Kampagnen sind kommunikative Feldzüge - Serien von Kommunikations-Events, die planmäßig angelegt sind und ein doppeltes Ziel haben: einerseits Informationen über die Wählerschaft (oder ein bestimmtes anderes Publikum) zu sammeln, andererseits geeignete Informationen unter die Leute zu bringen. Dabei greift eine Kampagne auf drei kritische Ressourcen zurück: Geld, Organisation und den Kandidaten.
Herausragende Kampagnen - wie zum Beispiel der von Jürgen W. Möllemann geführte FDP-Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen - vereinbaren jedoch zuallererst eiserne Regeln für das eigene Kampagnen-Management, vor allem gegenüber der Partei. So sollte es sein: Die Kampagne führt ein Management
- mit einem einzigen Entscheider als Gegenüber,
- als einziges Gegenüber der Werbe-, PR- und Onlineagenturen,
- außerhalb der Parteiorganisation,
- mit einem professionellen, kleinen Team,
- an einem kommunikativen Platz,
- mit einer guten technischen Ausstattung und
- ohne jede Bürokratie.
Manche nennen das nach US-Vorbild 'War Room' oder wie die Sozialdemokraten seit 1998 eine 'Kampa'. Die Professionalität aber wird durch die Grundregeln bestimmt, nicht durch die Etiketten.
Professionalität beweist sich darin, planen zu können und sich nicht borniert, aber diszipliniert an einen Plan zu halten. Einen schriftlichen Plan, fixiert schwarz auf weiß auf Papier (aber nicht in Stein gemeißelt). Eine Wahl- oder andere Kampagne ohne einen Plan ist wie eine Reise ins Ungewisse ohne Karte und Kompass: Die Wahrscheinlichkeit, dass man dort ankommt, wo man hinwollte, ist gering. Der Prozess der Planung, Bewertung, Korrektur und Ausführung eines typischen Wahlfeldzugs zieht sich ohne weiteres über ein Jahr hin. Dessen sollte man sich bewusst sein. Und vor allem der Tatsache, dass es hier um eine Reihe von Verteilungsentscheidungen geht. Ressourcenallokation, sagen die Betriebswirte, oder schlicht: Wer kriegt was, wann und wie? Und wer tut was, wann wie - und wer zahlt dafür?
Ob im Zentrum einer Kampagne nun eine Partei steht, ein Sachthema oder das Image einer Person oder Organisation, ist die erste Entscheidung der Kampagnenmacher. Aber von diesen drei strategischen Grundtypen verwendet eigentlich jedes Team, abhängig vom politischen Kontext (Art des angestrebten Mandats oder Ziels, allgemeine Trends, Stimmungen, Lager), immer einen Mix. Der Kampagnenplan sollte diese zwölf Kapitel umfassen:
Recherche und Analyse des politischen Gegners und seiner Planungen, der demographischen Zusammensetzung und Lebensstile der Wählerschaft, ihrer sozialen und politischen Verhaltensweisen, aber auch der eigenen Stärken und Schwächen. Um zu wissen, wie man verlieren könnte. Und unter welchen Startbedingungen man beginnt.
Quantitative Umfrageforschung: Dabei kommt es nicht darauf an, sich durch teure Demoskopen berichten zu lassen, wo man steht. Sondern was sich wo bewegt, wo der Gegner Schwächen zeigt, welche Themen heiß sind und als Vehikel für die eigene Sache genutzt werden können. Ob die Daten nun von einem befreundeten Uniprofessor kommen oder von einem großen kommerziellen Institut, ist zweitrangig: Wichtig ist die Unabhängigkeit der Quelle, die einem ohne strategische Interessen die harten Fakten mitteilt.
Politische Bündnisse: das klassische Coalition-Building innerhalb und außerhalb der Partei, befreundeter Verbände und Vereine, Lobbies und Interessengruppen, aber auch befreundeter Medien. Gesucht werden Meinungsführer und Multiplikatoren, die entweder selbst für die Kampagne streiten oder andere mobilisieren können.
Werbung: die bezahlte und kontrollierbare Kommunikation je nach Budget. Zeitungsanzeigen, Plakate, Radio- und TV-Werbespots, Kinospots, Internet-Websites, Werbepost (Direct Mailings). Alle diese erfordern Vorbereitung durch die Agenturen (sog. Briefings), eine Phase des Entwerfens und Verwerfens von Konzepten, eine Phase der Produktion der Werbemittel und Anzeigen - und schließlich des Platzierens, also des Kaufs von Werbeplatz und Sendeminuten. Das ist nichts für Amateure.
Straßenwahlkampf und Events: organisierte Aktionen der Partei- bzw. Aktivistenbasis mit oder ohne Prominente - Infostände, Telefonaktionen, Canvassing (Klinkenputzen) von Tür zu Tür. Das erfordert Personalmanagement nicht nur der Profis, sondern auch der freiwilligen Helfer - und erheblichen Logistikaufwand. Das gilt erst recht für Großereignisse wie z.B. Parteitage, die von vielen Aktionen begleitet werden (etwa spezielle Internet-Angebote, Pressekonferenzen oder schlicht kamerataugliche Stunts und Symbole).
Pressearbeit: Kommunikation, die über die Information und Beeinflussung unabhängiger Medien läuft, um in den redaktionellen und damit glaubwürdigeren Teil der Nachrichtenmedien zu kommen (im Gegensatz zu den Werbeseiten und -blöcken). Das sollte nicht den spontanen Einfällen des Pressesprechers überlassen sein, sondern sich der Gesamtkommunikationsstrategie unterordnen.
Koordination und Zeitplanung des Kandidaten (oder Spitzenpersonals): definiert die Regeln für die Zu- und Absagen von Terminen einschließlich ihrer jeweiligen politischen und kommunikativen Ziele. Zumindest muss ein System her, nach dem Einladungen akzeptiert oder abgesagt werden - und die Logistik vorbereitet wird (Kombination mit anderen Terminen, Hin- und Rückfahrt, Reden schreiben, persönliche Vorbereitung, Medienrummel, Nacharbeitung). Aber statt nur auf Einladungen zu warten, sollte man selbst proaktiv Events kreieren und sie vermarkten.
Finanzplan: ist nicht nur eine einfache Aufstellung von Einnahmen und Ausgaben, sondern muss präzise definieren, was mindestens für bestimmte Aufgaben in der Kasse sein muss - und auch zu welchem Zeitpunkt Geld rein- und rausgeht (Cash Flow). Je früher das Geld kommt, desto mehr kann es wie Hefe wirken und den politischen Effekt vermehren; aber wer in der heißen Phase kurz vor Schluss pleite ist, hat selber Schuld.
Fundraising-Plan: Kommunikation ist teuer. Nur wer vor und während einer Kampagne systematisch viele Kleinspenden sammelt, wird seine Mittel aus wenigen Großspenden, öffentlichen Zuschüssen und Mitgliedsbeiträgen ausreichend aufstocken können. Nicht jede Kampagne benötigt ein externes Fundraising-Team, wie es die FDP mit der Bonner Agentur Weber Shandwick und dem Konzept '18/2002 Bürgerfonds für Deutschland' einführt. Aber Beratung durch erfahrene Spendensammler und Sozialmarketing-Profis (etwa von Wohlfahrtsverbänden) ist nötig - egal, ob es um Online-Spenden, Bettelbriefe, Benefiz-Entertainment oder Kandidaten-Dinners geht.
Verwaltung und Buchhaltung: Auch ein kleines Team und kleine Parteigremien benötigen ein Mindestmaß an Büroroutine, Assistenz und Office Management, außerdem klare Verantwortlichkeiten bei der Abwicklung der Finanzen (Schatzmeister!).
Mobilisierung am Wahltag (oder anderem Höhepunkt der Kampagne wie einer Großdemonstration, einem landesweiten Aktionstag, einer Abstimmung): Der 'letzte Ruck' muss präzise vorbereitet sein, um das Maximum kurz vor Toresschluss aus allen Ressourcen einer Kampagne herauszuholen.
Zeitplan: für alle Themen, Werbung, PR-Aktionen, Fundraising und Finanzen müssen die Ziele nicht 'irgendwann', sondern auf konkrete Termine hin definiert werden.
Was hier in Stichworten aufgezählt ist, sind nur die ersten Schritte in einem Kampagnenplan - eine Art Aufgabenkatalog mit lauter leeren Arbeitsblättern, die zu füllen sind. Aber Kampagnenplanung ist kein Geschäft, das sich nach Patentrezepten führen ließe. Intuition, Instinkt und Kreativität gehören ebenso dazu wie professionelle Erfahrung - die Erfahrung, die es möglich macht, Entscheidungen sofort und eindeutig zu treffen und auch 'nein' zu sagen. Ebenso gehören dazu Geld und Organisation als Startkapital einer Kampagne. Vor allem aber an der Spitze ein eigenständiger politischer Kopf, seine Fähigkeit, die richtigen Profis zu verpflichten und seine Durchsetzungskraft, die Laien bis zum Wahlsieg fernzuhalten.
Von Michael Block