M 13.01d Rollenbeschreibung für die beiden Gemeindevertreter
 


Rollenbeschreibung für die beiden Gemeindevertreter

Sie sind Gemeindevertreterin bzw. Gemeindevertreter der Gemeinde Kleinheim, einem kleinen Ort mit etwa 400 Einwohnern. In der letzten Woche wurden aus der Zeitung Pläne des Landessozialministeriums bekannt, 50 jüdische Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion vorübergehend in einem leerstehenden Herrenhaus am Ortsrand von Kleinheim unterzubringen. Wie sich die Gruppe zusammensetzt und wie lange sie in Kleinheim bleiben soll, war der kurzen Zeitungsmeldung nicht zu entnehmen. Von den zuständigen Behörden sind Sie bisher nicht informiert worden.

Kleinheim ist ein reiner Wohnort. Arbeit gibt es - nach der Schließung des einzigen größeren Betriebes - schon lange nicht mehr. Auch die Schule wurde geschlossen, der Kindergarten, das Gasthaus, der Laden. Deshalb setzte man in Kleinheim große Erwartungen in das Herrenhaus, eine 1930 erbaute Villa, die seit zwei Jahren leersteht. Man hatte gehofft, einen Investor zu finden, der in dem verfallenen Haus ein Seniorenwohnheim, Mädchenpensionat oder Hotel eröffnet.

Die geplante Unterbringung der jüdischen Einwanderer hat im Dorf große Unruhe ausgelöst. Zur Vorbereitung auf die heutige Podiumsdiskussion haben Sie sich in den letzten Tagen oft mit den Einwohnern unterhalten und einige ihrer Äußerungen notiert:

"Ich will sie nicht hier haben. Ich muss auch sehen, wie ich zurechtkomme. Wir wissen doch, wie es ist. Die kriegen auf deutsch gesagt alles in den Arsch geblasen. Und ich muss kämpfen, und meine Frau ist arbeitslos."
"Wir wollen unser Dorf so behalten, wie es ist. Die sollen doch bei sich wieder aufbauen, was kapputtgemacht wurde."
"Wenn die Russen soviel Geld haben, im Weltall rumzuschießen und überall, dann sollen sie für die Leute auch die Häuser bauen."
"Die werden nicht vertrieben, die haben da ja genug Platz."
"Man liest es ja täglich: Es wurden wieder drei oder vier Ladendiebe geschnappt. Und was sind das? Russisch sprechende Leute usw. steht dann drunter."
"Da werden Unsummen in das Gutshaus gesteckt, die irgendwann weg sind, weil das Haus einem anderen Verwendungszweck bekommt. Das kann nicht sein. Das ist von unseren Steuergeldern."
"Sehen Sie, ich bin 1947 geboren und '45 war der Krieg zu Ende. Das ist bekannt, nicht. Ja, und was soll ich da jetzt für ein Schuldgefühl haben? Oder inwiefern soll ich das in mir aufbauen?"
"Denn man hat es gesehen in W. Da hieß es auch damals erst, die sollen bloß für ein Jahr. Was ist daraus geworden nachher: Sie sind länger geblieben. So. Was war in S., wo die da waren? Da ging's auch los, Schlägereien und all so ein Drum und Dran. Und davor haben die am meisten hier Angst."
"Die Juden werden in Rußland nicht verfolgt. Das sind reine Wirtschaftsflüchtlinge."

Aus: Ahlheim, Klaus und Bardo Heger: Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit. Handreichungen für die politische Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag 1999, S. 211 f.

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