M 04.24 Fünfprozentklausel und Parteien
 


Das Bundeswahlgesetz sieht vor, dass Parteien, die weniger als fünf Prozent der Stimmen erreichen oder nicht mindestens drei Direktmandate gewinnen, keine parlamentarische Repräsentation erlangen. Die Stimmen, die eine solche Partei erhält, fallen unter den Tisch. Eine derartige Bestimmung ist nicht unangefochten.


Kritik an der Fünfprozentklausel

Manche Wissenschaftler und Politiker (verständlicherweise vor allem der kleineren Parteien) greifen die Fünfprozentklausel an, weil sie die Macht der bereits im Parlament vertretenen Parteien zementiere und für kleinere Parteien die Chance der Einflußnahme verringere. Es heißt, sie sichere ein Parteienkartell ab und erschwere das Entstehen neuer Parteien. Damit könne sich eine Parteienoligarchie herausbilden. Die "Fünfprozent-Guillotine", so nennen manche Gegner die Klausel, durchbreche das Prinzip der Chancengleichheit; sie schränke auf einem Umweg - so lautet die Kritik - das allgemeine und gleiche Wahlrecht wieder ein.


Kritik an der Kritik

Es muß allerdings bedacht werden, dass die Fünfprozentklausel keineswegs automatisch und für immer das derzeitige Parteiensystem einfriert. Die Erfolge der NPD in den Jahren 1966 bis 1968 wie die der REP 1989, besonders aber die der GRÜNEN belegen diese Aussage. Die Klausel bedeutet sicherlich eine gewisse Einschränkung des demokratischen Grundsatzes, dass jede Stimme den gleichen Wert haben soll, aber sie läßt sich mit der unverzichtbaren Forderung rechtfertigen, dass die parlamentarische Arbeit funktionsfähig erhalten werden muß. Bestünde nämlich überhaupt keine Sperrklausel, genügten schon 0,2 Prozent der Stimmen für ein Mandat. Der Sinn der Wahl liegt eben nicht ausschließlich darin, im Parlament ein Spiegelbild der Meinungen und Interessen der Bevölkerung hervorzubringen. Die Wahl soll vielmehr auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein Parlament eine handlungsfähige und verantwortungsbewußte Regierung hervorzubringen vermag.

Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Sperrklausel gebilligt, damit sich die Gefahren für die Regierungsbildung, die mit dem Aufkommen von Splitterparteien im Parlament fast unvermeidlich entstehen, auffangen lassen. Es betont, dass ganz besondere Gründe gegeben sein müssen, um eine Erhöhung des Quorums von fünf Prozent zu rechtfertigen. Der Einfluß der Wählerinnen und Wähler auf die Zusammensetzung des Parlaments soll soweit wie möglich erhalten bleiben. Die Fünfprozentklausel hat ihren Sinn erfüllt, zu einer gewissen Parteienkonzentration beigetragen und damit die Regierungsbildung erleichtert; sie bedeutet außerdem für eine neue, eine bestimmte Wählerschicht ansprechende Partei keine unüberwindliche Barriere.


Grundsätzliche Problematik

Obwohl die grundsätzliche Legitimität der Klausel außer Frage steht, lassen sich einige Einwände vorbringen, die mit den bisher erörterten weitgehend nichts zu tun haben. Die Fünfprozentklausel entfaltet nämlich gewisse problematische Nebenwirkungen, die das Prinzip der Chancengleichheit berühren: Diejenigen, die für eine Splitterpartei stimmen, verlieren jeglichen Einfluß auf die Zusammensetzung des Parlaments. Ihre Stimme kommt nicht zum Tragen. Dies erscheint nicht unproblematisch, da in einer Demokratie prinzipiell jeder Bürger und jede Bürgerin die gleiche Chance besitzen muß, den politischen Willensbildungsprozeß mitzugestalten. Und der Wahlakt ist in einer repräsentativen Parteiendemokratie die entscheidende (wenn auch nicht alleinige) Form politischer Beteiligung.

Tatsächlich liegt die Sperrwirkung höher als fünf Prozent, denn manche Bürger wählen eine kleine Partei deshalb nicht, weil sie befürchten, ihre Stimme zu "verschenken". Dieses Handicap gilt vor allem für (kleinere) demokratische Parteien, deren Anhänger im Zweifelsfall für eine andere große Partei stimmen, während Wähler extremer Parteien in höherem Maße bereit sind, eine "verlorene" Stimme in Kauf zu nehmen. So wirkt die Sperrklausel allein durch ihr Vorhandensein als eine gewisse Abschreckung, die Stimme einer kleinen Partei zu geben.

Aus: Informationen zur politischen Bildung 207: Parteiendemokratie. Hrsg.: Bundeszentrale für politische Bildung, überarbeitete Neuauflage 1996, S. 38f.
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