M 07.17 Der Wahlkampf
 


Nach einer alten Regel beginnt der Wahlkampf, nämlich die parteipolitische Auseinandersetzung um die besten Startplätze, am Tag nach der Wahl. Sie läßt sich nicht vorwegplanen, kann allerdings bewußt inszeniert werden. Die Parteien haben die Möglichkeit, politische Themen in den Vordergrund zu rücken oder beiseite zu schieben, sie können die Tagesordnungen der Parlamente wie auch Personalentscheidungen frühzeitig auf den nächsten Wahlkampf ausrichten. Etwa ein Jahr nach dem vergangenen Wahltag ist das letzte Wahlergebnis analysiert und "verdaut". Auf der Tagesordnung stehen dann Reorganisation und Neumotivierung der politischen Führung, der Fraktionsarbeit sowie des hauptamtlichen Parteiapparats. Das sind Vorgänge, die über die Parteimitglieder hinaus auf die gesamte Anhängerschaft ausstrahlen sollen.

Die innerparteiliche Mobilisierung hat die Aufgabe, bis zum Wahltag hin möglichst viele Parteimitglieder zu aktivieren. Die Aktivierung ist einer der entscheidenden Wahlkampffaktoren. Der Wahlkampf läßt sich unterteilen in Vorbereitungszeit, Vorwahlkampfzeit und Schlußphase. In der Vorbereitungszeit erarbeiten die Parteien auf allen Ebenen eine allgemeine politisch-organisatorische Planung. Sie ist geschrieben oder ungeschrieben, mehr oder weniger konkret und ausführlich gefaßt, soll organisatorische Aufgaben festlegen wie Parteitage, innerparteiliche Wahlen, Kongresse, Zielgruppengespräche, in groben Umrissen die politische Arbeit des Parteivorsitzenden, der Führungsgremien, der Parlamentsfraktionen sowie werbliche Aktionen und Mitgliederansprachen. Die Ausrichtung auf den bevorstehenden Wahlkampf bestimmt den Sinn all dieser Aktionen.

Für Bundestagswahlen und Landtagswahlen endet die Vorbereitungszeit etwa nach zwei Dritteln bis drei Vierteln der Legislaturperiode. Dann beginnt die Vorwahlkampfzeit. Auf Bundesebene, zum Teil auch auf Landesebene wird sie von einer genauen Kalender- bzw. Netzplanung bestimmt, die alle politischen, organisatorischen, werblichen Termine, Aktionen und Arbeiten bis zum Wahltermin vereint. Der zeitliche Ablauf für die Werbekampagne könnte zum Beispiel folgendermaßen aussehen:

  • Erarbeitung erster Überlegungen im Parteiapparat,
  • Diskussion eines Entwurfpapiers in den Führungsgremien einschließlich der Wahlkampfkommission,
  • Herausgabe einer konzeptionellen Anweisung an Werbeagenturen,
  • Präsentation erster Entwürfe vor der Wahlkampfkommission,
  • Perfektionierung der Entwürfe,
  • Abstimmung mit den Führungsgremien,
  • Festlegung eines Zeitpunktes für den Beschluß über den zentralen Werbeslogan,
  • endgültiger Beschluß der kompetenten Gremien über Werbelinie und Slogan,
  • Produktionsfahrpläne für die Werbemittel,
  • Auslieferung der Materialien an nachgeordnete Parteigliederungen,
  • Belegplan für Anzeigen und kommerzielle Plakatierung,
  • Einsatz der Werbemittel.

Die letzten zwanzig Tage schließlich, der zweite Abschnitt der Schlußphase, bilden den Höhepunkt der politischen und werblichen Propaganda. Es ist die Zeit der kommerziellen Großplakatierung, des massiven Anzeigeneinsatzes. Die Angriffe auf den politischen Gegner gewinnen an Schärfe, große Schlußkundgebungen sollen die Wähler noch einmal motivieren. Am Tag vor der Wahl kommt ein letzter öffentlicher Aufruf, eine letzte Großanzeige hinzu. Die nochmalige Motivierung und Mobilisierung von Mitgliedern und parteinahen Gruppierungen in der Schlußphase des Wahlkampfs muß gut "getimet" sein, sie kann nämlich auch zu früh oder zu spät einsetzen. Zu früh ist eine Mobilisierung dann, wenn das erreichte hohe Niveau nicht durchgehalten wird, wenn zusätzliche Kräfte nicht mehr zu aktivieren sind, wenn die Kräfte so ausgezehrt sind, daß der Wahlkampf frühzeitig ermüdet und abflacht.

Aus diesen Gründen ziehen Wahlkampfplaner einen "kurzen und heißen Wahlkampf" vor. Er zahlt sich aus, wenn die Parteiführung nach einem langen Wahlkampf etwas Neues zu bieten hat. Ein unverbrauchtes Thema, neue Varianten, den politischen Gegner anzugreifen, frische Werbesprüche können ein letztes Ansteigen der Mobilisierungskräfte bewirken. Die Zeitplanung kann also auch von Bedeutung für den Wahlausgang sein. Wenn auch die politischen, personellen und werblichen Vorgaben entscheidend sind, so kann eine gute Zeitplanung organisatorische Vorteile bringen. Wenn ein Wahlkampf spät beginnt, für die letzte Phase zu früh aufhört, können Stimmen verloren gehen, die zum Beispiel bei knappen Mehrheitsverhältnissen Gewinn oder Verlust der Wahl bedeuten. Ein Wahlkampf, der sich nicht kontinuierlich auf dem notwendigen Niveau hält, bietet dem politischen Gegner die Möglichkeit, seine Standpunkte massiv zu vertreten. Auf diese Weise kann er einen Vorsprung erreichen, der vor allem die Meinung der noch unentschlossenen Wähler beeinflussen kann.

Aus: A. Steinseifer-Pabst/W. Wolf: Wahlen und Wahlkampf, Heidelberg 1990, S. 56-58.
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