M 04.13 Was ist die Zweitstimme?
 


Warum wissen Sie nicht, was die Zweitstimme ist?

Jede anständige Zeitung, die verläßlich über die Niederungen menschlichen Zusammenlebens berichtet, läßt die Bürger ausführlich zu Wort kommen. (...) Angesichts des deutschen Schicksalstages (...) hat sich auch diese Zeitung entschlossen, eine (...) Befragung zum Thema "Warum wissen Sie nicht, was die Zweitstimme ist?" durchzuführen. (...)

B.P., Schülerin, Schwabing:
"Wenn ich mich richtig an den Unterricht erinnere, dann ist das doch für die gemacht, die sich nicht entscheiden können zwischen den beiden Parteiblöcken und die keinem weh tun wollen. So kann man jeder Richtung eine Stimme geben, und man fällt nicht unangenehm auf. Habe ich recht?"

L.G., Hausfrau und Soziologin, Laim:
"Ich erkläre es Ihnen, die Zweitstimme ist so etwas wie der Zweitwagen oder die Zweitwohnung, verstehen Sie? Das ist in der Politik identisch mit bayerischer Regierung und Landtag. Der Zweitwagen ist die Regierung, die Zweitwohnung der Landtag. Drücke ich mich zu kompliziert aus? Gut, mit der Erststimme wählt man also den Bundestag, mit der Zweitstimme den Landtag. Unser Wahlrecht ist doch so einfach. Die erste Stimme gehört Deutschland, die zweite Bayern."

K.S., Büroangestellter, Innenstadt:
"Ein Trick ist das, ein schäbiger Versuch, Steuermittel zu kassieren. Jede Partei bekommt doch für jede Stimme 2 Mark fünfzig aus der Staatskasse. Die Schlawiener haben sich zusammengesetzt und beschlossen, jedem Stimmvieh zwei Stimmen zu geben, damit sie fünf Mark einschieben können. So ist das heute. Früher haben wir auch nur eine Stimme gehabt, und es ging gut, von 1930 bis 1945, oder?" (...)

M.J. und H.J., freiberuflich, Ehepaar aus der Provinz, gleichzeitig, aber fast einstimmig sprechend:
"Das Problem der Zweitstimme wird immer falsch dargestellt. In Wirklichkeit ist es so, daß nicht jeder zwei Stimmen, sondern ein Ehepaar zusammen zwei Stimmen hat! Die des Ehemannes, der ja ohnehin bestimmt, was gewählt wird, ist die erste, die der Ehefrau die zweite, so wie erste und zweite Mannschaft im Fußball. Man fragt sich wirklich, warum der Stimmzettel noch nicht mit Blaupapier geliefert wird, um die Arbeit der Ehepaare zu erleichtern. Alleinstehende dürfen ihre Zweitstimme nicht benutzen."

Aus: H. Jendral: Süddeutsche Zeitung, 28.9.1976.
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