M 02.14 "Wahlrecht auch für Babies?"
 


Berlin (dpa) - Dennis ist vier Monate alt. An Politik hat er noch kein rechtes Interesse. Doch vergangenen Sonntag bei der Wahl zum Bundestag hat er SPD gewählt: So könnte die Wirklichkeit im Jahr 2002 aussehen, wenn die Vorstellungen von Berlins Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) umgesetzt würden. Wahlrecht von Geburt an - ausgeübt allerdings bis zur Volljährigkeit durch die Eltern.

Während bundesweit seit einigen Jahren über eine Herabsetzung des Wahlalters von 18 auf bis zu 14 Jahren diskutiert wird, fordert die Berliner Senatorin und renommierte Expertin für Familienrecht einen anderen Schritt. Die Praxis bei Kommunal- oder Bundestagswahlen sähe dann so aus: Das Ehepaar mit Zwillingen wirft insgesamt vier Stimmen in die Urne, der Single oder die Rentnerin hingegen jeweils nur eine.

Ziel des ungewöhnlichen Gedankens ist die Stärkung der politischen Bedeutung der Familien und von fast zwanzig Prozent der Bevölkerung, den knapp 16 Millionen Kindern und Jugendlichen. "Andere Schwerpunkte könnten in der Politik gesetzt werden", hofft Peschel-Gutzeit. Dann endlich könnten Familien mit dem Mehr an Stimmen aussichtsreich gegen andere Interessengruppen konkurrieren.

"Ein Mensch, eine Stimme"

Fast könnte man die Forderung als ein verspätetes Polittheater im Sommerloch abtun. Doch Peschel-Gutzeit, nicht gerade für Populismus bekannt, analysiert den Vorschlag für ein neues Wahlrecht in einem Beitrag für die Fachzeitschrift "Neue Juristische Wochenschrift", seziert die Paragraphen und wägt Prinzipien des Grundgesetzes ab. Die Bestimmung im Grundgesetz, bilanziert Peschel-Gutzeit, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, würde erstmals mit einer solchen Neuregelung vollständig umgesetzt.

Fast zwei Jahre ist es her, daß zwei Schüler aus Berlin genau dieses vor dem Bundesverfassungsgericht einklagen wollten. Doch die Klage wurde abgewiesen - die Antragsteller hatten nach Auffassung der Karlsruher Richter ihre Klage zu spät - mehr als ein Jahr nach der Wahl - eingereicht. Sie hatten ein Wahlalter von 18 Jahren als Widerspruch zum Demokratieprinzip gesehen und gefordert: "Ein Mensch, eine Stimme".

Im Streitfall eine halbe Stimme pro Kind und Elternteil?

In Niedersachsen war man vergangenes Jahr bei der Kommunalwahl einen weniger drastischen Schritt gegangen, und hatte erstmalig 16- und 17jährigen das aktive Wahlrecht eingeräumt. Doch während hier die Jugendlichen selbst entscheiden konnten, wären bei einem Wahlrecht für alle die Eltern gefordert. Für einen Streit zwischen den Eltern um die "richtige" Partei hat Peschel-Gutzeit auch eine Lösung: Entweder müßten notfalls die Gerichte eingeschaltet werden, oder jedes Elternteil würde eine halbe Stimme pro Kind abgeben.

aus: Rhein-Zeitung online, Artikel vom 20.10.1997
http://rhein-zeitung.de/old/97/10/22/topnews/babywahl.html (download am 11.01.2001).
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