M 01.04 Wann ist man jung im politischen Amt?
 


Alles ist vergänglich, insbesondere die Jugend. Schneller als gedacht hat man sie hinter sich. Auf einmal sind andere jung, und die Erkenntnis dämmert: Die Alten, die wir einst vor uns sahen, das sind wir selbst. Das ist das Schicksal aller jungen Rebellen.

Trau keinem über 30, hieß die Devise derer, die heute zwischen 50 und 60 und mit der Frage konfrontiert sind, ob sie sich selbst noch trauen können. Natürlich trauen sie sich noch, wie man an Joschka Fischer sieht. Und das zeigt, dass Jugend nicht nur vergänglich, sondern auch relativ ist wie fast alles im Leben. James Dean, der zornige junge Mann, wäre, wenn er noch lebte, heute 70 wie Helmut Kohl, beinahe doppelt so alt wie jene jungen mehr oder weniger Wilden, die jetzt in der CDU zur Macht drängen. Und damit ist über die Jugendlichkeit dieses christdemokratischen Aufbruchs schon einiges gesagt. Sie scheint eher virtueller als biologischer Natur.

Denn was da als junge Garde der Erneuerung ins Blickfeld der öffentlichen Wahrnehmung gerät, ist ja in Wirklichkeit eine Riege gestandener Leute von Mitte bis Ende 40, die mitten im Leben stehen, Frauen und Männer in den besten Jahren, wie man früher gesagt hätte, Menschen, die den Großteil ihres Daseinswerks vollbracht haben und in stillen Stunden schon einmal erste Blicke auf das Datum ihrer wohlverdienten Pensionierung werfen.

Dass diese Jahrgänge zu einer Zeit, die angeblich dem Jugendwahn verfallen ist und da 32-jährige Karriereaspiranten in der Wirtschaft bereits mitleidig als zu alt belächelt werden, gleichwohl als Protagonisten des Jungseins reüssieren können, mutet schon ein bisschen merkwürdig an. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, Angela Merkel oder Friedrich Merz als junge Hoffnungsträger mit grandioser Perspektive zu bezeichnen, wenn sie in anderen Berufen beschäftigt wären als in der Politik. Man würde ihnen höchstens empfehlen, sich für Vorruhestandsregelungen zu interessieren.

Aber in der Politik gelten andere Parameter der Generationsablösung als im gewöhnlichen Leben. Dass heute diejenigen, die eigentlich die Rolle der Jungen einnehmen müssten - die Generation X oder Golf oder wie immer man sie taufen mag -, einen betrüblichen Mangel an politischem Impetus erkennen lassen und praktisch einen Ausfall darstellen, ist dabei als Spätfolge der Überpädagogisierung durch die 68er eher ein temporäres Phänomen.

Tatsächlich sahen die so genannten jungen Leute in der Politik immer schon ziemlich alt aus, wenn man sie mit den Augen des Nichtpolitikers aus der Nähe betrachtete, jedenfalls seit sich die Lebenserwartung signifikant erhöht hat und die Menschen nicht mehr mit 40 sterben. (Fürsten und Könige waren oft gerade 18, wenn sie auf dem Zenit ihrer Laufbahn standen, aber das ist lange her.) Einerseits haben wir uns an diese Paradoxie inzwischen gewöhnt, andererseits entdecken wir sie immer wieder neu, weil das kollektive Gedächtnis der informierten Gesellschaft immer kürzer wird.

Auch Helmut Kohl war einmal junger Wilder - allerdings etwas später als James Dean, als Mann von über 40. Willy Brandt galt als deutscher Kennedy, als er ungefähr so alt wie Jürgen Rüttgers war, und Kennedy selbst war noch etwas älter als Friedrich Merz, als er zum Prototypen des jungen Politikers aufstieg. Bei Gorbatschow dauerte es sogar noch zehn Jahre länger. Er war so alt wie jetzt Volker Rühe - der bei der CDU-Verjüngung zu spät kam -, als er der junge Mann im Kreml wurde.

So gesehen ist es weiter nichts Aufregendes, was jetzt passiert. Die Jungen von heute sind ungefähr so alt wie die Jungen von gestern, welche lange brauchten, bis sie die Alten von heute wurden. Woraus sich der Schluss ziehen ließe, dass Politik jung erhält. Es sei denn, man gelangte zu der gegenteiligen Annahme: nämlich dass es in der Politik einfach zu lange dauert, bis die Jugend dort ist, wo sie hin will, so dass sie darüber in die Jahre kommt.

Mathias Zschaler

aus: http://http://www.welt.de/daten/2000/03/21/0321de15995.htx
Die Welt online, Download vom 26.10.2000 (Artikel vom 21.3.2000).

 

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