Die modernen Vorurteilsforscher sind überwiegend der Meinung, feindselige Vorurteile würden erlernt, also von den Eltern und aus der Umwelt übernommen. Sie verweisen dabei auf die Tatsache, dass Kleinkinder offenbar noch keine Aversionen gegen den Andersartigen kennen, sondern ungehemmt mit Kindern von Schwarzen, Türken, Puertoricanern, von Minderheiten überhaupt spielen, ohne deren Andersartigkeit wahrzunehmen. Erst mit dem Schulalter erwachen offenbar die Vorurteile und erreichen bei pubertierenden Jugendlichen einen ersten Höhepunkt.
Trotzdem kann die Lehrmeinung der Vorurteilsforschung, wonach Feindbilder von Eltern oder Umwelt erlernt werden, nicht ganz überzeugen. Das weltweite Auftreten des Phänomens spricht dagegen. Wenigstens eine Gesellschaft hätte sich dann doch finden lassen müssen, die ohne Feindbilder und ohne Aversionen gegen den Nachbarn auskommt. Man hat danach gesucht - vergebens. Dabei sind die Wurzeln des feindseligen Verhaltens gegen den Andersartigen nicht schwer aufzudecken. Man stößt auf sie, sobald man die Frage stellt, was denn den Fremden, den Andersartigen von einem selbst und von den Mitgliedern der eigenen Gesellschaft unterscheidet. Der Fremde, so zeigt sich dann, unterscheidet sich dadurch, dass er andere Werte für heilig hält und andere „Götter" verehrt als man selbst. Das bedeutet aber automatisch, dass er die eigenen Werte, die man selbst für heilig hält, gering achtet oder gar ablehnt.
Die modernen Vorurteilsforscher sind überwiegend der Meinung, feindselige Vorurteile würden erlernt, also von den Eltern und aus der Umwelt übernommen. Sie verweisen dabei auf die Tatsache, dass Kleinkinder offenbar noch keine Aversionen gegen den Andersartigen kennen, sondern ungehemmt mit Kindern von Schwarzen, Türken, Puertoricanern, von Minderheiten überhaupt spielen, ohne deren Andersartigkeit wahrzunehmen. Erst mit dem Schulalter erwachen offenbar die Vorurteile und erreichen bei pubertierenden Jugendlichen einen ersten Höhepunkt.
Trotzdem kann die Lehrmeinung der Vorurteilsforschung, wonach Feindbilder von Eltern oder Umwelt erlernt werden, nicht ganz überzeugen. Das weltweite Auftreten des Phänomens spricht dagegen. Wenigstens eine Gesellschaft hätte sich dann doch finden lassen müssen, die ohne Feindbilder und ohne Aversionen gegen den Nachbarn auskommt. Man hat danach gesucht - vergebens. Dabei sind die Wurzeln des feindseligen Verhaltens gegen den Andersartigen nicht schwer aufzudecken. Man stößt auf sie, sobald man die Frage stellt, was denn den Fremden, den Andersartigen von einem selbst und von den Mitgliedern der eigenen Gesellschaft unterscheidet. Der Fremde, so zeigt sich dann, unterscheidet sich dadurch, dass er andere Werte für heilig hält und andere „Götter" verehrt als man selbst. Das bedeutet aber automatisch, dass er die eigenen Werte, die man selbst für heilig hält, gering achtet oder gar ablehnt.
Das eigene Wertsystem ist aber bereits in frühester Kindheit, wohl mit der Sprache, von Eltern und Umwelt übernommen und verinnerlicht worden. Das heißt nichts anderes, als dass es einen Teil der eigenen Identität, der eigenen Persönlichkeit bildet.[...]
Der Andersartige nun, der andere Werte für wahr hält, andere Götter verehrt und ein anderes Vaterland liebt, muss damit natürlich mein eigenes Wertsystem für gering achten, ja ablehnen. Da dies aber Teil meiner Identität ist, liegt es nahe, dass ich mich selbst für gering geachtet oder abgelehnt empfinde. Bei zwei Beispielen wird dies ganz deutlich. Wenn jemand die Speisen, die ich esse, für kultisch unrein erklärt, dann ist damit notwendig impliziert, dass er auch mich für kultisch unrein, für einen „Heiden", einen Ungläubigen ansieht. Hier liegt also die Aggression schon recht nahe. Dasselbe gilt, wenn jemand seinen Gott für den einzig wahren erklärt: Automatisch degradiert er damit meinen Gott zum Götzen, und mich zum Götzendiener.[...]
Die Andersartigkeit desjenigen, der nicht zur eigenen Gemeinschaft gehört, wird also als Ablehnung der eigenen Identität und damit als eine indirekte Aggression empfunden, ganz besonders dann, wenn jene Andersartigkeit noch betont wird - wozu der Fremde natürlich ein unveräußerliches Recht hat. Denn auch seine Identität ist wesentlich von der Zugehörigkeit zu seiner Gemeinschaft geprägt. Was die Kinder von den Eltern und der eigenen Gemeinschaft übernehmen, sind also nicht unbedingt deren Vorurteile, sondern deren Wertsysteme. Aus ihnen folgt fast zwangsläufig das Erwachen von Feindseligkeit gegen den Andersartigen, sobald der sich seiner selbst bewusst werdende junge Mensch mit diesem zusammentrifft. Der Ausdruck „Vorurteil" für die Antipathie gegen den Andersartigen ist in sofern unglücklich gewählt, als er nahezulegen scheint, dass es sich bei dieser Antipathie um falsche Vorstellungen, um falsche und dumme Meinungen handele und dass es lediglich der Aufklärung bedürfe, damit der Hass gegen den Fremden beigelegt wird. Doch dem ist leider ganz und gar nicht so. Alle Vorurteilsforscher stöhnen darüber, wie schwer Vorurteile auszuräumen seien; und Alexander Mitscherlich bemerkte, dass derjenige, dessen Vorurteil gegen einen Andersartigen schlüssig widerlegt wird, dann Unlustgefühle verspürt.
Diese Tatsache ist nicht schwer zu erklären: Wer etwa eine Antipathie gegen Schwarze hat, glaubt sie vielleicht damit zu begründen, dass er das Vorurteil vertritt, Schwarze seien weniger intelligent als Europäer. Der wahre Grund seiner Antipathie ist die Andersartigkeit des Schwarzen, durch die er sich herausgefordert und verunsichert sieht. In seiner Antipathie steckt somit auch einiges an Furcht. Sein „Vorurteil" ist also nur die „Rationalisierung" seiner Abneigung, deren wahren Grund er nicht zu erkennen vermag. Nimmt man ihm nun dieses Vorurteil, so nimmt man ihm doch nicht seine Abneigung gegen den Schwarzen. Diese wird sich vielmehr so schnell wie möglich ein neues Vorurteil suchen, das sich als begründet erscheinen läßt; etwa, dass Afrikaner faul seien. [...]
Die Neigung des Menschen, gegen den Angehörigen einer fremden Gemeinschaft feindselige Gefühle zu entwickeln, ist also weder genetisch direkt angelegt, noch folgt sie direkt aus den Mustern unserer Gesellschaft. Sie erwächst vielmehr aus den Strukturen der menschlichen Psyche, und zwar solange die Menschheit in verschiedene Gemeinschaften aufgeteilt ist, die sich durch Sprache, Kultur und Geschichte unterscheiden.
Wo also müsste die Erziehung zur Toleranz ansetzen? Es mag absurd klingen, aber sie müsste bei der behutsamen Bildung eines gesunden Selbstwertgefühls beginnen. Denn nur derjenige, der sich des eigenen Wertes in ruhiger Sicherheit bewusst ist, kann auch den Andersartigen gelten lassen, ja dessen kulturellen Leistungen hoch schätzen. Wessen Selbstwertgefühl jedoch beschädigt ist, der sieht in der Andersartigkeit des Fremden nur eine zusätzliche Gefährdung. Von den weißen Dockarbeitern in New York ist bekannt, dass gerade sie zu den erbittertsten „Neger"feinden zählen.[...]
Dieser Grad ruhigen Selbstbewusstseins, der es sich erlauben kann, die Verdienste des anderen anzuerkennen und hochzuschätzen, ist vom Durchschnittsmenschen nur schwer zu erreichen; das muss realistischerweise eingestanden werden. Zudem hat es mit der Bildung eines gesunden Selbstwertgefühls so seine Tücken: Nur allzu schnell werden Arroganz und Selbsterhöhung daraus und wecken dann bei demjenigen, über den man sich erhebt, wieder Hass und Feindschaft.
Was sich jedoch lehren und ohne Beeinträchtigung des eigenen Selbstwertgefühls auch lernen lässt, das ist das Wissen vom Recht des anderen auf seine eigene Identität, also auf seine eigene Überzeugung und auf seine eigenen Götter. Diese anderen Überzeugungen müssen nicht für Wahr erkannt werden; das würde ja wieder eine Verunsicherung des eigenen Selbstwertgefühls bedeuten. Aber selbst wenn die fremden Götter verworfen werden, so ist doch das Recht des anderen auf sie als heilig und unverletzlich zu lehren, und zwar so früh wie möglich und unablässig. Das Recht des anderen auf seine Identität ist als einzige Basis des Zusammenlebens darzustellen, somit auch als einzige Basis des Friedens auf Erden; die Verletzung dieses Rechts aber muss als Barbarei, ja als Verbrechen geschmäht werden; dann bestünde vielleicht die Hoffnung, dass die offenen Auswirkungen von Feindbildern verschwinden.
Aus: Leder, Karl Bruno: „Der Hass auf fremde Götter". In: Süddeutsche Zeitung vom 10. und 11.9.1983.
Arbeitshinweise:
1. Worin sieht Leder die Ursachen für Fremdenfeindlichkeit?
2. Welche praktischen Ansätze zur Verringerung der Fremdenfeindlichkeit ergeben sich aus den Theorien Leders?
3. Wo liegen die Grenzen dieser Erklärungsansätze?