Zur Abwendung Jugendlicher von den Parteien
"Eine Partei ohne Jugend ist eine Partei ohne Zukunft." So ist der jugendpolitische Beschluss des SPD-Parteitags in Münster aus dem Jahre 1988 betitelt. Wenn diese Aussage zutrifft, und davon ist wohl auszugehen, dann ist es um die Zukunft der Parteien nicht gut bestellt. Denn sie sind an chronischem Nachwuchsmangel erkrankt, ohne entfernt eine Vorstellung davon zu besitzen, wie an den verloren gegangenen Kontakt zur Jugend wieder angeknüpft werden könnte. Im Gegenteil treten sie hilflos auf der Stelle. Dabei ist die Jungmitgliederkrise schon so alt, dass bereits vor zehn Jahren alarmierende Hiobsbotschaften in die Welt gesetzt wurden.
Die in immer kürzeren Zeitabständen abgehaltenen "Jugend"-Parteitage offenbaren nur, wie sehr sich die Parteien in "Jetzt machen wir mal wieder auf jugendlich"-Inszenierungen erschöpfen, ohne dass sich Jugendliche merklich davon angesprochen fühlten. Die Jugendorganisationen werden für solche "Events" als Staffage benutzt, ohne sich noch nach draußen glaubwürdig als Sprachrohr und nach drinnen als verlängerter Arm der Jugend darstellen zu können. Noch peinlicher und anbiederischer wirken die Parteien dann, wenn ihre Altvorderen vor Kameras in Internet-Cafes surfen oder sich auf einer Technoparty tanzend unter das Jungvolk mischen. Teure in den letzten Jahren durchgeführte Werbekampagnen der Parteien ließen die Jugendlichen ebenfalls kalt, so dass die überlebensnotwendige Frischblutzufuhr weiter ausbleibt.
Umso dringlicher ist es, das gegenwärtige Ausmaß der Krise aufzuzeigen und die Hintergründe auszuleuchten. Ob überhaupt und was gegen die Nachwuchskrise zu unternehmen wäre, bleibt nämlich solange ungewiss, wie nicht geklärt ist, welche Ursachen die verstockten Beziehungsprobleme zwischen Jugendlichen und Parteien haben könnten. Diese sind undurchsichtig genug und lassen sich sicherlich nicht auf ein paar wenige gleichgerichtete Wirkfaktoren zurückführen. Möglich ist ja immerhin, dass sich die Ursachen bei den Parteien selbst oder aber bei den Jugendlichen und ihrem gesellschaftlichen Umfeld auffinden lassen. Auch handelt es sich beim Verfall jugendlicher Parteimitgliedschaft um einen langwierigen Prozess, der sich nicht losgelöst von zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Wandlungshintergründen ausloten lässt. Auf diesem Felde ist aber brauchbarer sozialwissenschaftlicher Rat ziemlich rar, weil die kontroversen Erklärungsansätze unbeantwortet lassen, ob dieser Prozess noch aufhaltbar oder gar umkehrbar ist und was in diesem Falle von den Parteien getan werden müsste.
Anreizschwäche von Parteien
Nachvollziehbar ist es schon, wenn gesagt wird, dass Jugendliche Parteien deshalb meiden, weil ihnen diese in Versammlungsroutinen erstarrten Großorganisationen nicht jene Mitarbeitsanreize bieten, die ihren Beteiligungsbedürfnissen und -ansprüchen entsprechen würden. Dahinter steht die Überlegung, dass sich Beitritt und Mitmachen lohnen müssen. Jugendliche treten nur dann in Parteien ein, wenn dieser Schritt auch belohnt wird, sie also jene Wünsche befriedigen können, die sie mit ihrem Eintritt verbinden. Solch ein Erklärungsansatz hat seinen Reiz, weil Parteien in der Tat schon seit Jahrzehnten überkommene Beteiligungsmöglichkeiten anbieten, die mit ihrer erstarrten Versammlungsroutine und Vereinsmeierei auf junge Leute abschreckend wirken. Dies umso mehr, weil sich die Partizipationsansprüche erhöht haben und Jugendliche verstärkt nach aktions- und erlebnisbetonten Beteiligungsgelegenheiten verlangen.
Zudem hat man sich - was dem Individualisierungstrend zuwiderläuft - auch noch dauerhaft an eine Partei durch formalen Beitritt zu binden. Dann werden auch noch diejenigen frustriert, die Teilnahme mit dem Ziel der politischen Teilhabe verbinden und konkret etwas bewegen möchten. Was gleichwohl ein wenig an dieser psychologisch durchaus nachvollziehbaren These stört, ist deren Rationalitätsüberschuss, wenn junge Menschen wie kühle Kosten-Nutzen-Rechner gesehen werden, die ihren Beitritt davon abhängig machen, dass ein persönlicher Vorteil für sie dabei herausspringt.
Zugleich wird nicht erklärt, warum Jugendliche zu Beginn der siebziger Jahre zu Hunderttausenden in die etablierten Parteien hineinströmten und sich gerade jener Beteiligungspraktiken bemächtigten, die als anreizschwach am Pranger stehen. Schließlich lassen sich mit diesem Ansatz nicht so sehr die Organisationsunlust als vielmehr die Enttäuschungen und Rückzugsphänomene erklären, die bei Jugendlichen auftreten, wenn sie nach ihrem Beitritt als erwartungsvolles Neumitglied vielfach mit persönlichen Ohnmachtserfahrungen und der Erstarrung des Binnenlebens der Parteien konfrontiert werden.