M 09.08 Angekommen in der Fremde - Besuch in einem Asylbewerberheim
 


Im vergangenen Jahr kamen knapp 100.000 asylsuchende Menschen nach Deutschland. Sie geben an, politisch verfolgt zu sein, doch die deutschen Behörden akzeptieren dieses Argument nur selten. Die Anerkennungsquote liegt bei knapp über drei Prozent. Während die Flüchtlinge auf Anerkennung oder Abschiebung warten, leben sie in Heimen, viel Platz ist nicht. Das kann Streit geben, vor allem zwischen den verschiedenen Nationalitäten. In vielen Städten bekommen sie kein Geld für Nahrungsmittel, sondern müssen sich mit dem zufrieden geben, was das Sozialamt für sie aussucht. Deutschen Kohl kennen viele nicht. Oliver Ramme hat ein Asylbewerberheim besucht.

"Ich mag Filme, nicht alle, ich mag Filme. Drama und Thriller."
Fernsehschauen, das ist das Hobby von Jaleh Ahmadi. Sie sitzt oft vor ihrem Stereofernseher. Die bunten Bilder auf dem Bildschirm das einzig farbenfreudige in ihrem Zimmer. Die Betonwände ihrer Dachstube sind schneeweiß getüncht, kein Bild unterbricht das langweilige Weiß. Der Linoleumboden ist mit einem maschinengefertigten Perser bedeckt. In dem verwinkelten Raum mit Dachschräge stehen - etwas verloren - zwei Spinde aus Blech, eine einfache Küchenzeile ohne Wasseranschluss und ein mit Decke überzogenes Einpersonenbett. Frau Ahmadi kniet auf ihrem giftgrünen Sofa und schaut, wie so oft, aus ihrem Fenster.

"Hier ist es sehr schön. Viele Leute sind hierher gekommen und sagten: Sehr schön, kann man hier Urlaub machen? Es ist sehr ruhig und sehr romantisch. Oft bin ich hier. Ich vergesse alles und werde ruhig und so."
Frau Ahmadi blickt auf ein abgeerntetes Feld. Dahinter, in einer leichten Senke, satte grüne Wiesen die dann in den Wald übergehen. Schon seit mehreren Jahren schaut die Iranerin auf das Ortsende der Gemeinde Hürth bei Köln. Sie ist gelernte Bibliothekarin und alleinstehend. "Zur Zeit ist es sehr langweilig. Ich denke, man braucht einen nicht fragen. Ohne Arbeitserlaubnis, ohne Aufenthaltsgenehmigung, ohne private Wohnung wird man natürlich wie ein Tier. Einfach Abend, Morgen, Abend, Morgen... Als ich nach Deutschland kam, hatte ich viele Wünsche."

Und ihr größter Wunsch ist es, Arbeit zu finden. Endlich etwas anderes tun als Däumchendrehen. Aber, der Gesetzgeber macht es ihr schwer. Dabei scheint sie bei ihrer Stellenwahl nicht wählerisch. Aus einem Ordner zieht sie mehrere Ablehnungsbescheide des Arbeitsamts hervor. "Ihr Antrag auf Arbeitserlaubnis , eingegangen am 26.5 1997, für eine Beschäftigung als Küchenhelfer bei der Firma Mc Donalds, wird abgelehnt." Weiter unten dann der Verweis: Deutsche, EU-Bürger u.s.w. hätten wegen der angespannten Arbeitsmarktsituation ein Vorrecht auf Jobvermittlung. So blieben ihr bislang nur die vom Sozialamt offerierten körperlich Tätigkeiten wie Streichen oder Schmirgeln - und das für zwei Mark die Stunde. Nach 1 S Jahren hatte sie nun keine Lust mehr und damit 200 Mark weniger im Monat. Es bleiben ihr die rund 400 Mark Taschengeld, die ihr als Asylsuchende zustehen.

Ein Stockwerk unter Frau Ahmadi lebt Tayebeh Gollaby mit ihren beiden Söhnen. Der eine geht in die 3. der andere in die 5. Klasse der Schule hier am Ort. Auch Frau Gollaby schaut gerne Fernsehen. In einem der zahlreichen persischen Lebensmittelläden im benachbarten Köln hat sie sich eine iranische Videokassette ausgeliehen. Die zierliche Frau sitzt mit angezogenen Knien auf dem Sofa und nestelt mit der Fernbedienung herum. Das graue Kästchen ist noch immer originalverpackt in der Folie. Zum Schutz, wie sie sagt. Den Haushalt machen, sich vergeblich um Arbeit bemühen, Fernsehschauen. Und Grübeln: Wo wird sich ihre Zukunft abspielen? So sieht der Tag der jungen Frau aus.

"Ich muss immer denken: Was ist morgen los? Können wir in Deutschland bleiben oder werden wir zurückgeschickt? Wenn wir zurückgeschickt werden - was passiert mit uns im Iran? Ich muss denken und denken und denken."
Frau Gollaby hat sich von ihrem Mann getrennt. Der ist im Nebenhaus untergebracht. Er wird, so seine Noch-Ehefrau, im Iran wegen unerlaubtem politischen Engagements polizeilich gesucht. Ob die getrennte Familie dauerhaft in Deutschland bleiben kann, ist fraglich. Ihre Aufenthaltsgenehmigung steht alle sechs Monate zur Disposition.

Die Bewohner des Hauses Am Bruch 6 d stammen entweder aus dem Iran oder dem Irak. Man hat nicht viel miteinander zu tun. Mit den Asylsuchenden von Haus 6 a bis c schon gar nicht. "Ha, leider nein. Nur Hallo und fertig. Wir können nicht gut deutsch sprechen und die anderen sind aus Jugoslawien. Ich bin aus dem Iran. Nein, die Leute sind beschäftigt zu Hause und kommen nicht raus. Ich weiß nicht warum."

Bevor Frau Gollaby mit ihrer Familie nach Hürth kam, lebte sie zwei Jahre im sächsischen Plauen. Dort wie auch im Rheinland ist sie nie mit Ausländerfeindlichkeit in Berührung gekommen. "Mit den deutschen Nachbarn hatte ich bisher keine Probleme. Wir sagen nur Guten Tag und nichts weiter."

Diese deutschen Nachbarn sind indes weniger gut auf die Asylbewerber zu sprechen. Das Asylbewerberheim - ein gewöhnliches Mehrfamilienhaus mit zahlreichen Satellitenschüsseln - liegt in einer gut bürgerlichen Gegend am Rande von Hürth. Bis zu 60 Menschen können hier untergebracht werden. Teilweise spielen ein gutes Dutzend Kinder auf dem Hof. Einer der deutschen Nachbarn, er ist Rentner, ist mit den Nerven am Ende. "Dann habe ich mit den Menschen hier drei Jahre lang Gespräche geführt. Ich dachte, wir müssen miteinander auskommen. Bin zu jeder Familie gegangen, ins Haus, und sagte: Wir müssen miteinander Leben und uns gegenseitig akzeptieren und gegenseitig Rücksicht nehmen. Alles ohne Erfolg."

Und so meidet man sich. Während die Menschen im Asylbewerberheim über ihre Zukunft nachdenken und sich in Langeweile üben, hofft so mancher Nachbar auf ein Ende von Multikulti am gutbürgerlichen Stadtrand von Hürth.

Aus: Ramme, Oliver: Angekommen in der Fremde - Besuch in einem Asylbewerberheim. Fremdenfeindlich, fremdenfreundlich - Die Diskussion um ein Einwanderungsgesetz. Teil 3. In: Morgenecho WDR 5. Serie - 09.08. um 07:45 Uhr.

Arbeitshinweise:

1. Versetze Dich in die Lage der Menschen im Asylbewerberheim! Mit welchen Problemen wird Frau Ahmadi konfrontiert?
2. Welche Sorgen, welche Hoffnungen hat sie?
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