M 06.17 GB: Linke Hoffnungen, konservative Politik
 


Labour hat sich schwindelig gesiegt und die Orientierung verloren

Noch nie ist eine britische Regierung so triumphal wiedergewählt worden wie die von Tony Blair. Aber Labour reagierte merkwürdig: keine öffentliche Wahlparty, keine Feiern, keine Selbstzufriedenheit, kein Triumphgeschrei. "Die Arbeit geht weiter", lautet Labours Parole. Keine Rede mehr von "neuer Morgenröte".

Tatsächlich birgt dieser Sieg für Tony Blair mehr Probleme, als es ein weniger glanzvolles Ergebnis getan hätte. Indem er die Zusammensetzung des Unterhauses so gut wie überhaupt nicht verändert, verändert er nachhaltig die politische Landschaft. Die Konservativen, die beinah noch Mandate gegenüber ihrem dramatisch schlechten Ergebnis von 1997 verloren hätten, sind bis auf weiteres als seriöse politische Kraft ausgeschaltet und werden sich erst einmal in Selbstzerfleischung üben. Als einzige Partei zugelegt haben die Liberaldemokraten, die sich in der Schlussphase des Wahlkampfs klar als linke Alternative zu Labour positioniert hatten: Wer mit den öffentlichen Dienstleistungen zufrieden ist, so hatte Liberalenchef Kennedy gesagt, solle Labour wählen; wer sie zu gut findet, möge konservativ stimmen; aber wer sie verbessert sehen möchte, solle zu den Liberalen kommen. Das taten erstaunlich viele Wähler. Außerdem bescherten sie zahlreichen Kandidaten linker Splittergruppen erstaunliche Stimmenzuwächse, vor allem in Schottland.

Noch deutlicher aber war die enorme Zunahme der Wahlenthaltung - auf den höchsten Stand seit dem Ersten Weltkrieg (als jedoch einige Millionen Wähler außer Landes waren). In vielen Labour-Hochburgen schmolz die Anhängerschaft der Regierungspartei gravierend, in absoluten Zahlen um bis zu über ein Drittel. Da Labour diese Wahlkreise trotzdem gewann, wirkt sich das nicht bei den Parlamentssitzen aus, aber es gibt jetzt kaum noch einen Wahlkreis, in dem die Zahl der Blair-Wähler höher ist als die der Nichtwähler.

Das ist eine klare Warnung der Stammwähler an Tony Blair. Vier Jahre lang war man zufrieden damit, dass Labour überhaupt an der Macht war. Auch diesmal findet man das in Ordnung, deswegen stimmt man nicht gegen die Partei. Aber man will Ergebnisse sehen, und zwar schnell. Vage Versprechen werden nicht mehr ausreichen. Es muss sofort viel Geld ausgegeben werden, mit sichtbaren Wirkungen. So kehrt diese Wahl die politischen Verhältnisse um. Solange es die Konservativen noch als ernst zu nehmende Kraft gab, stand Blairs Hauptgegner rechts. Jetzt aber steht der Gegner links. Der Erfolg der Liberaldemokraten und die Enthaltung signalisiert: Die Wähler erwarten mehr und besseres staatliches Handeln.

Da sind die kommenden Konfrontationen absehbar.Tony Blair hat bereits gesagt, dass er die nächste Legislaturperiode der Reform der staatlichen Gesundheits-, Bildungs- und Transportsysteme widmen will. Seine Reformpläne beinhalten einen verstärkten Zugriff auf privates Kapital, zum Beispiel zur Modernisierung der Londoner U-Bahn oder zum Bau neuer Krankenhäuser. Die öffentlichen Investitionen hingegen werden zwar steigen, aber im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt bleiben sie wie die gesamte Staatsquote selbst nach den geplanten massiven Ausgabensteigerungen der nächsten zwei Jahre noch unter dem Durchschnitt der letzten konservativen Regierung von John Major 1990-97.

Wer hofft, die angekündigten Milliardenspritzen werden einen erkennbaren Unterschied machen, wird schon bald enttäuscht werden. Blair wird diesen Hoffnungen mit dem Verweis auf den Privatsektor begegnen und damit den von seinen Kritikern verurteilten Prozess einer schleichenden Privatisierung staatlicher Leistungen in Gang setzen, ohne es richtig zuzugeben. Und es wird die Linke sein, die sich dagegen stellt - nicht nur in Gestalt der gewachsenen Liberalenfraktion im Unterhaus, sondern auch in Gestalt der Gewerkschaften und des linken Parteiflügels. Der hat bereits angekündigt, ab jetzt nicht mehr alles widerspruchslos hinzunehmen.

Großbritannien wird im kommenden Jahrzehnt also so ähnlich aussehen wie in den 80er-Jahren - außer dass die Regierung, die sich mit der Linken herumstreitet, diesmal von Tony Blair geführt wird. Kein Wunder, dass Labour sich erst mal einigelt und seine Orientierung sucht. Vor solchen vertrackten Siegen kann einem schon schwindlig werden.

von Dominic Johnson

Aus: die tageszeitung Nr. 6466 vom 9.6.2001, S. 11, www.taz.de
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