M 04.02 Ausländische Arbeitnehmer in Deutschland - Hintergründe
 


Das 'Wirtschaftswunder' sorgte dafür, dass bereits in den fünfziger Jahren Arbeitskräfte auf bestimmten Teilarbeitsmärkten wie zum Beispiel dem der Bauindustrie knapp wurden. Ab ca. 1960 machte sich in der Bundesrepublik ein steigender Arbeitskräftemangel bemerkbar:

Für den Arbeitskräftemangel waren folgende Gründe verantwortlich: Die Arbeitszeit wurde von 46,1 Stunden im Jahre 1957 auf 41,6 Stunden im Jahre 1967 verkürzt. In vielen Berufen wurde die Ausbildungsdauer verlängert. Der Aufbau der Bundeswehr entzog eine halbe Million Wehrpflichtiger und Zivilbediensteter dem Arbeitsmarkt. Durch den Bau der Mauer 1961 versiegte die Zuwanderung oft hochqualifizierter Facharbeiter aus dem Osten Deutschlands. Obwohl durch den technischen Fortschritt Arbeitskräfte eingespart werden konnten, überstieg 1960 zum erstenmal die Zahl der offenen Stellen die Zahl der Arbeitslosen.

Genau umgekehrt verlief die Entwicklung im europäischen Mittelmeerraum und in der Türkei. Hier wuchs die Zahl der Arbeitsuchenden ständig. Viele dieser Menschen sahen in einem befristeten Arbeitsaufenthalt im Ausland eine Möglichkeit, zu relativem Wohlstand zu gelangen. Die Regierungen der Mittelmeerländer hofften, dass die meisten 'Gastarbeiter' den Großteil ihres Verdienstes in ihre Heimatländer zurückbringen würden. Die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte durch die Bundesrepublik Deutschland lag also im Interesse aller Seiten. 1955 wurde mit Italien ein Vertrag über die Anwerbung italienischer Arbeitskräfte geschlossen. Diesem Vertrag folgten weitere mit anderen südeuropäischen und nordafrikanischen Staaten wie Marokko und Tunesien.

Die neuen ausländischen Arbeitskräfte wurden von Firmen und der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik freudig begrüßt. Der Fleiß, die Freundlichkeit und die Bescheidenheit der 'Gastarbeiter' beeindruckten die deutsche Bevölkerung. Der einmillionste Gastarbeiter wurde 1964 mit Musik und einem Gastgeschenk begrüßt.

Ihren Höhepunkt erreichte die Beschäftigung von Gastarbeitern 1973 mit 2.595.000. Das entsprach 11,3% aller Erwerbstätigen in Deutschland. Nachdem die wirtschaftliche Entwicklung schon 1967 einen ersten Rückschlag erlitten hatte, setzte nach der Anhebung der Erdölpreise 1973 eine ernste Wirtschaftskrise mit zunehmender Arbeitslosigkeit ein. Die Bundesregierung reagierte unter anderem mit einem Anwerbestopp für ausländische Arbeitnehmer. Vorübergehend trat auch eine Entlastung des Arbeitsmarktes zwischen 1973 und 1978 um eine Dreiviertel Million ein, dann aber stieg, wenn auch langsamer, die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer wieder.

Mit der Wirtschaftskrise änderte sich auch die Haltung vieler Deutscher gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern. Diese wurden teilweise für die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht. Rückschickungsforderungen wurden laut. Ungerecht und ohne Sachkenntnis waren solche Überlegungen deshalb, weil die hauptsächlich von der Arbeitslosigkeit betroffenen Deutschen Berufe ausübten, die von 'Gastarbeitern' gar nicht belegt waren. Und umgekehrt wären die meisten dieser Arbeitslosen nicht bereit gewesen, Jobs zu übernehmen, in denen die Ausländer hauptsächlich beschäftigt waren. So kamen zum Beispiel 1981 ca. 25 % aller Arbeitslosen aus Büroberufen, während viele Gastarbeiter auf Arbeitsfeldern tätig waren, die mit Schmutz (z.B. Müllbeseitigung) oder Monotonie (z.B. Fließbandarbeit in Fabriken) zu tun hatten.

Nicht 'die Ausländer' nutzten deutsche Arbeitslosigkeit aus - im Gegenteil: viele 'Gastarbeiter' wurden durch gewissenlose Deutsche ausgebeutet. Schon in den ersten Jahren der Ansiedlung ausländischer Arbeitnehmer gab es schwerwiegende Fälle von Mietwucher. Die Erwartung, dass die meisten 'Gastarbeiter' zunächst ohne ihre Familie nach Deutschland kommen würden, erwies sich als durchaus richtig. Das nutzten einige 'Miethaie', indem sie kleine Räume für viel Geld an mehrere Ausländer vermieteten. In Unkenntnis der deutschen Rechtsverhältnisse und wegen fehlender Sprachkenntnisse wehrten sich die Ausgebeuteten oft nicht.

Viele 'Gastarbeiter' entschieden sich, nach den guten, wirtschaftlich erfolgreichen Jahren in Deutschland die Bundesrepublik zu ihrer 'zweiten Heimat' zu machen. Sie sahen hier größere Zukunftschancen als in ihren Herkunftsländern. Jetzt holten sie ihre Familien nach. Für viele der nach 1967 Angeworbenen wurde es selbstverständlich, dass sie gleich mit ihren Familien in die Bundesrepublik übersiedelten. Diese aus menschlich-sozialen Gründen notwendige Familienzusammenführung konnte zu Problemen im Miteinander zwischen Ausländern und Deutschen führen, eröffnete zugleich aber auch die Möglichkeit einer wirklichen Integration, eines Kennenlernens im Alltag. So kann es bis heute beispielsweise in der Schule aufgrund der Sprachschwierigkeiten bei gleichzeitiger Pflicht zum Besuch einer deutschen Schule zu Interessenkonflikten zwischen ausländischen und deutschen Schülern bzw. deren Eltern kommen. Der mögliche Gewinn nach der Überwindung dieser Schwierigkeiten in gemeinsamer Anstrengung (etwa durch besondere Sprachkurse) lohnt jede Mühe: das Kennenlernen, Zusammenleben und die Freundschaft mit gleichaltrigen Angehörigen einer anderen, interessanten Kultur.

Die meisten Kinder ausländischer Arbeitnehmer leben heute aber schon seit ihrer Geburt in Deutschland. Die Bundesrepublik ist ihre Heimat genauso wie für deutschstämmige Kinder auch.

Aus: University of Minnesota Duluth. http://www.d.umn.edu/~hfriedr1/Ger3305/AuslaendUebers.html (download vom 16.09.2000)

Arbeitshinweise:

1. Warum kam es in der Bundesrepublik zu Beginn der sechziger Jahre zu einem Arbeitskräftemangel?
2. In welchen Arbeitsfeldern sind viele Gastarbeiter tätig geworden?
3. Wann änderte sich die Haltung vieler Deutscher gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern?

 

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