Ausländer rein: Warum das Boot plötzlich nicht mehr so voll ist
Wie schnell sich die Zeiten ändern. Mehr als zehn Jahre lang wurde in diesem Land vom Neonazi bis zur Elternsprecherin, von Schönhuber bis Schily dasselbe Lied gesungen: Deutschland könne beim besten Willen keine zusätzlichen Einwanderer mehr aufnehmen - das Boot sei voll, die Schmerzgrenze endgültig erreicht. Wer widersprach, galt als so genannter Gutmensch oder zumindest hoffnungslos realitätsfern.
Da platzte am Dienstagmittag die Meldung herein, dass führende Repräsentanten der Computer-Branche vor deren drohendem Kollaps warnen: Wenn nicht in den nächsten beiden Jahren wenigstens eine Viertelmillion Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben werde, sei es um die Chancen auf den Zukunftsmärkten schlecht bestellt. Gewerkschaften und Arbeitsministerium reagierten empört bis abweisend; und der Kanzler, der scheinbar wieder einmal allen nach dem Mund reden will, zaubert die Green-Card für die "Besten der Besten" aus dem Hut.
Den Unternehmern geht es vorrangig darum, den Auszug jener Spitzenkräfte, die das enge, weltabgewandte Deutschland in Richtung Kalifornien verlassen, dadurch zu kompensieren, dass zu vergleichsweise günstigen Konditionen junge, osteuropäische und fernöstliche Spezialisten angeworben werden, die so die Chance ihres Lebens bekommen. [...]
Der Aufschrei der Informations-Branche straft nun eine Politik Lügen, welche die letzten Jahrzehnte und über alle Parteigrenzen hinweg die konsequente Abschottung des deutschen Arbeitsmarktes nicht nur proklamiert, sondern auch handfest betrieben hat - und dies entgegen allen streberhaften Einsichten in die "Unausweichlichkeit der Globalisierung" . Die französische Regierung musste schon vor Jahren erkennen, dass die biologistische Arbeitshypothese, wonach der Volkskörper alles Fremde abstoße, zu dessen nachhaltiger Schädigung führte. Die jungen afrikanischen Eliten machten einen großen Bogen um das einstige koloniale Mutterland. Ein vielleicht vergleichbarer Erkenntnisprozess scheint nun - von den notorischen Ausfällen mal abgesehen - auch in Deutschland zu beginnen. [...]
von Florian Schneider.