M 04.20 Die Umrechnung von Stimmen in Mandate
 


Bei der Bundestagswahl werden insgesamt 656 Abgeordnete gewählt: 328 davon direkt in den Wahlkreisen (Erststimme), die übrigen 328 über die Landeslisten der Parteien (Zweitstimme). Die Umsetzung der abgegebenen Wählerstimmen in Bundestagsmandate erfolgt dabei in drei Schritten:


l. Schritt:
Die Zweitstimme entscheidet über die Stärke der Parteien

Zunächst werden alle Zweitstimmen einer Partei zusammengezählt und ihr Anteil an der Gesamtzahl der gültigen Zweitstimmen berechnet. Nur die Parteien, die mindestens 5 % der Zweitstimmen gewonnen haben, werden jetzt bei der Verteilung der Sitze im Parlament, d.h. der Mandate, berücksichtigt (Fünf-Prozent-Sperrklausel). Diesen Parteien steht nun ein Anteil an Bundestagsmandaten zu, der ihrem Zweitstimmenanteil entspricht. So haben beispielsweise 1998 B90/Grüne 6,7 % der Zweitstimmen gewonnen. Damit standen ihr 6,7 % der Mandate zu - tatsächlich sogar etwas mehr, weil die unberücksichtigten Zweitstimmen für die Splitterparteien auf die anderen Parteien umgelegt wurden. 1998 erhöhte sich dadurch der Mandatsanteil für B90/Grüne um 0,4 %. Diesen 7,1 % der Mandate hätten 46,67 Sitze im Bundestag entsprochen. Nun kann man aber nicht 0,67 Sitze mit einem Mann oder einer Frau besetzen, sondern selbstverständlich nur ganze Sitze. Deshalb benötigt man hier statt der einfachen Berechnung von Prozent-Anteilen ein komplizierteres mathematisches Verfahren, mit dessen Hilfe ganze Parlamentssitze so auf die Parteien verteilt werden, dass der prozentuale Zweitstimmenanteil näherungsweise erreicht wird. (Bis 1983 war dies die Methode d‘Hondt, danach die Methode Hare/Niemeyer).

Nach dem Hare/Niemeyer-Verfahren werden zunächst die für die verbundenen Landeslisten der einzelnen Parteien abgegebenen gültigen Zweitstimmen addiert. Berücksichtigt werden dabei nur die Parteien, die mindestens 5 % der abgegebenen gültigen Zweitstimmen oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Danach werden die 656 zu vergebenden Abgeordnetensitze mit der Zahl der Zweitstimmen der einzelnen Parteien multipliziert und durch die Gesamtzahl der Zweitstimmen aller an der Verteilung teilnehmenden Parteien dividiert. Dabei erhält jede Partei so viele Sitze, wie ganze Zahlen auf sie entfallen. Die dann noch zu vergebenden Sitze werden in der Reihenfolge der höchsten „Reste", die sich bei der Berechnung ergeben, verteilt. Bei gleichen Zahlenbruchteilen („Resten") entscheidet das vom Bundeswahlleiter zu ziehende Los.

Formel:
Zweitstimmen der Partei, dividiert durch
Gesamtzweitstimmenzahl der Parteien über 5%
x Gesamtzahl der Sitze

Die Umrechnung ergab 1998, dass B90/Grüne 46 +1 Sitze im Bundestag zustanden.


2. Schritt: Verteilung der Mandate auf die Landeslisten

Nachdem feststeht, wie viele Mandate B90/Grüne insgesamt erreicht haben, wird nun ermittelt, welchen Beitrag die einzelnen Landeslisten zu diesem Gesamtergebnis geleistet hatten. Wenn beispielsweise die Nordrhein-westfälischen B90/Grüne ein Drittel der gesamten B90/Grüne-Zweitstimmen gewonnen hätten, dann stünden ihnen auch ein Drittel der 47 Bundestagsmandate zu. Die Verteilung der Mandate auf die einzelnen Landeslisten erfolgt auch hier wieder mit der mathematischen Methode, mit der bereits die Gesamtanteile der Parteien berechnet wurden.

 

3. Schritt: Besetzung der Abgeordnetensitze mit Direkt- und Listenkandidaten

Hat man im zweiten Schritt die genaue Anzahl der Bundestagsmandate ermittelt, die auf eine Landespartei entfallen, so müssen die Mandate nun an die einzelnen Kandidaten vergeben werden. Zunächst werden die gewonnenen Direktmandate berücksichtigt. Ein Kandidat, der in seinem Wahlkreis die Mehrheit der Erststimmen erobert hat, zieht auf jeden Fall in den Bundestag ein. Hat eine Landespartei mit dem Zweitstimmen nun mehr Sitze gewonnen, als sie mit ihren gewählten Direktkandidaten besetzt, werden die restlichen Sitze an die Kandidaten der Landesliste vergeben und zwar in der dort angegebenen Reihenfolge.

Wenn eine Partei keine Direktmandate gewonnen hat, schickt sie alle Abgeordneten über ihre Landeslisten in den Bundestag. Der SPD ist es 1998 in einigen Bundesländern gelungen, mit den Erststimmen insgesamt 13 Direktmandate mehr zu gewinnen, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil in diesen Bundesländern zugestanden hätten. Das Wahlgesetz sieht vor, dass diese überzähligen Mandate der Partei erhalten bleiben (Überhangmandate) und sich die Gesamtzahl der Abgeordneten für die Wahlperiode um die Zahl der Überhangmandate erhöht (1998 also von 656 auf 669). Zum Vergleich: 1994 hatte die CDU 12 Überhangmandate, die SPD 4.

Vgl. B. Schenkluhn: Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland. Leseheft Politik - Gesellschaft - Wirtschaft für die Sekundarstufe I, Stuttgart 1987, S. 46 ff; überarbeitet und aktualisiert.
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