M 06.04 Briefträger
 


Heutzutage ist der Ausländer ja scheinbar an allem Schuld. An der Arbeitslosigkeit , an der Wohnungsnot, am Finanzchaos, an der vermurksten Wiedervereinigung, an der CDU. Jetzt rufen sie "Deutschland den Deutschen". Dann stellen wir uns mal vor, sagt der Ausländer auf einmal: "Jut, wenn ihr uns hier nicht haben wollt, dann gehn wir eben, Tschöö!"

Dä, jetzt sind die Ausländer weg, und die Probleme sind immer noch da. Sogar noch ein paar ganz beträchtliche dazu. Isset doch der Deutsche schuld. Aber wer? Lassen wir mal gerade überlegen, wen nehmen wir jetzt?

Der Behinderte. Der Behinderte ist schuld. Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg, die nehmen uns die Rollstühle weg, die nehmen uns die Parkplätze weg. Diese ganzen Behindertenparkplätze. Und das bei dieser Parkplatznot. Man kann doch so einem Behinderten keinen Parkplatz geben, wenn man selber keinen hat.

Jut, sagen die Behinderten, gehen wir eben woandershin, macht euren Scheiß alleine. Dä, Sündenbock weg, Feindbild kapott, Probleme immer noch da. Wat machemer? Kapott, en neu! Der Briefträger? Genau! Der Briefträger ist ja von Natur her gar nicht vorgesehen, dat merkt man ja schon an den Hunden, die bellen sofort, die beißen den; wenn sich schon dagegen wehrt, muß der raus. Ist ja völlig unnatürlich.

Außerdem bringt der ja alles Schlechte, alles Böse, alles Schlimme, das kommt ja alles vom Briefträger. Die Mahnbescheide, die Entlassungen, die Rechnungen, die Todesanzeigen, wer die Nachricht überbringt, ist auch Täter. Die Briefträger, das sind ja auch ne ganz andere Kultur, die passen ja janich hierhin. Sie müssen mal gucken, wenn die morgens da ausschwärmen, mit ihren blauen Taschen und komischen Karren, das sind ja quasi Nomaden. Ich hab sogar gehört, die pinkeln teilweise ins Gebüsch. Ich mein, ich habs jetzt persönlich nicht gesehen, aber die sollen auch schonmal auf den Bürgersteig kacken. Ich hab das selbst noch nicht gesehn, aber sagt man. Das kann ja auch nicht alles von den Hunden kommen.

Ich mein, die sind ja auch den ganzen Tag unterwegs, ist ja klar, dass da mal die Notdurft kommt. Aber dann dürfen sie sich auch nicht wundern, dass der Bürger hinterher sagt, dass das so nicht geht. Ich bin nicht briefträgerfeindlich, ich kenne einen, der ist sogar ganz nett, aber wenn das jeder machen würde, wo kämen wir denn da hin. Wir sind kein Zustellerland. Der Briefkasten ist voll.

Da sind ja auch viele Scheinbriefträger dabei. Müssense mal gucken, was die zum Teil für Scheine in der Tasche haben. Die wollen ja in Wirklichkeit nur hier arbeiten und ihr Geld verdienen. Gucken Sie mal in ihren Briefkasten, der ist doch überflutet von Scheinpost, Werbesendungen, Pseudobriefen. Da wird doch auch viel Mißbrauch getrieben. Und eben deshalb ist das richtig, dass jetzt endlich das Grundgesetz geändert wird. Weil da auch Mißbrauch mit betrieben wird, schaffen wir gleich die ganze Post ab...

Aus: Becker, Jürgen und Didi Jünemann: Briefträger. In: Bruno Zimmermann (Hrsg): Arsch huh, Zäng ussenander! Köln: Bund Verlag 1993.

Arbeitshinweise:

1. Erläutere die Aussageabsicht der Künstler!
2. Welche Begründung für Fremdenfeindlichkeit wird hier dargestellt?
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