Diese Fragestellung gibt der Unterrichtsreihe eine problemzentrierte Ausrichtung, indem sie an die aktuelle Debatte über Parteien- und Politikverdrossenheit und deren Erscheinungsformen anknüpft. Eine solche Leitfrage ist dann besonders zu empfehlen, wenn abzusehen oder zu befürchten ist, dass bedeutende Symptome der Politikverdrossenheit - sinkende Wahlbeteiligung, schwindendes Stammwählerreservoir der beiden großen Volksparteien, Anwachsen eines rechtsextremen Protestwählerpotentials - den Wahlkampf und die bevorstehende Wahlentscheidung beeinflussen werden und die parlamentarische Mehrheitsbildung erschweren könnten. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass weder die Union noch die Sozialdemokraten in der Lage sein werden, mit kleineren Parteien wie FDP und Grüne gegen die andere Volkspartei eine Mehrheit zustande zu bringen, was möglicherweise die Bildung einer großen Koalition zur Folge haben könnte. Auch der Umgang mit der PDS als möglichem Koalitionspartner wird bei einem Wiedereinzug in den Bundestag eine Rolle spielen.
Die Leitfrage der Unterrichtsreihe akzentuiert somit den besonderen Entscheidungsgehalt der bevorstehenden Wahl und greift zugleich Fragen nach den Merkmalen und Einflußfaktoren des Wählerverhaltens und implizit nach den Methoden und Ergebnissen der Wahlforschung auf. Zudem berührt die Bezugnahme auf herausragende Phänomene der Politikverdrossenheit direkt die Erfahrungswelt der Schüler/innen der Sekundarstufe, was die Motivation der Lerngruppe nachhaltig fördern dürfte. Daher empfiehlt es sich, gerade auch Anzeichen für Politikverdrossenheit im Verhalten der lokalen Wählerschaft -nicht zuletzt der Jungwähler - zu untersuchen, um den Schülern die Relevanz der Thematik für ihre eigene Lebenswelt zu verdeutlichen.
Dieser Frageansatz erfordert jedoch, dass Politikverdrossenheit nicht nur als "Aufhänger" benutzt wird, sondern die inhaltliche Gestaltung der gesamten Unterrichtsreihe (mit)strukturiert. Dabei dürfen nicht allein Phänomene oder Auswirkungen von Politikverdrossenheit angesprochen werden; vielmehr muß exemplarisch auch den Ursachen und Lösungsmöglichkeiten nachgegangen werden. Dazu eignet sich z.B. hervorragend der Vorschlag des Jugendforschers Klaus Hurrelmann, das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusetzen (M 02.13 - M 02.16)
Der Einstieg in die Unterrichtseinheit konfrontiert die Schüler/innen mit den aktuellen und vieldiskutierten Phänomenen der Politik- bzw. Parteienverdrossenheit und greift so mögliche Ressentiments auf, die gerade auch bei Jugendlichen oftmals zu finden sind. Diese Problematik wird nun auf Auswirkungen im Wählerverhalten und auf mögliche Folgen für das Parteiensystem gelenkt. Zum einen soll damit die Frage nach der politischen Relevanz dieser Erscheinungsformen als eine mögliche Krise der Demokratie aufgegriffen werden, zum anderen soll der Frage nachgegangen werden, ob und wie sich Politikverdrossenheit bei den bevorstehenden Bundestagswahlen äußern und auswirken könnte. Damit wird zugleich der Rahmen abgesteckt, der im Verlauf der Unterrichtsreihe thematisch gefüllt werden muß. Die Planung sollte also so ausgerichtet werden, dass Hypothesen über Nichtwähler, Protestwähler sowie Jungwähler formuliert werden, die im Laufe der Unterrichtsreihe anhand der Materialien und der eigenen computergestützten Wählerbefragung überprüft werden.
Die sich durch die Erschließung der Materialien M 01.04, M 01.05 und/oder M 01.06 herausbildende Problemstellung der Unterrichtseinheit "Laufen den großen Parteien die Wähler davon?" soll nun zunächst anhand empirischen Datenmaterials (M 01.07) überprüft werden; ein methodischer Schritt, der auch für die Lerngruppe leicht nachvollziehbar sein wird. Die Graphik führt den Schülern und Schülerinnen deutlich zwei signifikante Merkmale der gegenwärtigen Politikverdrossenheit vor Augen: sinkendes Vertrauen in die Parteien sowie sinkende Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen.
Die an der Tafel (Tafelbild: Parteien und Wähler) festgehaltenen Ergebnisse des bisherigen Unterrichtsverlaufs werden nun unter der perspektivischen Fragestellung nach der weiteren Entwicklung dieser Trends und deren möglichen Folgen problematisiert. Zur genaueren Beantwortung bietet sich hier dann die Durchführung einer aktuellen Umfrage an; ein Vorschlag, der möglichst von Schülerseite erfolgen sollte.
Die Hausaufgabe dient vor allem der Förderung der methodischen Kompetenz der Schüler, indem sie einen Katalog von Einzelfragen erstellen, deren Beantwortung als notwendig erachtet wird für eine intensive Beschäftigung mit dem Bereich "Wahlen und Wählerverhalten". Diese können zunächst in loser Reihenfolge auf einer Folie festgehalten werden, müssen jedoch für den weiteren Verlauf der Reihe nach thematischen Unterpunkten strukturiert werden, was der Lehrer möglichst gemeinsam mit der Lerngruppe leistet.
Damit wird zugleich die Einbindung des institutionskundlichen Orientierungswissens hinsichtlich der Bedeutung und Funktion von Wahlen im parlamentarischen System sowie dem Wahlsystem der Bundesrepublik Deutschland gleichsam als unabdingbare Grundlage der nachfolgenden Wählerbefragung gewährleistet.