M 05.01 Memis Bozkir (Arbeiter): „Deutsches Heim - Glück allein"
 


Ganze 13 Jahre bin ich nun in Deutschland als Arbeiter. Ich wohne Altinova (Goldebene). Versteh' es nicht falsch, nicht das Altinova aus der Türkei. sondern Deutschlands Altinova (Altona). Haste noch nicht gehört? Ein Viertel in Hamburg. Sagtest du "Altonya". Du sprichst wie die Deutschen. Wir sagen "Altinova". Nicht weit, wenn du in 'nen S-Bahn-Zug steigst, zehn Minuten.

Worüber willste denn mit mir reden'? Über die Deutschen? Echt, von den Deutschen hab' ich keine Ahnung, nichts mit zu tun! Weder kennen sie mich, noch ich sie! Bei uns in Altinova wohnen Türken. Es gibt auch Deutsche, aber ihre Reden, ihre Sprache dringt nicht zu uns. Unsere Wohnung. unsere Arbeit. unsere Sprache und unsere Sitten sind voneinander getrennt. Sie sind die Fettaugen und wir die Suppe; sie oben und wir unten. Doch mach' dir nichts daraus: das Schmackhafte liegt bei uns. Manchmal sagen sie: "Guten Tag.". Dann sage ich: "Guten Tag". Wörter wie "Bitte schön" und "Danke" werden gewechselt. [...]

Solange wie ich in diesem Land bin. ist kein deutsches Essen auf meinen Tisch gekommen. Deutsches Brot können wir auch nicht essen, schmeckt nicht und ist teuer. In- der Stadt kaufe ich Mehl. Das Brot backt die Frau zu Hause. Pasteten, Nudeln, Blätterteig und so wird zu Hause gemacht, alles aus Mehl. Auch für Milch, Joghurt und Buttermilch gebe ich kein Geld aus. Vom Bauernhof hole ich Milch im Kanister: ist billig und frisch. Joghurt, Käse und- Buttermilch macht das Weib davon mit eigenen Händen. Griess, Wurst, Linsen, Oliven oder solche Dinge bringe ich bei der Rückkehr aus dem Urlaub mit. Mit anderen Worten: für's Essen gebe ich nicht viel aus. Ach ja. ich geh' auch nicht in 'ne Kneipe, spiele nicht, renne nicht hinter Frauen her. Gehe morgens zur Arbeit und komme abends zurück. Dann noch am Samstag und Sonntag zum Bahnhof...

Laß doch die Deutschen zufrieden. Freund, kannste nichts anderes erzählen? Ich rede nicht hinterm Rücken über die Deutschen. Den Leuten verdanke ich's, dass ich was zu picken habe. Mit Flicken auf der Hose war ich hergekommen, hatte nicht mal 'nen Hemd an. Ihnen sei's gedankt, jetzt habe ich in Istanbul zwei Wohnungen. In Erdek Grundstücke beim Katasteramt und Geld auf der Bank. Gott vergelt's dem deutschen Heim.

Ich weiß es schon zu schätzen, wo ich zu essen kriege. Unsere Menschen sind ein bißchen undankbar. Sind mit der Arbeit, dem Lohn nicht zufrieden. machen sich drüber lustig, feiern krank und beschweren sich über die Deutschen. [...] Geht's mir schlecht, feiert ich nicht krank, mit der Hand auf dem Bauch maloche ich. Höre ich was Schlechtes, sage ich: "Gut". Selbst wenn man auf deine Mutter schimpft, sagste: "Gut". Wenn nicht, fliegste. Gibt's eine andere Lösung?

Vor sechs Monaten war ich nach Neu-lstanbul gefahren. Nicht Istanbul in der Türkei, was du meinst, sondern das neue Istanbul in Deutschland. Neu-lstanbul liegt 25 bis 30 Kilometer wo Hamburg entfernt, am anderen Ufer der Elbe. Dort gibt's viele Obst- und Gemüsegärten. Der deutsche Name der bedeutendsten Stadt ist "Fickener" (Finkenwerder). Den Namen "Neu-lstanbul" haben unsere Leute erfunden. Die Deutschen haben sich schon dran gewöhnt, auch sie sagen:" Neu-lstanbul. Die Arbeiter in den Gärten sind alle von uns, das heißt Türken. Als Touristen sind sie nach Deutschland 'rein und wollten nicht mehr zurück. Aus Mitleid haben die Deutschen ihnen Arbeit gegeben und sie 'rangekriegt Weil sie illegal waren. gab's s wenig Stundenlohn, so etwa fünf oder sechs Mark. Tja, Mann, Allah habe ein Wohlgefallen, die Leute haben dich nicht verhungern lassen. Was willste mehr? Aber unsere, nachdem sie sich ein Plätzchen erobert hatten, haben gestreikt, weil sie den gleichen Lohn wie die anderen wollten. Sowas nennt man Glatze haben und eitel sein. Freund, Dann haben die Chefs ihnen den Laufpaß gegeben. Die Rädelsführer zur Polizei und von da abgeschoben. Das haste von Streik und mehr Lohn! ...

Man sagt, dass arme Hunde ihre Schwänze einziehen. Die hier sind total arm, sie sind hungrig, illegal und haben auch noch den Schwanz in der Luft. In der eigenen Heimat, auf dem Hof des Agas, kannste da streiken, dem Aga die Stirn bieten? Der würde seine Pistole ziehen und dich erschießen. Unter ihnen war auch mein Cousin. Ich habe ihm ein-gepaukt, sich nicht einzumischen, zu allem "Ja" und "Amen" zu sagen. Egal, was der Meister auch sagte, und selbst wenn er auf die ganze Sippe fluchte, sollte er "Ja, Meister" sagen. Viele Kollegen lernen absichtlich kein Deutsch. Warum? Um die Schimpfwörter nicht zu verstehen. Denn man flucht ein-, zweimal auf dich und wenn es dir bis zum Halse steht, ziehste die Pistole. Deswegen ist es das beste, kein Deutsch zu lernen. Egal. was der Meister sagt, wenn du als Antwort "Ja, Meister" sagst, ist das genug. Die Meister geben sowieso nur Befehle und erwarten von dir keine Antwort. All das habe ich haarklein meinem Cousin erzählt Aber der hat nicht drauf gehört, sich den Anarchisten angeschlossen und gestreikt. Deshalb haben sie ihn 'rausgeworfen. [...]

Sagtest du Nachrichten? ... Manchmal höre ich die Gastarbeitersendungen im WDR. Sagtest du Zeitung? Lese ich nicht. Krieg' ich eine in die Hand, schaue ich 'rein. In der Heimat habe ich auch keine Zeitung gelesen. Mach' dir nichts draus, durch's Lesen werd' ich auch nicht allwissend. Mein Deutsch ist gut, reicht mir. Deutsche Nachrichten höre ich nicht. Im Fernsehen gucke ich Filme und alles. Noch vor der Hälfte des Filmes werde ich müde und schlafe ein. Jeden Morgen stehe ich um sechs Uhr auf...

Da ich mit den Deutschen nicht rede, weiß ich nicht, was sie denken, Unter ihnen gibt's Gute und Schlechte. In jedem Land, jedem Staat gibt es gute und schlechte Menschen. Mir haben sie keinen Schaden zugefügt. Die Deutschen sind für mich wie ein Bild. Ich sehe es, es bewegt sich und spricht... Wieso sollte ich kein Deutsch sprechen; ich lebe und arbeite in Deutschland. 13 Jahre, das ist leicht gesagt. An bestimmten Orten spreche ich Deutsch. Wenn ich morgens auf dem m Weg zur Arbeit keine Fahrkarte habe, gehe ich zum Schalter und sage: "Für 'ne Mark achtzig". Der Schalterbeamte streckt die Fahrkarte 'raus, sagt: "Bitte schön", und ich sage: "Bitte schön". Am Arbeitsplatz angekommen, sage ich: "Guten Morgen". Der Meister sagt kurz "Moin". Bei der Arbeit gibt's nichts zu quatschen. nur Arbeit Der Meister kommt und sagt manchmal: "Schnell". "Gut", sage ich. Am Ende der Arbeitszeit sagt er: "Fertig" (heißt soviel wie "Okay, Feierabend"). Ich sage: "Ja, Meister". Beim Abschied sage ich. "Bis Morgen". Der Meister erwidert: "Bis Moin". Dann komme ich nach Hause. Ich esse, werde schwer, schlafe ...

Auch beim Einkauf ist Deutsch nötig. Die Wocheneinkäufe machen wir am Wochenende Die Frau kann kein Deutsch, das Reden mache ich. Was wir kaufen, liegt sowieso frei da, die Preise sind aufgedruckt. Ich hole was und werfe es in den Korb. Die Kassiererin rechnet alles aus und sagt: "Fünfunddreißig Mark und 'n paar Pfennige, oder "Vierzig Mark", paar Pfennige. Unsere Ausgaben schwanken pro Woche zwischen 30 und 40 Mark, nicht drunter oder drüber. Ich gebe 100 Mark. Wenn ich das Wechselgeld kriege, sagen wir gegenseitig: "Danke... Bitte schön", und fertig. Sonst ist Deutsch nicht so sehr nötig.

Eine Eigenschaft der Deutschen mag ich nicht. Sie erlauben den Frauen zuviel. Einmal war ich mit meiner Frau in ein großes Kaufhaus gegangen. Dort gehe ich hin. wenn der Urlaub bevorsteht Für Verwandte und Freunde kaufe ich Geschenke. Wie immer war ich vorn und die Frau hinter mir. Mit der Rolltreppe war ich in den ersten Stock gefahren. Ich drehte mich um, keine Frau zu sehen. Unten vor der Rolltreppe stand sie. Ich winkte und rief: "Los, steig drauf Mädchen!" Von unten tönte ihr Ruf "Hab" Angst" herauf. Dieser Frau habe ich in Deutschland nichts von Zivilisation beibringen können. Ein dummes Dorfmädchen, kann nicht lesen und schreiben. Was ich sage, geht bei ihr ins eine Ohr 'rein, zum anderen wieder hinaus. Jetzt hängt sie mir am Hals, und du kannst sie nicht loswerden oder verkaufen. Ich rief wieder "Steig rauf. komm!" Erneut blieb sie mit den Worten "Hab' Angst" wie ein bockiger Esel stehen. So viele Menschen lachten über uns. Wir waren blamiert! Zornig ging ich runter, ein Tritt in den Arsch, einige Hiebe« auf Rücken und Nacken. Es war als ob die Welt zusammenbrach, Freund. Die Deutschen, Männer und Frauen hatten uns umzingelt Ganz böse schauten sie uns an und redeten was. Einige kamen auf mich zu. In dem Augenblick setzte es bei mir erst recht aus. Ich ballte meine Faust: "Was geht euch das an, ihr Schufte?", sagte ich, "gehört das Weib etwa nicht mir? Ich kann es schlagen und auch lieben." Das habe ich alles auf Türkisch gesagt Weil ich wütend war, habe ich mich nicht dazu herabgelassen, ihre Sprache zu sprechen. Sie schrien: "Polizei, Polizei!" Zum Glück hakte sich mein Weib just in dem Augenblick bei mir ein und stieß die Leute mit den Worten "Nein! Nein!" weg, während sie mich fortzog. Sie konnte gerade "Nein" sagen und "Ja". Ihr "Nein" allein hat mich vor der Polizei und dem Gericht gerettet. Unser Weib ist dumm, aber in schwierigen Lagen ist sie schon ein Mannsweib.

Aber sonst kann ich nichts Schlechtes über die Deutschen sagen. Ich weiß es zu schätzen, wo ich esse. Ein "Dreimal Hoch" für das deutsche Heim.

Aus: Akcam Dursum: Deutsches Heim, Glück allein - wie die Türken Deutschland sehen: Lamuv-Verlag: Bornheim/Merten 1982, S. 57-63.
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