M 04.04 Wahlsysteme
 


In der politischen Praxis und in der Politikwissenschaft unterscheidet man generell zwei Grundtypen von Wahlsystemen: die Mehrheitswahl und die Verhältniswahl. Sie unterscheiden sich in der Art, wie jeweils Wählerstimmen in Mandate umgerechnet werden.


Die Mehrheitswahl

Beim Grundtyp der Mehrheitswahl wird das gesamte Wahlgebiet in der Regel in eine Anzahl von Wahlkreisen eingeteilt, die der Zahl der zu vergebenden Mandate entspricht. Bei der absoluten Mehrheitswahl in Frankreich erhält der Kandidat in einem Wahlkreis dann das Mandat, wenn er im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereinigt. Gelingt dies im ersten Wahlgang keinem der Bewerber, so findet eine Woche später ein zweiter Wahlgang statt, an dem alle Bewerber teilnehmen können, die im ersten Wahlgang mindestens 12,5% der Stimmen erhielten. In der Regel beteiligen sich am zweiten Wahlgang nur zwei Bewerber, z.B. wegen Wahlabsprachen zwischen den Parteien.

In Großbritannien hingegen wird seit über 100 Jahren nach dem Prinzip der relativen Mehrheitswahl votiert. In den 650 Wahlkreisen ist gewählt, wer die einfache Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt. Die Stimmen der unterlegenen Bewerber werden sowohl bei der relativen als auch bei der absoluten Mehrheitswahl nicht berücksichtigt (Papierkorbstimmen).

Der Mehrheitswahl liegt vorrangig die Zielsetzung zugrunde, klare Parlamentsmehrheiten zu schaffen. Tatsächlich führt dieses Wahlsystem aufgrund der Verzerrungen von Stimmen- und Mandatsanteil zu den gewünschten Verstärkereffekten für die größte Partei. In Extremfällen ist sogar eine Umkehrung der Stimmen-Mandate-Relation möglich, d.h. daß eine Partei zwar die Mehrheit der Stimmen, aber nicht auch die Mehrheit der Mandate erzielt. Zwingend notwendig ist bei der Mehrheitswahl die ungefähr gleiche Größe der Wahlkreise; in Großbritannien sind deswegen zwecks möglicher Änderung der Wahlkreiseinteilung überparteiliche boundary commissions gebildet worden.


Die Verhältniswahl

Bei der Verhältniswahl erhält jede Partei so viele Mandate, wie dies ihrem prozentualen Anteil an den Wählerstimmen insgesamt entspricht, also bei 40% der Stimmen 40% der Mandate. Der Verhältniswahl liegt die Vorstellung zugrunde, im Parlament ein getreues Abbild der in der Wählerschaft bestehenden gesellschaftlichen Kräfte entstehen zu lassen. In diesem Wahlsystem gibt es daher prinzipiell keine Stimmen, die als Papierkorbstimmen unberücksichtigt bleiben. Nur unterhalb einer gesetzten Sperrklausel (in Deutschland: 5%), die eine zu starke Zersplitterung des Parteiensystems verhindern soll, fallen einige wenige Reststimmen an.

In der Regel hat der Wähler bei der Verhältniswahl eine Entscheidung zwischen verschiedenen Listen zu treffen, die von den Parteien aufgestellt worden sind. Diese Listen enthalten den Namen der politischen Parteien und die Namen derjenigen Kandidaten, die die Attraktivität der Parteien unterstreichen und die vorrangig im Parlament Mandate übernehmen sollen. Der Wähler selbst hat keinen Einfluß auf die Nominierung der Listenkandidaten, es sei denn, er ist selbst Mitglied einer Partei.

Für die Mandatszuteilung bei der Verhältniswahl gibt es verschiedene Berechnungsverfahren. Bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag wurde bis 1985 das Verrechnungsverfahren nach d'HONDT angewandt, seitdem wird nach dem Verfahren von HARE/NIEMEYER vorgegangen.

Eigener Text.
-> drucken