M 07.10 Massenmedien und Wahlen
 


Für die Mehrzahl der modernen Wähler findet der Wahlkampf in den und durch die Massenmedien statt. Die größte Aufmerksamkeit genießt in diesem Zusammenhang das Fernsehen.

Politiker und Wahlkampfmanager sind sich der großen Bedeutung des Fernsehens bewußt. Sie wissen, daß ein Medium, das so weit verbreitet ist und so viel Zeit des Zuschauers/Wählers in Anspruch nimmt, das alle Bereiche des Lebens beeinflußt, mit Sicherheit nicht ohne Einfluß auf das Wählerverhalten bleiben kann. Selbst wenn die Wirkungen des Fernsehens begrenzt sind, wie von der traditionellen Massenkommunikationsforschung herausgearbeitet wurde, können Parteien, Politiker und Wahlkampfmacher das Fernsehen nicht mehr außer acht lassen. Es ist das vom Wähler am meisten genutzte Medium; die Wirkung des Fernsehens besteht nun einmal bereits in seinem Vorhandensein. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es rund 23,5 Millionen Fernsehhaushalte. Von ihnen können inzwischen 46 Prozent zwischen vier und sieben Fernsehprogrammen, 28 Prozent zwischen sieben und mehr Programmen wählen. Hohe Sehbeteiligung, Aktualität und Glaubwürdigkeit sichern die herausragende Bedeutung des Fernsehens im Wahlkampf. Das Fernsehen ist ein sehr aktuelles Medium. Jedes Ereignis erreicht den Zuschauer sofort. Sondersendungen können eingeschoben werden. Direktübertragungen von politischen Debatten und Veranstaltungen, von Staatsbesuchen und Diskussionen vermitteln das Gefühl, dabeigewesen zu sein. Wenn das Fernsehen über aktuelle Ereignisse berichtet, gibt es ihnen gleichzeitig einen besonderen Stellenwert. Das, was das Fernsehen in Bildern zeigt, bewegt die Menschen, wird von ihnen diskutiert und beachtet.

Die regelmäßige Berichterstattung über die Arbeit der Regierungsparteien erleichtert ihre Selbstdarstellung außerhalb und in Wahlkampfzeiten. Regierungen werden durch das Fernsehen automatisch bevorzugt. Der Amtsbonus des Spitzenkandidaten der Regierungspartei ist mittlerweile ein Fernsehbonus geworden, (wenn er fähig ist, im Fernsehen aufzutreten und etwas zu sagen hat). Viele Wähler sehen die Kandidaten ausschließlich im Fernsehen agieren. Bereits in den sechziger Jahren haben Umfragen gezeigt, wie verläßlich das Fernsehen von den Zuschauern eingestuft wird. Bei der Frage nach der Glaubwürdigkeit der Medien fand sich für das Fernsehen immer eine große Mehrheit. Wenn Wahlkampfmacher das Fernsehen für ihre Arbeit nutzen, setzen sie auf die langfristige und vielschichtige Wirkung des Fernsehens. Sie vergrößert die Bedeutung der Ereignisse zwischen den Wahlen, die die Ausgangslage für den Wahlkampf bestimmen. Durch Themenauswahl, Stimmungen und Gefühle schafft es Voraussetzungen, auf die sich die Wahlkämpfer einstellen müssen.

Das Fernsehen ist das Medium das Parteien und Politiker am ehesten in der Erkenntnis unterstützen kann, daß der Wahlkampf am Tag nach der Wahl beginnt. Langfristig gesehen übt das Fernsehen eher eine indirekte Wirkung auf das Wahlkampfgeschehen aus. Es kann aber auch unmittelbar auf Wahlkampf und Wähler einwirken: Das Fernsehen hat die Kommunikation verändert und die Politik. Das Fernsehen hat den entscheidenden Anteil daran, wen der Zuschauer als künftigen Wahlsieger betrachtet. Diese Behauptung ist das Ergebnis einer Untersuchung der Wahlforscherin Elisabeth Noelle-Neumann. Die Untersuchung ist heftig umstritten, denn sie sagt aus, das Fernsehen habe nicht mehr nur eine allgemeine Bedeutung für den Wahlkampf, sondern eine spezifische, die den Wahlkampf unmittelbar beeinflußt. Auch wenn das Ergebnis der Untersuchung umstritten ist, so hat es doch die Aufmerksamkeit der Wahlkämpfer endgültig auf die unschätzbaren Fähigkeiten des Fernsehens gelenkt. Das Fernsehen hat die Politik verändert. Das betrifft natürlich nicht die zentralen Fragestellungen - sie sind die gleichen geblieben -, es betrifft ihre Darstellung. Es ist etwas völlig anderes, ob man die Aussage eines Politikers im Fernsehen sieht, im Radio hört oder in der Zeitung liest. Das Fernsehen unterscheidet sich von den anderen Medien in erster Linie darin, daß es eher "empfunden als empfangen" wird; eine Tatsache, die zur Folge haben kann, daß das Wie wichtiger wird als das Was, das heißt die Darstellung, das Verkaufen von Politik gewinnt im Vergleich zu den Inhalten eine immer größere Bedeutung.

Zugleich - so belegt eine andere Untersuchung von Elisabeth Noelle-Neumann - ist mit dem Fernsehen das Interesse an der Politik gewachsen. Ein Ergebnis, das die Frage nach der Art und Weise dieses Interesses aufdrängt. Ist es vielleicht einfach gleichzusetzen mit dem Interesse am Fernsehen selbst, das in erster Linie unterhalten soll? Wenn diese Beobachtung richtig ist, wird das Unterhalten immer mehr Einfluß auf die Politik gewinnen. Denn diese Darstellung von Politik richtet sich aus an der Zielsetzung des Fernsehens: interessant, unterhaltend und ansprechend zu sein. Es wird interessanter, über einen Politiker zu berichten, als darüber, was er zu sagen hat. Und es ist spannender und bringt mehr Zuschauer, wenn über Kontroverses und Meinungsverschiedenheiten berichtet wird und nicht über Gemeinsamkeiten. Die aufgezeigten Tendenzen sind nicht nur im Fernsehen zu beobachten. Auch Illustrierte und Boulevardzeitungen nutzen diesen Stil der politischen Berichterstattung. Das Fernsehen erreicht aber weitaus mehr Menschen und kann dadurch, daß es als aktueller und glaubwürdiger eingestuft wird, größeren Einfluß ausüben. Der moderne Wahlkampf ist ohne Fernsehen undenkbar - und es scheint, als müsse sich die Wahlkampfforschung seinen Gesetzen unterordnen.

Aus: A. Steinseifer-Pabst/W. Wolf: Wahlen und Wahlkampf, Heidelberg 1990, S. 105-110.
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