M 02.08 Die Wahlrechtsgrundsätze des Grundgesetzes
 


"Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt."
(Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG)


a) Allgemeines Wahlrecht.

Diese Rechtsnorm fordert, daß grundsätzlich alle Staatsbürger, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Sprache, Einkommen oder Besitz, Beruf, Stand oder Klasse, Bildung, Konfession oder politischer Überzeugung Stimmrecht besitzen und wählbar sind. Gegen diesen Grundsatz verstößt nicht, daß einige unerläßliche Voraussetzungen gefordert werden wie ein bestimmtes Alter, Staatsbürgerschaft, Wohnsitznahme, Besitz der geistigen Kräfte und der bürgerlichen Ehrenrechte und volle rechtliche Handlungsfähigkeit. (...)


b) Gleiches Wahlrecht.

Dieser Grundsatz erfordert, daß das Stimmgewicht der Wahlberechtigten gleich ist und nicht nach Besitz, Einkommen, Steuerleistung, Bildung, Religion, Rasse, Geschlecht oder politischer Überzeugung differenziert werden darf. Postuliert wird die Zählwertgleichheit der Stimmen. Mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar sind alle Klassen-/Kurien- und Pluralwahlrechte: (1) Beim Klassen- oder Kurienwahlrecht wird die Wählerschaft in zahlenmäßig stark voneinander abweichende Gruppen unterteilt, die eine fixierte Zahl von Abgeordneten wählen. (2) Beim Pluralwahlrecht wird die Anzahl der den Wahlberechtigten zur Verfügung stehenden Stimmen durch Zusatzstimmen für bestimmte Personengruppen (Grundeigentümer, Familienväter etc.) differenziert. Der Gleichheitsgrundsatz ist auch für die technische Gestaltung von Wahlen relevant, vor allem im Bereich der Wahlkreiseinteilung. Soll die Zählwertgleichheit der Stimmen garantiert bleiben, muß bei der Wahlkreiseinteilung für ein etwa gleiches Verhältnis von Bevölkerung (oder Wahlberechtigten) zur Zahl der zu wählenden Abgeordneten Sorge getragen werden (...).

(aus: D. Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem, Opladen 1990, S. 31 f.)


c) Unmittelbar ist die Wahl,

wenn die Wähler die Abgeordneten selbst bestimmen, also keine Mittler in Gestalt von Wahlmännern (...) bzw. Vertretern für ihre Entscheidung benötigen. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit besagt danach, daß jede Zwischenschaltung eines fremden Willens zwischen Stimmabgabe der Wähler und Bestimmung der Gewählten bei oder nach der Wahl ausgeschlossen ist. Der Wähler muß das letzte und entscheidende Wort haben. Die unmittelbare Wahl steht im Gegensatz zu den weitgehend historischen Erscheinungen der Wahl von sog. Wahlmännergremien, die die geeigneten Kandidaten sollten besser herausfinden können. Die heute noch überkommenen mittelbaren Wahlen in einigen Ländern sind weitgehend nur noch formal mittelbar, weil der Wähler praktisch eine gezielte Stimme abgeben kann (...). Die Listenwahl, auch die Wahl nach starren Listen, liegt im Rahmen der unmittelbaren Wahl, solange die Listen aus vorab, vor der Wahl, unabänderlich festgelegten Bewerbern bestehen.


d) Geheim ist die Wahl,

wenn der Wähler seine Stimme so abgeben kann, (...) daß andere keine Kenntnis von seiner Wahlentscheidung erhalten, also nicht erkennbar ist, wie er wählen will, wählt oder gewählt hat. [Zu diesem Zweck werden Einrichtungen geschaffen wie Wahlkabine, amtliche Wahlzettel, Umschlag, versiegelte Wahlurne.] Der Grundsatz der geheimen Wahl dient damit der Sicherung der freien Wahl und steht, historisch betrachtet, gegen jede offene Stimmabgabe wie Wahl durch Zuruf oder Handzeichen, zu Protokoll oder durch Abgabe unterzeichneter Stimmzettel. Der Grundsatz schützt vor allem die Stimmabgabe selbst und ist insoweit auch der Disposition des Wählers entzogen, der nicht nur geheim wählen darf, sondern - zur Sicherung der freien Wahl - auch geheim wählen muß. (...)

e) Frei ist die Wahl,

wenn der Wahlberechtigte bei der Wahl seinen wirklichen Willen unverfälscht zum Ausdruck bringen kann. Dieser Grundsatz besagt damit im besonderen, daß der Wähler sein Wahlrecht ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen ausüben kann, und zwar gleichgültig, ob diese von amtlicher oder privater Seite ausgehen. Praktische Voraussetzung und historisch-tradiertes Postulat der freien Wahl sind deren Geheimheit. Die Grundsätze der freien und geheimen Wahl sind nach heutigem Verständnis derart unauflöslich zugeordnet, daß sich die meisten Verfassungen auf die besondere Garantie der geheimen Wahl beschränken.

Aus: W. Gensior/ V. Krieg: Kleine Wahlrechts-Fibel. Wahlrecht und Wahlverfahren in der Bundesrepublik Deutschland und im Lande Nordrhein-Westfalen, 4. Aufl., Leverkusen-Opladen 1984, S. 21 ff.
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