M 06.19 Parteireform: CDU
 


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Unsere parlamentarische Demokratie braucht Volksparteien

Repräsentatives System
Wir verstehen unsere Demokratie als eine dynamische, fortzuentwickelnde politische Ordnung, die aus der Mitwirkung der Bürger erwächst und ihre Freiheit durch die Verteilung und Kontrolle der Macht sichert. Die parlamentarische Demokratie ist ein System des Interessenausgleichs, der friedlichen Konfliktregelung und des Ausbalancierens politischer Kräfte. Sie verbindet politische Führung mit der Rechenschaftspflicht gegenüber dem Volk, das in den Wahlen Vertrauen ausspricht oder entzieht. Die repräsentative Demokratie hat sich bewährt und wesentlich zur Stabilität unseres Gemeinwesens beigetragen. Sie schließt Elemente unmittelbarer Demokratie nicht aus. Diese können das repräsentative System vor allem auf den regionalen Ebenen sinnvoll ergänzen. Volksentscheide auf Bundesebene lehnen wir dagegen ab.

Auftrag der Parteien
Die politischen Parteien tragen eine besondere Verantwortung für Gesellschaft und Staat. Sie sind unersetzbare Elemente jeder parlamentarischen Demokratie: Sie greifen gesellschaftliche Anliegen und politische Fragen auf, tragen zur politischen Willensbildung bei und bringen die Ergebnisse in die Parlamente ein; sie stellen Kandidaten für Parlament und Regierung. Politische Parteien erfüllen ihren Auftrag in einer pluralen Gesellschaft, wenn sie im Wettbewerb um die Regierungsverantwortung klare sachliche und personelle Alternativen zur Entscheidung stellen. Parteien und Politiker haben für den erfolgreichen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland einen unverzichtbaren Beitrag geleistet. Wer sich in einer demokratischen Partei für unser Gemeinwesen engagiert, verdient Anerkennung. Ohne dieses Engagement kann unsere Demokratie nicht verwirklicht werden.

Volkspartei CDU
In der Volkspartei CDU finden sich Frauen und Männer aus verschiedenen Landesteilen, Berufen und Altersgruppen mit unterschiedlichen Belangen und Perspektiven aufgrund gemeinsamer politischer Grundüberzeugungen und Ziele zusammen. Als Volkspartei sind wir in der Lage, die unterschiedlichen Interessen aus allen Schichten unseres Volkes zu bündeln und auf das Wohl aller hin auszurichten. Der Prozeß der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung in der Volkspartei, der sich nach den Grundsätzen innerparteilicher Demokratie vollzieht, erleichtert den demokratischen Prozeß insgesamt und entschärft drohende Konflikte in der offenen Gesellschaft. Parteien, die sich als bloße Interessenvertretung bestimmter Schichten oder Gruppen verstehen, sind dazu nicht in der Lage.

Gefahr von Verkrustung und Entfremdung
Wie alle gesellschaftlichen Organisationen tendieren auch Parteien zur Verfestigung ihrer Strukturen und zur Ritualisierung ihrer Entscheidungsvorgänge. Wir sehen die Gefahr, daß sich Parteien und Bürger entfremden, wenn politische Fragen nur noch unter dem Gesichtspunkt des Machterhalts oder Machtgewinns beurteilt werden. Für uns ist die sachlich und ethisch verantwortete Entscheidung wichtiger als der Gewinn von Gremienmehrheiten und Machtpositionen. Die politische Willensbildung muß von Fairneß und Toleranz, von Kompromißfähigkeit und Transparenz, aber auch von Grundsatztreue getragen sein. Politische Glaubwürdigkeit beruht letztlich auf Verläßlichkeit und Offenheit.

Parteireform als ständige Aufgabe
Wir in der CDU verstehen es als eine ständige Aufgabe, unsere Partei so zu gestalten, daß unsere Mitglieder und alle interessierten Bürger gute Mitwirkungschancen haben. Wir wollen neue Wege der innerparteilichen Demokratie beschreiten. Insbesondere soll angestrebt werden, daß sich alle Mitglieder an der innerparteilichen Willensbildung direkt beteiligen können. Wir werben auch um die Mitarbeit von Persönlichkeiten, die nicht Parteimitglied sind und die wegen ihrer Integrität, ihrer Kompetenz und Einsatzbereitschaft anerkannt sind. Wir wollen die Bürger auch für projektbezogene, zeitlich und thematisch begrenzte Mitwirkungsmöglichkeiten innerhalb der CDU gewinnen. Wir erwarten von unseren Amts- und Mandatsträgern eine eigenständige Position und Unabhängigkeit von Interessengruppen, geistige Selbständigkeit, Urteilsfähigkeit und Widerstandskraft gegen jeden Opportunismus ebenso wie Ehrlichkeit und Integrität. Um eine politische Mitwirkung möglichst vielen zu gewährleisten, muß eine sachlich ungerechtfertigte Anhäufung von Ämtern und Mandaten ausgeschlossen werden.

Wir treten für eine bürgernahe Politik ein und wollen die kommunale Selbstverwaltung stärken. Wir anerkennen und unterstützen das ehrenamtliche politische Engagement vieler Frauen und Männer in Städten, Gemeinden und Kreisen, die ihre Freizeit opfern. Kommunalpolitische Entscheidungen sollen - soweit wie möglich - das Votum der Bürger einbeziehen. Wir suchen das Gespräch und die Zusammenarbeit mit den gesellschaftlich bedeutenden Kräften wie Vereinen, Verbänden und Kirchen. Wir wollen verstärkt mit freien Gruppen und Initiativen zusammenarbeiten, die sachkundig und verantwortungsbewußt das öffentliche Leben mitprägen, und sie ermuntern, Mandate und Ämter in Verantwortung für die CDU zu übernehmen.

Wir wollen, dass sich die politischen Parteien aus Institutionen und Gremien zurückziehen, für die ihnen kein politisches Mandat und kein Auftrag zur demokratischen Legitimation zukommen. Zu unserem Verständnis von Politik gehört es, auch ihre Grenzen anzuerkennen. Wir wollen unsere Kraft auf die Aufgaben konzentrieren, bei denen wir als politische Partei gefordert sind. [...]

Aus: Grundsatzprogramm der CDU. Beschlossen auf dem 5. Parteitag am 21.-23. Februar 1994 in Hamburg,
http://http://www.cdu.de:80/politik-a-z/grundsatzprogramm/gp4.htm
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