M 05.07 Wahlverhalten: Faktoren Alter und Geschlecht
 


Die wahlsoziologische Forschung hat eine Reihe von Verfahren und Ansätzen entwickelt, die Rückschlüsse auf das Wählerverhalten zulassen. Danach formiert sich individuelles Wählerverhalten im Mit- und/oder Gegeneinander langfristig-strukturell und kurzfristig-situativ wirkender Komponenten. Zu den ersten zählen etwa Alter, Geschlecht, Beruf, Konfession, Parteiidentifikation, Wertorientierungen etc. Letztere Bestimmungsgründe der Wahlentscheidungen umfassen innen- und außenpolitische Geschehnisse, wirtschaftliche Erwartungen, politische Sachfragen, Kandidatenalternativen, Merkmale des Parteienwettbewerbs. Die Aussagekraft dieser der individuellen Wahlentscheidung zugrundeliegenden Komponenten lassen sich exemplarisch an der Bundestagswahl 1987 vor der deutsch-deutschen Vereinigung zeigen.

Bei der Bundestagswahl 1987 beteiligten sich 84,4 % der über 40 Mio. Wahlberechtigten. Von den abgegebenen Zweitstimmen fielen dabei auf die CDU/CSU 44,3 %, die SPD 37%, die FDP 9,1% und die Grünen 8,3%. Obwohl die Wahlbeteiligung in Deutschland im internationalen Vergleich noch immer sehr hoch ist, hat sie nach Spitzenwerten über 90% in den 70er Jahren seit Anfang der 80er Jahre kontinuierlich abgenommen. Die Entscheidung zur Nichtwahl kann dabei auf unterschiedlichen Motivationen beruhen. Sie kann einerseits zufälliger, sporadischer Natur sein, andererseits aber auch auf längerfristige Veränderungen im Partizipationsverhalten hindeuten. Im letzteren Fall kann ein Rückgang der Wahlbeteiligung eine politische Protesthaltung gegenüber den Leistungen von Regierung und etablierten Parteien oder wachsende Skepsis gegenüber der Wahl als sinnvoller politischer Beteiligungsform signalisieren. Ferner gilt, daß die Wahlbeteiligung mit steigendem Sozialstatus und steigendem Alter zunimmt.

Altersspezifisches Wahlverhalten zeigt sich aber nicht nur im Zusammenhang mit der Wahlbeteiligung. Die Stimmabgabe nach Altersgruppen aufgeteilt ergibt, daß bei der CDU/CSU eine Überrepräsentation der Wähler in den Altersgruppen ab 45 Jahren vorhanden ist, während bei der FDP der Stimmenanteil über die Altersgruppen hinweg ein relativ konstantes Bild zeigt. Die SPD dagegen konnte seit den 70er Jahren einen überdurchschnittlichen Anteil von Erst- und Jungwählern für sich verbuchen und wurde die Partei der Erst- und Jungwähler. Diesen Status hat die SPD Anfang der 80er Jahre an die Grünen abgegeben, deren Wählerschaft aber mittlerweile gleichfalls altert. Umstritten ist dabei, ob es sich bei diesen Alterseffekten um ein konstantes generationenspezifisches Phänomen handelt, oder ob individuelle Wahlentscheidungen sich zyklisch an bestimmten Lebensabschnitten orientieren. Während in den 50er und 60er Jahren galt, daß Frauen eher konservative, Männer eher linke Parteien wählen, halten sich seit Ende der 70er Jahre die Stimmenanteile von Frauen und Männern bei allen Parteien im wesentlichen die Waage. Frauenspezifisches Wahlverhalten fällt heute kaum ins Gewicht, 1987 betrugen die Differenzen (männlich/weiblich) für die CDU/CSU (42,5%/ 45,1%), die SPD (38,5%/37,8%), die FDP (9,2%/ 8,3 %) und die Grünen (8,3 % /7,7 %).

(aus: R.-0. Schultze/F.W. Semrau: Wählerverhalten, in: U. Andersen/W. Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1997, S. 589f.)
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