Dass die Abwendung der Jugendlichen von den Parteien tiefer als nur bis zur Organisationsunlust reicht, zeigt ein Blick auf die Entwicklung der Wahlabstinenz von jungen Erwachsenen. Zieht man die Daten der amtlichen repräsentativen Wahlstatistik für die Bundestags- und Landtagswahlen seit den achtziger Jahren heran, so zeigt sich in der tatsächlichen Wahlteilnahme von Jungwählern (18- bis 24-Jährige) ein dramatischer Abwärtstrend. So sank die Teilnahme der Jungwähler bei Bundestagswahlen zwischen 1983 und 1990 von 84,5 auf 62,9 %, was einem Rückgang von 21,6 Prozentpunkten entspricht. Für die letzten beiden Bundestagswahlen fehlen entsprechende Daten. Bei den Landtagswahlen hat sich gar die Wahlteilnahme zwischen der Periode 1972-1976 und 1998-2000 von 70,6 auf 48,2 % abgesenkt, dies entspricht einem Rückgang von 22,4 Prozentpunkten.
Die wachsende Wahlmüdigkeit ist sicherlich ein allgemeines, aber insbesondere ein jugendspezifisches Phänomen, weil sich die Schere zwischen dem Urnengang älterer Wähler und dem von Jungwählern in letzter Zeit deutlich öffnet. Im Hinblick auf die Parteien bilden diese Befunde ein weiteres Indiz dafür, dass ihnen der Zugang zu wachsenden Teilen der Jugend entglitten ist. Für die Parteien bedeutet diese Entwicklung mehr als ein Warnsignal, wenn sich nicht einmal mehr jeder zweite Jungwähler noch an Wahlen beteiligt. Bei jungen Frauen ist die Entwicklung noch schlechter.
Inzwischen ist die Wahlabstinenz unter Jungwählern fast doppelt so hoch, als etwa SPD oder CDU an Stimmen in dieser Altersgruppe erzielen könnten. Längst sind die Zeiten dahin, in denen sich irgendeine der Bundestagsparteien (unter Einschluss der Bündnisgrünen) seriöserweise als Jungwählerpartei bezeichnen konnte. Im Gegenteil bleibt sowohl der Jungmitglieder- als auch Jungwählernachwuchs aus. Als wäre die Rekrutierungskrise noch nicht genug, leiden die Parteien in wachsendem Maße auch noch unter einer Wählermobilisierungsschwäche gegenüber nachrückenden Erst- und Zweitwählern. Die - gemessen am Gesamtaufkommen von Jugendlichen - seit Jahren trübe Jungmitglieder- und Jungwählerbilanz spricht für ein wachsendes Auszehrungsproblem, in dem sich schon die Vorboten einer allgemeinen organisatorischen und elektoralen Reproduktionskrise der Parteien ankündigen.
Deutlich wurde, dass die Parteien als Orte des politischen Engagements schon in den späten siebziger Jahren (die Unionsparteien etwas später) den Anschluss an die Jugend verloren. Damals erlitten sie einen massiven Zulaufseinbruch, um danach nie wieder - bis auf eine verschwindend kleine Minderheit von unter einem Prozent - einen attraktiven Anlaufpunkt für deren politische Partizipationsvorlieben und -praktiken zu liefern. Klärungsbedürftig ist damit nicht die Organisationsmüdigkeit Jugendlicher gegenüber den Parteien schlechthin, sondern genauer, warum sie sich in einem eingrenzbaren Zeitabschnitt der zweiten Hälfte der siebziger Jahre von den Parteien abwandten und warum dann die nachfolgenden Alterskohorten in den achtziger und neunziger Jahren Parteien mieden. Es geht also um die Hintergründe einer mittlerweile chronischen Beziehungsdistanz gegenüber den Parteien, die von Jugend zu Jugend weitergegeben wurde, ohne dass die Fortdauer dieser Störung über die Länge der Zeit zwingend immer auf die gleichen Ursachen zurückzuführen wäre. Allerdings kann die Organisationsunlust Jugendlicher sicherlich nicht allein den Parteien oder anderen Großorganisationen wie Gewerkschaften in die Schuhe geschoben werden. Höchstwahrscheinlich wirken organisations- und umweltspezifische Faktoren wechselseitig aufeinander ein, ohne dass man ihren exakten Verursachungsanteil an der Nachwuchskrise der Parteien je genauer bestimmen kann.