M 06.01 Junge Leute sind engagiert
 


Parteipolitik ist eher unattraktiv

Während ältere Generationen gern lamentieren, der Jugend fehle es an politischem Engagement, sind die jungen Bundesbürger längst nicht so desinteressiert, wie allgemein angenommen, sagen Experten. Das Vorurteil, junge Menschen seien oft nur noch konsum- und spaßorientiert, in Parteien und Verbänden aber kaum zu finden, treffe so nicht zu. Allerdings werde die gesellschaftliche Beteiligung von Jugendlichen häufig nicht als Politik erkannt. Und: Es gibt immer wieder Hürden, an denen sie scheitern.

"Schade, aus dir könnte was werden, aber du bist noch zu jung", bekam der 21 Jahre alte Landesvorsitzende der Schülerunion in Schleswig-Holstein, Olaf Merzenich, mehr als einmal in den sechs Jahren seines politischen Engagements zu hören. Er fühlt sich von Politikern oft nicht ernst genommen: "Wir wollen nicht nur Plakate kleben, sondern auch bei Entscheidungen nach unserer Meinung gefragt werden." Das fordert auch der Landesvorsitzende der Jungen Union, Oliver Frankenberger: "Wir wollen keine Alibi-Jugendbeauftragten, sondern in die Beiräte rein."

Hierarchische und festgefahrene Strukturen hielten viele Jugendliche davon ab, sich parteipolitisch zu engagieren, sagt die Soziologin Martina Gille vom Deutschen Jugend-Institut (DJI) in München. "Junge Leute wollen die Gesellschaft mitgestalten, aber nicht in vorgestanzten Schablonen."

Das Abgrenzungsbedürfnis Jugendlicher gegenüber der Parteipolitik ist nach Einschätzung des schleswig-holsteinischen Landesjugendrings durch die aktuellen Finanzaffären der großen Parteien deutlicher hervorgetreten. "Die Spendenaffäre hat vorhandene Klischeebilder verstärkt", sagt der Vorsitzende Hans-Jürgen Kütbach. Nur wenige hätten noch Respekt vor der Arbeit von Politikern. Von einer "Katastrophe" und starker Verunsicherung für die Jugendlichen, die sich engagieren, spricht der Jugendforscher Arthur Fischer, der an fünf Shell-Jugendstudien beteiligt war.

Unverbindliche Aktionen Jugendliche wünschen sich ein freiwilliges politisches Jahr, um die Institutionen besser kennen zu lernen und einzelne Aktionen, die Spaß machen. Die Ergebnisse der zweiten repräsentativen DJI-Befragung von 7 000 Jugendlichen in Deutschland bestätigen den Trend zu unverbindlicher Aktionsbereitschaft: Rund 80 Prozent der jungen Menschen sind demnach bereit, sich an einer Unterschriftenaktion zu beteiligen, etwa 63 Prozent würden demonstrieren gehen und 44 Prozent in einer Bürgerinitiative mitarbeiten.

Das gesellschaftliche Engagement von Jugendlichen wird aus Sicht des Sprechers des Deutschen Bundesjugendringes, Wolfgang Peschel, oftmals unterbewertet: "Das Problem liegt schon im Begriff Politik, der oft nur mit Parteipolitik assoziiert wird." Politik fange aber schon dort an, wo Jugendliche sich organisieren. "In den zahlreichen Jugendverbänden wird Demokratie in starker Form wahrgenommen", sagt Peschel. Nach seinen Angaben gehören ein-schließlich der Sportverbände etwa die Hälfte der 15,6 Millionen jungen Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren einem Jugendverband an.


Frühe Selbstverwaltung

Dort würden zum Beispiel Ämter verteilt und einzelne Jugendliche demokratisch gewählt, sagt Peschel. So machten etwa die vielen hundert Pfadfindergruppen in Deutschland schon in jungen Jahren Umwelt- und Schulpolitik. "Viele Jugendliche nehmen das aber gar nicht als Politik wahr", erklärt Peschel und hat dabei Jugendliche wie Malte Brunk im Auge, der schon mit 14 Jahren mit einer Gruppe die erste selbst verwaltete Jungenhütte in Schleswig-Holstein aufbaute.

Obwohl nur etwa zwei Prozent Mitglied einer Partei seien, könne man nicht von einer besonderen Politikverdrossenheit der Jugendlichen im Vergleich zu den Erwachsenen sprechen, erläutert DJI-Wissenschaftlerin Gille. Auch bei den Erwachsenen sei der Anteil nicht wesentlich höher. Allerdings verdrängt nach Aussage von Fischer die Unsicherheit über die eigene Zukunft bei Ausbildung und Job oft das Interesse. "Die gesellschaftliche Krise hat die Jugendlichen erreicht", formulierte schon 1997 die 12. Shell- Jugendstudie. Für 45 Prozent der dort befragten zwölf bis 24-Jährigen war Arbeitslosigkeit das größte Problem.

Die Distanz ostdeutscher Jugendlicher zum politischen System und zur Demokratie ist nach Erkenntnissen Gilles weitaus größer als im Westen. "Das ist die Enttäuschung und eine eher negative Bilanz der Konsequenzen, die sich aus der Wiedervereinigung ergeben haben." Die Schwierigkeiten verschiedener Jugendgruppe, sich einzumischen, sind aus Sicht Fischers symptomatisch für diese Generation. Parteien und politische Institutionen böten keine Ankopplungspunkte für dieses Potenzial der häufig noch unausgegorenen und freien Ideen.

Anja Stenzel/dpa

Aus: Das Parlament, Nr. 19-20/2000;
http://www.Das-Parlament.de/html/p-druckversion.cfm?ID=1168
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