestimmt.

Technologische Medienpädagogik: Dieser funktionalistisch orientierte Ansatz bedient sich der Medien, um Lehr- und Lernprozesse zu optimieren und zu forcieren. Die Medien werden vorrangig als Vehikel zur Wissensvermittlung betrachtet. Der Vorteil medialen Transportes wird darin gesehen, dass die Seh- und Hörsinne in ihrer vollen Kapazität angesprochen werden können und die Aufnahmebereitschaft gesteigert werden kann (vgl. ebd. S. 50). Medien ermöglichen es, den Lehrstoff beliebig oft zu wiederholen und dadurch die individuelle Lerngeschwindigkeit zu berücksichtigen.

Die bildungstechnologische Medienpädagogik ist nicht wie die normative Medienpädagogik von einem gesellschaftlichen Wertekonsens abhängig, sondern vielmehr auf ökonomisches Effizienzdenken ausgerichtet. Die Anschaffung von Computern und die Vermittlung von Computerwissen werden als finanzielle Investition betrachtet.

Kritisch-emanzipatorische Medienerziehung: Dieses Konzept entstand schon früh unter dem Eindruck der Studentenbewegung und der gesellschaftskritischen Analyse Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre. Das formulierte Ziel kritisch-emanzipatorischer Medienerziehung ist es, den Rezipienten und Nutzer zu befähigen, die sozialen, ökonomischen und politischen Bedingungen der Mediensituation zu hinterfragen und zu durchschauen. Außerdem sollte der einzelne in die Lage versetzt werden, Veränderungen herbeizuführen und selbst mediale Inhalte zu produzieren. Dahinter stand der Gedanke, durch eigene Produktion ein Gegengewicht zur kapitalistisch orientierten Medienlandschaft zu schaffen (vgl. ebd. S. 50).


 


Aktuelle Ansätze schulischer Medienpädagogik

Die bisher dargestellten medienpädagogischen Ansätze haben ihr Hauptaugenmerk auf die Rezeption gerichtet. In neueren Konzepten hat sich der Akzent verschoben. Sie wollen die Rezipienten zu einem aktiven und konstruktiven Umgang mit den Medien befähigen.

Derzeit gewinnt das Konzept der handlungsorientierten Medienpädagogik in der schulischen und außerschulischen Medienerziehung an Relevanz. Ausgangspunkt ist im Anschluss an den Konstruktivismus die Annahme, dass das Individuum die Fähigkeit besitzt, sein soziales Umfeld kritisch zu reflektieren und zu gestalten. Die Verarbeitung medialer Botschaften ist von den individuellen Erfahrungen und dem sozialen Kontext des Individuums abhängig. Das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen ist durch ihre Lebenslage bestimmt. In dieser kurzen Beschreibung der Individuallage ist bereits impliziert, dass der pädagogische Umgang mit Medien sowie die Anleitung zur Mediennutzung bestimmte Voraussetzungen, die das Individuum mitbringt, berücksichtigen muss. Es handelt sich dabei um allgemeinpädagogische Gesichtspunkte, die auch für die Medienpädagogik von Bedeutung sind.

Folgende Orientierungen sind bei der Medienarbeit zu berücksichtigen:

Situationsorientierung: Ausgangspunkt für die Medienerziehung sollen Situationen aus der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen sein; das zu Lernende soll auf gegenwärtige oder zukünftige Lebenssituationen bezogen werden. Erfahrungsorientierung: Kinder und Jugendliche sollen die Chance haben, ihre bisherigen Erfahrungen in medienerzieherische Prozesse einzubringen und dadurch neue Erfahrungen zu machen.

Bedürfnisorientierung: Die mit der Mediennutzung verbundenen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen sollen ernstgenommen werden.

Kommunikationsorientierung: Medienerziehung soll in kommunikativer Weise gestaltet werden und zu einer Erweiterung der Möglichkeiten personaler und medialer Kommunikation führen.

Entwicklungsorientierung: Medienerziehung muss vom jeweiligen Stand der intellektuellen und sozialen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ausgehen und deren Weiterentwicklung fördern (vgl. Bund-Länder-Kommission 1995, S. 16).

Letztlich soll handlungsorientierte Medienpädagogik Individuen dazu befähigen, die Medieninhalte auf dahinterstehende Interessen und Meinungen zu befragen, kommunikative Kompetenz fördern und die Subjekte zu gesellschaftlichem Handeln und somit auch zum Medienhandeln anzuleiten. In den Lehrplänen für die Sekundarstufe II Sozialwissenschaften wird der analytische und produktiv-gestaltende Umgang mit neuen Medien gefordert. Das analytische Zergliedern von Bildern, Tönen und Texten allein sei nicht mehr ausreichend zum mündigen Umgang mit neuen Medien. Durch das eigene Produzieren lernen Schülerinnen und Schüler, wie Wirklichkeit konstruiert werden kann. Auf diese Weise werde auch analytisches Wissen über Medienrealität in nachhaltiger Form mitgelernt und produktiv genutzt.


 


Aufgaben und Ziele schulischer Medienpädagogik

Die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung hat drei Funktionen der neuen Medien für das schulische Lernen formuliert, die unverzichtbar sind (vgl. Bund -Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, Heft 66, 1998):

Neue Medien als Lehr-Lern-Tool
Die neuen Medien sind innovative Mittel der Anregung und Unterstützung von Lehr-Lernprozessen im Unterricht und haben damit Tool-Charakter. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie multimediale Präsentations-, Interaktions- und Simulationsmöglichkeiten mit neuen Formen der Telekommunikation verbinden. Die Neuen Medien können sowohl als Offline-Lösungen (Diskette oder CD-Rom) oder auch als Online-Lösungen als "Werkzeuge" zum Lehren und Lernen im Unterricht genutzt werden. Das Programm "Forschen mit GrafStat" ist zum einen als ein solches Werkzeug zu verstehen, dass es Lehrern und Schülern ermöglicht, als Sozialforscher zu agieren und die erhobenen Daten mit Hilfe des Programms professionell zu erfassen und grafisch aufzubereiten.

Neue Medien als Anlass zur Entwicklung und Anwendung neuer Lehr-Lernformen
Neue Medien können als Anlass genommen werden, um veraltete Unterrichtsformen, z.B. den Frontalunterricht, abzulösen. Mit Simulationen, Planspielen oder interaktiver Lernsoftware kann das Konzept des problemorientierten Lehrens umgesetzt werden. Selbstbestimmung bei der Zielsetzung und bei der Suche nach Lösungswegen kennzeichnen das eigenständige Lernen mit Multimedia-Programmen ebenso wie problemorientierte Vorgehensweisen. GrafStat bietet dies in hohem Maß. Eine Befragung wird immer aufgrund einer bestimmten Fragestellung , eines Problems eingeleitet. Die Durchführung der Befragung, die Eingabe der Daten und deren Auswertung und Präsentation führt zu selbständigem, motivierten Schülerhandeln mit Projektcharakter.

Neue Medien als Lehr-Lerninhalt
Dieser Einsatz neuer Medien entspricht weitgehend der klassischen Medienerziehung. Während es der Mediendidaktik um die Optimierung von Lehr- und Lernprozessen geht und Medien in diesem Sinn als Mittel verstanden werden, nimmt die Medienerziehung die Neuen Medien als Inhalte mit dem Ziel einer kritischen Reflexion. Auch hier bietet GrafStat Anknüpfungspunkte. So sollte die Durchführung einer computergestützten Erhebung immer auch die kritische Reflexion der Methode miteinschließen. In diesem Fall wäre das eine Analyse der Realitätsabbildung durch Statistiken, bzw. wie sie verändert werden können, um bestimmte Ergebnisse zu erzielen.

Zu diesem Komplex gehört auch der Einblick in Wirkungsweise und Produktionsbedingungen von Medien. Hier bieten sich vielfältige handlugsorientierte Möglichkeiten: Dazu gehören:

  • das Aufarbeiten von Medienerlebnissen über spielerisch kreative Formen der Auseinandersetzung, z.B. die Verarbeitung von Eindrücken durch Zeichnen, Malen, Collagieren oder Nachspielen.
  • das Aufarbeiten von Medienerlebnissen im Gespräch: Schülerinnen und Schüler sollen sich zunächst auf einer eher subjektiv spontanen Ebene dazu äußern, welche Erfahrungen, Beobachtungen, Gefühle, Verhaltensweisen und Gewohnheiten sie mit ihrem Medienalltag verbinden. In solchen Gesprächen gewinnen sonst kaum beachtete Fragen, z.B. die des persönlichen Geschmacks sowie bestimmte Vorlieben oder Vorbehalte und das Moment von ästhetischem Genuss an Bedeutung. Das gemeinsame Nacherleben kann auch die Verarbeitung von Ängsten und Aggressionen unterstützen und problematische Verhaltensorientierungen oder falsche Vorstellungen von Realität relativieren helfen.
  • das Verstehen und Unterscheiden von Medienangeboten: Um Wirkungen von Medien in ihren Ursachen begreifen zu können, müssen Kinder und Jugendliche die Vielfalt der Medien in ihrer jeweils spezifischen Machart und ihren Ausdrucksmöglichkeiten kennen lernen. Sie sollen sich mit verschiedenen Programmarten (z.B. Magazin, Serie, Dokumentation) ebenso vertraut machen wie mit unterschiedlichen Präsentationsformen (z.B. Bild, Modell, Symbol) und Techniken (Schnittechniken, Kameraführung etc.).
  • die Analyse und Bewertung von Medien aufgrund von Kenntnissen und Einsichten in institutionelle Bedingungen von Medienproduktion und -distribution: Eine kritische Analyse von Wirkungsabsichten und Einflussmöglichkeiten der Medien setzt Kenntnisse der institutionellen und ökonomischen Bedingungen der Medienproduktion sowie von Vertriebs und Zugangsregelungen voraus. Bei der Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Medien für die öffentliche Meinung sollten Schülerinnen und Schüler auch sich selbst als Rezipienten distanzierter wahrnehmen und einschätzen lernen. Sie sollten erkennen, ob und wie Medienangebote auf ihre Bedürfnisse antworten und diese beeinflussen und welche Verhaltensorientierungen vermittelt werden.

Praktisch-gestalterische Medienarbeit
Ziel ist es, die persönlichen Ausdrucks und Gestaltungsmöglichkeiten zu erweitern, die Fähigkeit zu genauer Wahrnehmung und zu sozial verantwortlichem Medienverhalten auszubilden. Durch das Mitarbeiten an einer Schul- oder Stadtteilzeitung, Fotoausstellung, Tonbandreportage oder einem Videomagazin haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, ihre Vorstellungen mit Hilfe unterschiedlicher Medien zu artikulieren und sie im Rahmen von schulischer oder regionaler Öffentlichkeit zu verbreiten. Sie erfahren, dass die in den Medien präsente Wirklichkeit immer eine "hergestellte" und damit subjektiv geprägte und interessengeleitete ist. Auf der spielerischen Ebene z.B. im Herstellen eigener Computerspiele kann praktische Medienarbeit auch für den einzelnen die Funktion haben, von einer eher unreflektierten Form der Rezeption Abstand zu gewinnen. Praktisch-gestalterische Medienarbeit ist in besonderem Maße geeignet, Formen kooperativen Lernens zu fördern. So lernen die Schülerinnen und Schüler in Gruppenarbeit, wie Medienprodukte in kleinen Teams entstehen und wie der einzelne auf die Mitarbeit der anderen angewiesen ist. Durch sinnvolle Arbeitsteilung entdecken sie die sonst in der Schule eventuell nicht beachteten besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten einzelner, wie z.B. schauspielerisches, technisches oder organisatorisches Talent (vgl. Bund-Länder-Kommission 1995, S. 23 f.).

Zu ergänzen wäre dieser Katalog von Aufgaben und Zielen durch den Hinweis auf die geschlechtsspezifischen Herangehensweisen gerade in Bezug auf den Computer und damit auf die Neuen Medien. Denn wie bereits erwähnt, haben Mädchen andere Erwartungen und Bedürfnisse an das Medium. Diese Unterschiede in der Interessenlage von Jugendlichen generell muss in medienpädagogischen Überlegungen in der Schule verstärkt Berücksichtigung finden.

Ein guter Überblick über aktuelle Projekte mit neuen Medien und viele Anregungen findet sich im Handbuch Medien von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bühl 1999 (vgl. Baacke, Dieter/Kornblum, Susanne u.a. 1999).


 


Medienpädagogik und Urteilsbildung

Hinter all den hier genannten medienpädagogischen Aufgaben und Zielen, stehen genaugenommen die Bildungsziele der Schule als da wären Mündigkeit, Selbstbestimmung, Mitbestimmung etc. Außerdem wird ein aktiver und kreativer Umgang mit den Medien intendiert. Diese Aspekte führen abschließend zu einem weiteren nicht außer Acht zu lassenden Gesichtspunkt, der insbesondere im Zusammenhang mit den neuen Technologien Erwähnung finden muss, nämlich zum Problem der Urteilsbildung. Ein erneuter Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung: Durch Individualisierungsprozesse ist der Einzelne in einem Maße herausgefordert, sich neu zu orientieren und Entscheidungen zu treffen wie dies vordem nicht der Fall war. Dementsprechend ist die (Medien-)Pädagogik aufgefordert, Urteilsbildung und die Kompetenz zur Selektion anzuleiten und zu fördern (Sander, 1997, S. 6).

Grundsätzlich lassen sich in Anlehnung an richterliche Urteilspraxis sieben Regeln der Urteilsbildung formulieren, die die pädagogische Praxis gestalten könnten:

1. Regel: Das zu bearbeitende Problem sollte ein praktischer, in der Gegenwart relevanter Konflikt- oder Entscheidungsfall sein, der aus der Sicht der jugendliche Handlungssubjekte relevant und entscheidbar ist.

2. Regel: Die Kriterien zur Beurteilung des konkreten Falles sind zu so wählen, dass sie auch für die Beurteilung ähnlicher Fälle Gültigkeit beanspruchen können. Hierfür ist die praktische Vernunft zuständig.

3. Regel: Die für die Bearbeitung des Falles relevanten Aussagen über die Wirklichkeit (Sachverhaltsfeststellungen)müssen auf sachliche Richtigkeit, auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden. Hierfür ist die theoretische Vernunft zuständig.

4. Regel: Die Passung von Beurteilungskriterien und Aussagen über die Wirklichkeit ist schrittweise zu verbessern. Der Primat liegt bei der praktischen Vernunft.

5. Regel: Die Gesamtentscheidung ist so zu fällen, dass die Einzelurteile angemessen berücksichtigt werden.

6. Regel: Urteile sind zu veröffentlichen. Bei der Veröffentlichung des Urteils ist darauf zu achten, dass Unsicherheiten und Widersprüche in der Urteilsbildung nicht kaschiert, sondern sichtbar werden.

7. Regel: Setze die Regeln 1-6 in Kraft z.B. dadurch, dass sie von denen, die gemeinsam an einem Entscheidungskonflikt arbeiten, beschlossen und bei der Bearbeitung des Falls beachtet werden (alle Zitate aus Sander, W. 1997, S. 9-14).

In Bezug auf die Neuen Medien ist die Urteilsbildung in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Es ist notwendig zu überprüfen, welches Medium für die eigenen Zwecke nützlich ist. Dazu ist es natürlich unerlässlich sich darüber klar zu werden, wozu das Medium dienen soll, z.B. der Unterhaltung, der Information etc. und welche Kriterien für die Entscheidungsfindung relevant sind. Durch das Abwägen der Argumente, die für bzw. gegen ein bestimmtes Medium sprechen, und die Verknüpfung mit vorhandenen Erfahrungen, kommt man dann zu einem Urteil.

Die Urteilsbildung ist aber auch auf der inhaltlichen Ebene Neuer Medien, hinsichtlich der Frage, wann aus Information Wissen von Belang. Beispielsweise geht es in der virtuellen Welt des Internets darum, aus der Flut von Informationen gemäß der konkreten Entscheidungsfragen die Informationen herauszufinden, die relativ gültig und zuverlässig sind.

Für die Brauchbarkeit des Urteils hinsichtlich konkreter Problemstellungen ist nicht nur die Qualität des Sachwissens von Bedeutung, sondern auch die Qualität der Kriterien, die zugrunde gelegt werden. Es reicht beispielsweise nicht aus, allein ökonomische und technologische Wirkungen Neuer Medien als Kriterien aufzustellen, sondern auch soziale und psychische Folgen neuer Technologien müssen in den Kriterienkatalog aufgenommen werden, um zu einem verantwortlichen Urteil kommen zu können.(vgl. Sander, Wolfgang, Multimedia-Informationsgesellschaft, in: Wochenschau-methodik, Didaktische und methodische Hinweise für die Sekundarstufen I und II, H.3/4 1996, S. 12.)

Gelänge es, diese Bildungsziele hinreichend zu verwirklichen, wäre ein ängstlicher Blick in die Zukunft einer Multimediagesellschaft nicht nötig. Denn dann wären Jugendliche in ihrer Freizeit nicht nur passive Rezipienten der Medien, sondern aktive und verantwortungsbewusste Nutzer. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass es darüber hinaus wichtig ist, Jugendlichen auch nichtmediale Freizeitaktivitäten anzubieten.