Zunehmend tritt ein Teil der türkischen Bevölkerungsgruppe ins Blickfeld der Öffentlichkeit, der so gar nicht in das Bild des typischen Ausländers passen will: die türkischen Unternehmer. Das türkische Unternehmertum in Deutschland entstand in den sechziger und siebziger Jahren, als die Nachfrage nach bestimmten Waren und Dienstleistungen in der türkischen Wohnbevölkerung zur Herausbildung der sogenannten Nischenökonomie rührte. Besonders während der ersten Hälfte der achtziger Jahre stieg das Interesse der Türken an einer selbständigen Erwerbstätigkeit sprunghaft an. Ihre Angebote wurden mehr und mehr auch von der deutschen Kundschaft angenommen.
Viele Faktoren begünstigten die türkischen Geschäftsgründungen. So verwarfen zahlreiche Türken der ersten Generation ihren ursprünglichen Plan, sich in der Türkei selbständig zu machen. Die schlechte wirtschaftliche Situation in der Heimat, die negativen Erfahrungen von Rückkehrern, die Verwurzelung der eigenen Kinder in Deutschland waren Ursachen dafür. Die Geschäftsgründung in der Bundesrepublik erschien vor diesem Hintergrund als vorteilhafte Alternative zur Selbständigkeit in der Türkei. Und wenn sich die erste Generation diesen Wunsch nicht zu erfüllen vermochte, wurde er auf die Kinder übertragen, die mit dem im Laufe der Jahre angesparten Kapital günstigere Startbedingungen hatten.
In den letzten Jahren hat es bei ausländischen und türkischen Unternehmern einen wahren Gründungsboom gegeben: Von 1990 bis 1997 stieg die Zahl der türkischen Unternehmen von 33 000 auf 47 000; das entspricht einer beachtlichen Zuwachsrate von 42,4 Prozent.
Das Spektrum des unternehmerischen Engagements ist äußerst breit. Es reicht von den vertrauten Lebensmittelläden und Handwerksbetrieben über Buchhandlungen und Verlage bis zu innovativen Branchen wie der elektronischen Datenverarbeitung und Medienproduktion. Als Warenproduzenten, Dienstleister und Arbeitgeber tragen türkische Selbständige so zum allgemeinen Wohlstand und zum Wettbewerb auf lokalen Märkten bei.
Das Zentrum für Türkeistudien hat in zahlreichen empirischen Studien die betriebsstrukturellen Merkmale der türkischen Selbständigen näher untersucht. Auffallend sind vor allem der hohe Anteil an Familienbetrieben ohne zusätzliche "Fremd-Mitarbeiter" sowie die geringe Anzahl an Großunternehmen. Rund 40 Prozent der türkischen Selbständigen führen Kleinstbetriebe mit nur ein bis zwei Mitarbeitern, die zudem meistens aus der eigenen Familie stammen.
Die größte Gruppe, nämlich rund die Hälfte der türkischen Unternehmer, beschäftigt drei bis neun Mitarbeiter. Diese rekrutieren sie nicht mehr nur aus der Familie, sondern auch im Bekanntenkreis oder bereits auf dem Arbeitsmarkt. Diese Gruppe bildet den türkischen Mittelstand. Größere Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern sind in der Minderzahl: Nur knapp zehn Prozent fallen in diese Kategorie. 1997 waren in türkischen Betrieben insgesamt 206 000 Mitarbeiter beschäftigt.
Türkische Selbständige bevorzugen bestimmte Branchen: Zwei Drittel von ihnen sind im Einzelhandel und in der Gastronomie tätig. Diese Ballung hat sich allerdings in den letzten Jahren verringert. Die türkischen Unternehmen sind jung: Die meisten sind erst in den letzten 15 Jahren gegründet worden. Häufig traten sie zunächst vorwiegend als Nischenanbieter für die Zielgruppe ihrer Landsleute auf. Die stetige Zunahme der Zahl türkischer Selbständiger hat aber auch über diesen Absatzmarkt hinaus zu einer beträchtlichen Steigerung der Gesamtinvestitionen, Jahresumsätze und Beschäftigungsquoten geführt.