M 07.14 Rolle der Regierung im Wahlkampf
 


Es ist im Wahlkampf erste Aufgabe der Regierungsparteien, den Wählern eine positive Gesamtsumme der Regierungstätigkeit vorzuführen. Negative Punkte werden unterdrückt, positive herausgestellt. Diese "Leistungsbilanz" ist eine natürliche Stärke der Regierungsparteien im Wahlkampf; die Opposition kann keinen Regierungserfolg nachweisen. Je höher die tatsächliche Regierungsleistung ist, je wirksamer sie anschließend im Wahlkampf präsentiert wird, desto stärker schlägt sich der Faktor "Leistungsbilanz" im Wahlergebnis nieder. Guter Wahlkampf kann aus einer schlechten tatsächlichen Leistung eine akzeptable machen, schlechter Wahlkampf kann die tatsächliche Leistung herabsetzen. Gute Leistung mit gutem Wahlkampf zu verbinden, ist der Traum der Regierungsparteien. (...)

Eine natürliche Chance der Regierung im Wahlkampf ist die Möglichkeit, das Regieren in der Wahlkampfphase besonders öffentlichkeitsbewußt zu inszenieren, sowie eine spezielle Abart dieser Tätigkeit, die man mit dem Begriff "Wahlgeschenk" klassifiziert. Zunächst geht es darum, spektakuläre Auftritte, insbesondere Auslandsreisen des Regierungschefs und der Minister, sowie populäre Regierungsbeschlüsse so nahe an den Wahltermin heranzulegen, daß sie der Vergeßlichkeit der Bürger, diesem größten Feind der guten Leistungsbilanz, weniger stark anheimfallen. Der Begriff "Wahlgeschenke" geht darüber noch hinaus. Mit ihm bezeichnet man in der Regel Leistungen des Staates, besonders im sozialen Bereich, die nicht nur terminlich vor einer Wahl, sondern wegen dieser Wahl vorgenommen werden und die in Nichtwahlkampfzeiten möglicherweise gerade von der Regierung als nicht machbar oder als unverantwortlich bezeichnet worden wären. (...)

Ein Regierungsapparat kann von Hause aus wesentlich mehr und qualifiziertere Nachrichten produzieren als der der Opposition.

Die positiveren Nachrichten über ihre Tätigkeit verbinden die Regierungsparteien in der Regel mit dem Argument, es gebe zu ihrer Politik in Wirklichkeit keine Alternative, die Opposition habe nichts außer schönen Worten anzubieten, und im übrigen bestehe die große Gefahr, daß ein Regierungswechsel innen- und außenpolitisch ins Unglück führe. Das ist das Grundraster der Wahlkampfführung der Regierungsparteien, ganz gleich, um welche Parteien es sich gerade handelt. Dieses Raster greift beim Wähler um so schärfer, je besser die allgemeinpolitische Situation ist. Außenpolitische Stabilität, innenpolitischer Frieden, wirtschaftlicher Aufschwung: ob nun die Regierung dafür ganz oder teilweise verantwortlich ist oder ob dies den weltpolitischen Umständen zuzuschreiben ist, die Regierungsparteien kassieren im Wahlkampf hierfür auf jeden Fall den Schön-Wetter-Bonus. Natürlich müssen sie auch einen Schlecht-Wetter-Malus einstecken, wenn außenpolitisch die Zeichen auf Sturm stehen und innenpolitisch Unfriede, Inflation oder Arbeitslosigkeit drohen. Auch dies ist relativ unabhängig von der tatsächlichen Verantwortlichkeit für diese Vorgänge. Eine Leistungsbilanz wirkt nur in einer beruhigten Umgebung positiv.

In der Bundesrepublik rechnet man darüber hinaus noch mit einem besonders starken Amtsbonus für die Regierung, unabhängig von der tatsächlichen Leistung und unabhängig von der allgemeinen politischen Lage der Regierung und ihrer Parteien. Dieser Amtsbonus erschwert die Stellung der Opposition von vornherein. Die Begründung für diesen Vorgang wird darin gesehen, daß die deutsche Bevölkerung aus der geschichtlichen parlamentarischen Tradition heraus die Rolle der Regierung und der Opposition qualitativ unterschiedlich wertet; überspitzt ausgedrückt: die Regierungsparteien tragen den Staat, die Oppositionsparteien querulieren.

Aus: W. Wolf: Wahlkampf und Demokratie, Köln 1985, S. 21-25.
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