M 05.15 Wechselwähler/innen
 


Als Wechselwähler wird der Wähler bezeichnet, der z.B. bei zwei aufeinanderfolgenden gleichen Wahlen (also z.B. bei zwei Bundestagswahlen) für verschiedene Parteien gestimmt hat. Der Anteil der Wechselwähler hat deutlich zugenommen und wird auf fast 40 Prozent geschätzt. Die politische Einschätzung der Wechselwähler variiert zwischen "Flugsand" der Demokratie und dem Typus des besonders rational abwägenden Wählers.

Fragt man nach den Voraussetzungen für Wechselwählerverhalten, setzt eine Erklärung bei den sozialstrukturellen Einflußfaktoren an. Bei Wählergruppen mit gegenläufigen Bindungen wird angenommen, daß sie in ihrer parteipolitischen Orientierung offener sind. Dies gilt z.B. für gewerkschaftlich gebundene Arbeiter, die gleichzeitig kirchlich engagiert sind. Bei dieser Gruppe dürften sich Einflüsse von SPD und Union kreuzen. Die Bereitschaft, bei Wahlen einmal die Partei zu wechseln, dürfte aus ähnlichen Überlegungen heraus auch wachsen, wenn im unmittelbaren Kontaktkreis unterschiedliche politische Vorstellungen und Parteiorientierungen vertreten sind. Eine wachsende Gruppe mit einem relativ hohen Anteil an Wechselwählern, die dementsprechend auch das Ziel besonderer Parteianstrengungen ist, stellt der neue Mittelstand (Beamte, Angestellte) dar.

Die Ursachen für Wechselwählerverhalten müssen aber nicht nur in Faktoren der sozialen Umwelt gesucht, sie können auch im wachsenden Gewicht politischer Sach- und Personalfragen gesehen werden. Unter dem personellen Aspekt sind vor allem die Kanzlerkandidaten ein Einflußfaktor. Bei den politischen Themen gilt, daß ihr Einfluß auf das Wählerverhalten um so größer ist, je mehr der folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Das Thema muß die Aufmerksamkeit des Wählers erregen, wobei die Massenmedien eine wichtige Rolle spielen;

  • der Wähler muß sich in seiner Interessenlage betroffen sehen;

  • er muß das Thema mit den Parteien verknüpfen, indem er ihnen Schuld oder Verdienst zuspricht oder erwartet, daß sie in bestimmter Weise reagieren. Dabei geht es weniger um detaillierte Problemlösungen, als darum, wem der Wähler die Lösungskompetenz zuschreibt.

Das Urteil des Wählers entsteht nicht im politisch luftleeren Raum. Es wird u.a. von Massenmedien, sozialen Kontakten, Gruppenbindungen beeinflußt. Für Stammwähler gilt, daß sie gerade bei komplexen Problemen häufig bereit sind, die Bewertung ihrer Partei zu übernehmen. Je stärker sich der Wähler allerdings unmittelbar von politischen Ereignissen betroffen sieht und je eher er sich ein selbständiges Urteil zutraut, desto unabhängiger reagiert er. Die Erfahrung lehrt, daß in der Regel innenpolitische Themen für das Wählerverhalten bedeutsamer sind als außenpolitische. Unter dem Gesichtspunkt der direkten Betroffenheit wird auch verständlich, daß in der Geschichte der Bundesrepublik wirtschaftliche Fragen das Wählerverhalten besonders stark beeinflußt haben. Einmal besitzen wirtschaftliche Ziele innerhalb des Zielkatalogs der meisten Wähler besonderes Gewicht, zum anderen sind die Folgen wirtschaftlicher Fehlentwicklungen, insbesondere Arbeitslosigkeit und Inflation, für die meisten Wähler direkt spürbar.

Aus: W. Woyke: Stichwort: Wahlen, 10. überarb. Aufl., Opladen 1998, S. 239 ff.
-> drucken