Der/die Ausländerbeauftragter/e
Sie sind Ausländerbeauftragte bzw. Ausländerbeauftragter des Landes. Sie wurden vom Lokalredakteur einer regionalen Tageszeitung über den heftigen Unmut in der Gemeinde Kleinheim informiert. Die Pläne des Landessozialministeriums, 50 jüdische Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion vorübergehend in Kleinheim unterzubringen, hätten große Unruhe in dem 400-Einwohner-Dorf ausgelöst, berichtete der Redakteur. Seinem Vorschlag, die Kleinheimer Bürger im Rahmen einer Podiumsdiskussion genauer zu informieren, haben Sie spontan zugestimmt.
Sie bedauern, dass die Unterbringungspläne bisher nicht mit der Kleinheimer Gemeindevertretung besprochen wurden, und hoffen, die Vorbehalte noch ausräumen zu können, zumal Sie es für problematisch halten, das Übergangswohnheim gegen den Willen der Bürger einzurichten. Deshalb wollen Sie die Kleinheimer informieren, auch darüber, dass es sich bei den jüdischen Aussiedlern überwiegend um Akademiker handelt - obwohl das ja eigentlich keine Rolle spielen sollte.
Vor allem aber wollen Sie über die Ausreisemotive aufklären, über den wachsenden Druck, dem die jüdische Minderheit in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion ausgesetzt ist, über die Wiederbelebung der alten Vorurteile gegen Juden. Meinungsumfragen der letzten Jahre belegen die weite Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der dortigen Bevölkerung.
Das Bild wird auch von Fachleuten düster gemalt. "In der Ukraine, in Weißrußland und in Rußland", so beschreibt etwa Wolfgang Benz (1) die Situation, "besteht die Realität des beginnenden nachkommunistischen Zeitalters auch in Friedhofsschändungen, Attacken gegen Denkmäler und Kultstätten und in einer alltäglichen Propagandaflut". Die Juden würden "als Verursacher der kommunistischen Revolution wie als Agenten des Kapitalismus denunziert. Sie sind angeblich schuld an der ökonomischen Misere und an sozialen Missständen. Vorbehalte gegen Modernisierung, gegen Demokratisierung und Liberalisierung werden auf "die Juden" projiziert". Es liege daher nahe, dass Juden aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion fliehen wollten, "denn rationale Argumente haben erfahrungsgemäß gegen die aus Vorurteilen und Feindbildern gespeisten Wahnvorstellungen keine Wirkung, und jede Verschlechterung der ökonomischen Situation vergrößert die Gefahr."
(1) Wolfgang Benz: Tradition und Trauma: Wiederbelebter Antisemitismus in Osteuropa. In: Mariana Hausleiner und Monika Katz (Hrsg.): Juden und Antisemitismus im östlichen Europa. Berlin 1995, S. 27-38. S. 32 und 38.