Wie muß ein Politiker aussehen, der Chancen bei der Jugend hat? Da wird der Politikunterricht in Klasse elf zur Bastelstunde: "Nicht so einen Großvater", wünscht sich ein Schüler. "Er muß Spaß haben an dem Job und darf nicht nur an die große Kohle denken", erwartet ein anderer. "Und er müßte mal richtig reinhauen da in Bonn, das Ruder herumreißen, damit wir überhaupt noch eine Zukunft haben."
Sie verlangen viel von der Politik, die 16- und 17jährigen am Kölner Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Aber geben wollen sie nichts. Weder Zeit ("Ich hab echt was Besseres zu tun, als mich mit Politik zu beschäftigen") noch Vertrauen ("Iiih, Jusos und Junge Union, das sind doch diese Propagandagrüppchen") - schon gar nicht ihre Stimme, selbst wenn sie, wie ihre niedersächsischen Altersgenossen, bereits wählen dürften.
Als "absolut unpolitisch" verurteilten 45 Prozent der Lehrer bei einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach ihre Schüler. Und für "alarmierend" hält der Wahlforscher Joachim Hofmann-Göttig, daß Erstwähler bei sämtlichen Wahlen in jüngster Zeit prozentual die wenigsten Stimmen abgaben. Der Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Jugendministerium, der sich seit Jahren mit jugendlichen Nichtwählern beschäftigt, ist überzeugt: "Bei den Jüngeren degeneriert die Wahlausübung zum Minderheitenritual."
Besonders wahlmüde zeigten sich bei der Kommunalwahl in Niedersachsen am vorvergangenen Wochenende indessen nicht 16- oder 17jährige Erstwähler, sondern die 18- bis 25jährigen. Seit Jahrzehnten wird diese Altersgruppe regelmäßig von Allensbach gefragt: "Interessieren Sie sich für Politik?" Stets antwortete ein zunehmender Anteil von Jugendlichen mit "Ja". Doch Anfang der Achtziger kippte der Trend. Bei jungen Männern sank das Interesse von 59 auf 46 Prozent, bei jungen Frauen von 31 auf 25 Prozent. Warum? Weil sie "materialistische Hedonisten" sind, wie es der Speyerer Soziologe Helmut Klages formuliert: nur am Mehr im Hier und Jetzt interessiert? Weil ihnen ihre Turnschuhmarke wichtiger ist als Parteiprogramme?
Auch die Gymnasiasten in Klasse elf besitzen die richtigen Klamotten - doch viele tragen die rote Aids-Schleife dazu. "Wir haben von Politik keine Ahnung", sagen sie - und beklagen im gleichen Atemzug, daß das CO2-Abkommen nicht eingehalten wird, daß sich der Globus weiter erwärmt und daß sich die Industrie vor Mehrwegverpackungen drückt. Alles keine Politik? "Nö, Politik, da geht's doch meistens um Steuern und so".
Was Jugendlichen wirklich nahegeht, hat die Universität Bielefeld erkundet: "Emotional geladene Themen", hat der Leiter der Forschungsgruppe, Klaus Hurrelmann, herausgefunden. An erster Stelle rangiere die Umweltzerstörung, dahinter der Krieg, an dritter Stelle die Benachteiligung der Dritten Welt, schließlich Armut und Arbeitslosigkeit. 40 Prozent der Jungendlichen gaben zu Protokoll, daß keine Partei auf diese Fragen eine Antwort habe.
Am wenigsten vertrauen sie der SPD. Ihr drohte, warnt der Mainzer Wahlforscher Hofmann-Göttig, ein "langfristiger Vertrauensverlust in den nachwachsenden Generationen". Bei der niedersächsischen Kommunalwahl - wie schon bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg - wählten erstmals mehr Erstwähler grün als SPD. Jetzt soll der 106jährigen Partei, deren Mitglieder fast zur Hälfte über 50 sind, ein jüngeres Image verpaßt werden: In 37 Jugendblättern, von "Bravo" bis "Metal Hammer", werben junge Genossen als "Love-Sozi" und "Ethno-Sozi" für die alte Tante SPD, die schleswig-holsteinischen Genossen beschlossen gar eine "Jugendquote": Bei Kommunalwahlen muß künftig jeder zehnte Kandidat unter 35 sein. Doch die allzeit skeptischen Kids durchschauen Anbiederungsmanöver sofort: "Neulich war Rita Süssmuth beim ‘Bravo'-Jubiläum eingeladen", schäumt die Kölner Schülerin Sonja, "und hat glatt behauptet, sie stehe auf Take That". Das fand die 16jährige ("für wie naiv hält die uns eigentlich"?) "echt arm". Im baden-württembergischen Ravensburg luden Lokalpolitiker alle Volljährigen ihrer Stadt zu Kultur und Schnittchen ein. Bürgermeister, Stadträte und Gewerkschafter erschienen fast vollzählig. Doch nur 40 Jungwähler fanden den Weg zum "18er-Treff".
Das benachbarte Weingarten hingegen setzt seit 1985 auf den "Jugendgemeinderat". Alle Schüler ab Klasse acht dürfen (Beteiligung 95 Prozent) 33 Jugendgemeinderäte wählen. Die tagen alle zwei Monate unter Vorsitz des Oberbürgermeisters, der die Beschlüsse anschließend dem "richtigen" Gemeinderat vorschlägt. Zum Beispiel, daß in den Schulen nur noch Glasverpackungen verwendet werden oder daß eine Inline-Skate-Bahn eingerichtet wird. Die Parlamente en miniature - 40 gibt es allein in Baden-Württemberg - gelten als letzter Schrei in Sachen Jugendpolitik. Doch Norbert Brugger vom Städtetag des Landes warnt vor Euphorie: "Man erreicht vor allem die, die eh schon interessiert sind". Im Zweifelsfall wenige: "In Gaggenau wurden alle Jugendlichen per Postwurfsendung befragt, ob sie ein Jugendparlament wollen - nur 1 Prozent hat überhaupt geantwortet".
In Köln dürfen die Jugendlichen demnächst richtig Parteitag spielen: Die SPD ruft für November zum "Dialog mit der Jugend". Es könnte ein Monolog werden. Denn Parteiveranstaltungen, weiß das Deutsche Jugendinstitut, finden nur 27 Prozent der Jugendlichen spannend. 77 Prozent würden lieber Unterschriften sammeln, 65 Prozent demonstrieren und 35 Prozent an einem Boykott teilnehmen.Ursula Ott