M 13.01c Rollenbeschreibung für den Sozialarbeiter
 


Der/die Sozialarbeiter/in

Sie arbeiten als Sozialarbeiterin bzw. Sozialarbeiter in einem Übergangswohnheim für jüdische Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Der Lokalredakteur der regionalen Tageszeitung hat Sie gebeten, an der heutigen Podiumsdiskussion teilzunehmen, um über Ihre Erfahrungen mit den Einwanderern zu berichten. Anlass der Veranstaltung, so teilte der Redakteur Ihnen mit, seien Vorbehalte der Einwohner von Kleinheim, gegen die geplante Unterbringung von 50 jüdischen Aussiedlern in ihrer Gemeinde.

Zu der Gruppe, die Sie betreuen, gehört ein Ingenieur aus St. Petersburg, der eigentlich Journalist werden wollte. Er hat nur deshalb Ingenieurswesen studiert, weil es ihm als Juden gar nicht erlaubt war, etwas anderes zu studieren. Nur die Technische Hochschule ist in Russland für Juden zugänglich. Fast die Hälfte der Gruppe sind deshalb Ingenieure - auch Helena. Vor acht Monaten verließ sie Moskau, zusammen mit Tochter Anna. Noch heute schämt sie sich für das "J" in ihrem alten Pass, das "J" für "Jude", das Helena fast dreißig Jahre zur Außenseiterin stempelte. Über ihre Ausreisemotive sagt sie: "Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich wollte, dass meine Tochter in einem normalen, zivilisierten Land aufwächst. Ich wollte, dass Anna eine anständige Bildung bekommt, damit wenigstens sie ihr Leben so gestalten kann, wie sie will."

Wladislaw, ein junger Gynäkologe, kommt aus Odessa. Er erzählte Ihnen: "Odessa war in der Ukraine schon immer das Zentrum für jüdische Kultur. Die Religion wurde dort sehr intensiv praktiziert. Doch in den letzten Jahren, als die Sowjetunion zerfiel und der Druck auf uns immer stärker wurde, sind die meisten Juden ausgewandert, nach Israel, Deutschland und Amerika." Wladislaw war einer der letzten, die Odessa verlassen haben. Kaum ein Jude lebt heute noch in dieser Stadt. Um Medizin studieren zu können, musste Wladislaw die Nationalität seines Vaters annehmen. Aus dem Juden wurde ein Ukrainer. Sein "J" im Pass verschwand. Der Begriff Jude bezeichnet in den GUS-Staaten die Nationalität einer Minderheit. Nur in Städten wie Odessa hat das Judentum noch eine religiöse Bedeutung.

Aus: Ahlheim, Klaus und Bardo Heger: Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit. Handreichungen für die politische Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag 1999, S. 211 f.

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