Karlsruher Richter bestätigen das Wahlrecht
Das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe hat am Donnerstag zwei Elemente des deutschen Wahlrechts für verfassungskonform erklärt: die Überhangmandate und die Grundmandatsklausel.
Die Überhangmandate billigten die acht Verfassungsrichter nur mit dem knappen Ergebnis von 4:4 Stimmen. Die Mandate, die vor allem der CDU zugute kommen, halten vier Verfassungsrichter in ihrer bisherigen Form für verfassungswidrig, vier betrachten sie dagegen als verfassungsgemäß. Da der Antragsteller die Mehrheit braucht, scheiterte die Klage Niedersachsens.
Überhangmandate entstehen durch das System von Erst- und Zweitstimme. Mit der Erststimme wird ein Direktkandidat gewählt, die Zweitstimme bestimmt über die Stärke der Partei im Parlament. Erzielt eine Partei durch viele Erststimmen mehr Direktmandate als ihr nach den Zweitstimmen Sitze zustehen, bekommt sie die "überschießenden" Mandate als Überhangmandate dazu. Damit wird aber das Prinzip ausgehöhlt, wonach die Parteien nach ihrem Zweitstimmenanteil im Parlament vertreten sind. 1994 konnte die CDU durch zwölf Überhangmandate ihre Regierungsmehrheit von zwei auf zehn Sitze ausbauen. Die SPD erlangte vier Überhangmandate.
Die vier das Urteil tragende Richter des Zweiten Senats, die alle der Union angehören oder ihr nahestehen, sagen, daß sich die Zahl der Überhangmandate "in Grenzen halten" müsse. Als Maximum sehen die Richter Überhangmandate in Höhe von fünf Prozent der Parlamentssitze an. Schließlich verweisen die vier Richter auf eine notwendige Reform der Wahlkreise, in denen die Zahl der Wahlberechtigten inzwischen stark abweicht. Es sei aber verfassungsrechtlich ausreichend, wenn diese Reform, wie vorgesehen, bis 2002 durchgeführt werde. Eine Verzerrung des Wahlergebnisses verneinen die Richter, da es sich bei den Überhangmandaten um zusätzliche Direktmandate handele, nicht um weitere Listenplätze.
Die vier anderen Verfassungsrichterinnen und Richter, die alle der SPD angehören oder von ihr vorgeschlagen wurden, beurteilen die Überhangmandate dagegen als zusätzliche Listenplätze. Eine Partei mit Überhangmandaten brauche weniger Zweitstimmen pro Mandat als eine Partei ohne Überhangmandate. Damit sei die Wahlrechtsgleichheit verletzt. Verfassungswidrig sei die geltende Regelung geworden, nachdem der Bonner Gesetzgeber trotz der Entwicklung von 1994 nicht tätig wurde, sondern im November 1996 die Überhangmandatsklausel bestätigte.
Die Entscheidung über die Grundmandatsklausel fiel einstimmig. Die Regelung, Parteien mit drei Direktmandaten auch bei Nichterreichen der Fünf-Prozent-Klausel ins Parlament einziehen zu lassen, steht nach dem BVG-Urteil im Ermessen des Gesetzgebers. Er könne in den drei Direktmandaten ein Indiz dafür sehen, daß die Partei besondere Anliegen aufgegriffen habe, die eine Repräsentanz im Parlament rechtfertigten. Aus diesem Grund dürfe er sie entsprechend ihrem Zweitstimmenanteil an der Sitzverteilung teilnehmen lassen.
Ursula Knapp