M 09.03 Asylrecht abschaffen?
 


Die geplante Anwerbung indischer Computerspezialisten für die deutsche Wirtschaft macht eine Debatte über eine umfassende Neuordnung der Ausländerpolitik erforderlich. Sinkende Geburtenziffern, die Überalterung der Gesellschaft und wachsender Bedarf an Experten machen Deutschland unweigerlich zum Einwanderungsland. Nach einer Studie der Vereinten Nationen müssten bis 2050 rund 17 Millionen Ausländer ins Land kommen, um die derzeitige Bevölkerungszahl zu halten. Die Zuwanderung sollte indes nicht weiter maßgeblich dem ungeregelten Zustrom von Asylbewerbern überlassen bleiben, sondern durch eine jährlich neu festgelegte Quote gesteuert werden, die zwischen Flüchtlingen, Aussiedlern und qualifizierten Arbeitskräften differenziert. Sollte das Grundrecht auf Asyl daher zu Gunsten eines Zuwanderungsgesetzes abgeschafft werden? Zur These nehmen Stellung:

HEIKO KAUFFMANN
Sprecher von Pro Asyl

Wer die kurzsichtige Formel "Asylrecht gegen Zuwanderungsgesetz" propagiert, spielt nicht nur Flüchtlinge gegen Migrantinnen und Migranten aus, er ignoriert auch die Ursachen von Flucht und Wanderungsbewegungen und stellt völkerrechtlich bindende Konventionen in Frage. Zuwanderung auf Grund ökonomischer und demografischer Interessen und die Aufnahme von politisch Verfolgten dürfen nicht miteinander vermischt werden. Das Asylrecht ist eine Errungenschaft der Zivilisation nach den Erfahrungen von Gewalt, Vertreibung und Barbarei des 20. Jahrhunderts. Die sträflichen Versäumnisse der Politik in den letzten Jahrzehnten sind nicht durch Greencard-Panik oder falsche Alternativen zu lösen, sondern nur durch gestaltende Gesamtkonzepte zu Migration, Flucht und Integration, die über den nationalen Tellerrand hinausblicken. Gefragt ist ein grundsätzlicher neuer Ansatz: Lieber offen sein als dichtmachen!

SIBYLLE TÖNNIES
Juristin und Publizistin

Die Planung eines Zuwanderungsgesetzes dient im Wesentlichen der Image-Pflege. Zwei Seiten profitieren von ihr: Die Greencard dient Gerhard Schröder als Werbespot; sie gibt ihm ein frisches amerikanisches Styling. Nötig ist sie nämlich nicht: Das Ausländerrecht erlaubt bereits den befristeten Aufenthalt von Ausländern, die einen Arbeitsvertrag haben. Außerdem hilft die Forderung nach einem Zuwanderungsgesetz den politisch Korrekten bei der Pflege ihrer Optik - denen, die vom Grundrecht auf Asyl nicht lassen können, obwohl es offensichtlich unpraktikabel ist. Durch den Anschein, als ersetze ein Zuwanderungsgesetz das von ihnen stets verteidigte Grundrecht, können sie verbergen, dass auch ihnen die Drosselung des Zustroms der Elenden angenehm ist. Mit dem Bedarf an ausländischen Fachkräften aber hat diese Frage in Wirklichkeit nicht das Geringste zu tun.

NORBERT WALTER
Chefvolkswirt der Deutschen Bank

Gerade wir Deutschen sollten ein Recht auf politisches Asyl auch in Zukunft beibehalten. Dieses sollte allerdings eingebettet sein in eine rationale Einwanderungspolitik. Wir brauchen aus verschiedenen Gründen Zuwanderung. Eine zeitweise Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes kann nur der Start für eine umfassende Debatte über eine rationale, möglichst europäische Einwanderungspolitik sein. Statt einer Einwanderungs-Lotterie oder einer bürokratischen Antwort sollten wir vernünftige Regeln etablieren. Eine erste Möglichkeit bestünde darin, solche Einwanderer zuzulassen, die einen Paten finden, der potenzielle Kosten staatlicher Versorgung trägt. Dies könnten Einzelpersonen, Arbeitgeber oder karitative Einrichtungen sein. Eine zweite sinnvolle Regelung bestünde in einer verbindlichen Aufnahmeprüfung einer europäischen Ausbildungseinrichtung. Alle, die diese bestehen, wären willkommen, mit allen Rechten.

ELISABETH BECK-GERNSHEIM
Soziologin und Autorin des Buches "Juden, Deutsche und andere Erinnerungslandschaften"

Wir brauchen - das ist längst überfällig - ein Zuwanderungsgesetz. Denn im Zeitalter der Globalisierung kann man das Grundrecht auf Mobilität nicht teilen nach dem Motto: Kapital wird global, Arbeit bleibt lokal. Aber ebenso brauchen wir weiterhin das Asylrecht, um diejenigen zu schützen, die von politischer Verfolgung bedroht sind. Zuwanderungsgesetz oder Asylrecht? Das ist ein Streit der falschen Alternativen. Wir brauchen beides.

MARIELUISE BECK
Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Bündnis 90 / Die Grünen

Schutz vor Verfolgung ist nicht quotierbar. Nicht nur unser Grundgesetz, auch völkerrechtliche Vereinbarungen wie die Genfer Flüchtlingskonvention garantieren einen individuellen Anspruch auf Schutz und sind die Grundlage für die europäische Harmonisierung im Asylrecht. Die Einhaltung dieser Abkommen liegt daher ebenso im politischen Interesse unseres Landes wie die Anwerbung von Computerspezialisten im Bedarfsfall. Statt aber Äpfel mit Birnen zu vergleichen und Flüchtlinge mit Arbeitskräften in einer Quote zu verrechnen, brauchen wir ein realitätsgerechtes Konzept. Die neben dem Flüchtlingsschutz bestehenden Zugangsregelungen müssen in einer transparenten Einwanderungsgesetzgebung systematisiert und erweitert werden.

MICHAEL GLOS
Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag

Bei einer jährlichen Zuwanderung von rund 700.000 Menschen ist klar: Deutschland braucht nicht mehr, sondern weniger Zuwanderung. Der ungeregelte Zuzug nach Deutschland muss daher generell begrenzt werden. Wie in anderen Ländern auch muss unter anderem der individuelle Anspruch auf Asyl in eine institutionelle Garantie umgewandelt werden. Zum Schutz politisch Verfolgter ist ein einfaches Gesetz ausreichend. Dort können Rahmen und Grundlagen für die Asylgewährung festgelegt werden. Dann ließen sich die Zulässigkeit einerseits, aber auch der Bedarf an Zuwanderung andererseits exakt bestimmen und die ungeregelte Zuwanderung eindämmen.

VICTOR PFAFF
Rechtsanwalt in Frankfurt/Main und Experte für Ausländerrecht

Indische IT-Spezialisten haben mit politisch Verfolgten so viel zu tun wie Curry mit Kümmel. Die einen brauchen wir, die anderen brauchen uns. Wer die Anwerbung der Arbeitskräfte von der Abschaffung des Rechtes auf Schutz vor politischer Verfolgung abhängig machen will, ist ein Kinderfänger. Schon vergessen? Herbst 1992: Der SPD-Parteitag stimmt der Quasi-Abschaffung des Asylgrundrechts zu, geködert mit einem Einwanderungsgesetz. Das Ausländergesetz reicht, um den Arbeitskräftebedarf flexibel zu decken und um Einzelne oder Flüchtlingskontingente aus humanitären Gründen aufzunehmen. Es fehlt nicht am Gesetz, sondern am politischen Willen. Angenommen, das Grundrecht auf Asyl wäre abgeschafft - soll ausgerechnet Deutschland den UN sagen: Wir kündigen die Genfer Flüchtlingskonvention, macht euren Dreck alleine?

Aus: Die Woche vom 31. März 2000.

Arbeitshinweis:

1. Arbeite die Positionen zu dieser Problematik heraus! Beachte dabei die politische und berufliche Herkunft der jeweiligen Person!
-> drucken