M 07.27 Bündnis '90/Die Grünen
 


Die Partei hat ihre Wurzeln sowohl in der studentischen, z.T. marxisitisch orientierten Protestbewegung und den aufkommenden Umweltschutzbewegungen der sechziger Jahre als auch in den neuen sozialen Bewegungen (Frauen-/Friedensbewegung). Aus verschiedenen Bürgerinitiativen mit unterschiedlichem Hintergrund (z.B. aus der Hausbesetzerszene, kommunistischen Gruppen oder national, bürgerlich orientierten Naturschützern) formierten sich in den siebziger Jahren zunächst lokale Wählergruppen, die sich regional, dann landesweit ausbreiteten (z.B. die Anti-Atomkraftbewegung, die in Niedersachsen als Reaktion auf die geplante Aufbereitungsanlage Gorleben bereits 1977 zur Bildung der Grünen Liste Umweltschutz für die Landtagswahlen führte). Erfolge bei Kommunal- und Landtagswahlen Ende der siebziger Jahre führten zur Konstituierung der Partei Die Grünen (Anfang 1980 in Karlsruhe) auf Bundesebene, brachte aufgrund der unterschiedlichen Hintergründe der Mitglieder jedoch keine Einigkeit.

Zwei gegensätzliche Parteiflügel bildeten sich heraus: Zum einen waren dies die eher pragmatisch orientierten "Realos". Sie tendierten zur Koalitionsbildung mit der SPD, erkannten die repräsentative Demokratie an. Zum anderen gab es die Fundamentalisten ("Fundis"), die die Einbindung in das gegenwärtige System ablehnten. Austritte und Abspaltungen waren keine Seltenheit. So behielt in den Anfangsjahren der linke Flügel in der Partei die Oberhand, wie z.B. die Abspaltung der konservativen ÖDP (Ökologisch-Demokratische Partei) zeigt. Erst Ende der achtziger, Beginn der neunziger Jahre gewannen die "Realos" an Einfluß (1991 trat der radikalökologische Kreis um Jutta Ditfurth aus der Partei aus).

Gespalten und zerstritten gingen Die Grünen in die Bundestagswahl 1980; sie kamen so auch nur auf 1,5% der Stimmen. Im Gegensatz dazu konnten Die Grünen bei der Bundestagswahl vom 6.3.1983 einen Wahlerfolg erzielen: Mit ihrem Einzug in den Bundestag gab es seit 1961 zum ersten Mal wieder mehr als drei Fraktionen im Bundestag. In ihrer Rolle als Koalitionspartner und Mehrheitsbeschaffer, bis jetzt vor allem auf Länderebene, stehen sie in Konkurrenz zur F.D.P. Auf der Ebene des Wahlkampfes sprechen sie jedoch viele ehemalige SPD-Wähler an. 1990 scheiterten Die Grünen (West) mit 4,8% bei der Bundestagswahl, zum ersten Mal seit 1983, an der 5%-Hürde (für die erste gesamtdeutsche Wahl galt die Ausnahmeregelung der getrennten Behandlung der Wahlgebiete Ost und West). Im Gegensatz dazu konnte das aus der DDR-Bürgerbewegung (Neues Forum, Demokratie Jetzt, Initiative für Frieden und Menschenrechte) und neuen grün-ökologischen Ostparteien zusammengeschlossene Bündnis ‘90/Die Grünen mit 6,1% (im Wahlgebiet Ost) in den Bundestag einziehen. Gemeinsam wären die beiden Parteien auf 5,05% im gesamten Bundesgebiet gekommen.

Erst 1993 vollzog sich nach einer Mitgliederabstimmung der Vereinigungsparteitag in Leipzig. "Es bleibt bemerkenswert, daß ausgerechnet den Einheitsskeptikern des Jahres 1990 glückte, worin alle anderen Parteien gründlich versagt haben: Sie wurden mit Anstand gesamtdeutsch", so die TAZ-Autorin T. Bruns in ihrem Aufsatz "Bündnis ‘90/Die Grünen: Oppositions- oder Regierungspartei" (APUZ Bl/1994, S. 27-31, hier: S. 28). Dieser Zusammenschluß stand keineswegs wie bei den Liberalen oder der CDU von vornherein fest, da die Grünen (West) ähnlich wie die SPD kein Pendant im Osten vorfanden. Hinzu kam die Schwierigkeit nach der Abnahme der zuvor bestimmenden Richtungsstreitigkeiten innerhalb der Grünen im Westen, die eher bürgerlich orientierten Mitglieder aus der ehemaligen DDR zu integrieren (dies wurde z.B. durch den Austritt der ehemaligen DDR-Bürgerrechtler und grünen Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld und anderer, deren Forderung nach einer klaren Abgrenzung zur PDS die Partei nicht nachkam, 1996 offengelegt).

Nach dem Grundsatzprogramm von 1980 vertreten sie vor allem die Themen Gleichstellung von Mann und Frau, Ökologie und Friedenspolitik. Ihre Grundwerte benennen sie als "ökologisch", "sozial", "basisdemokratisch" und "gewaltfrei". Der Schwerpunkt liegt im ökologischen Bereich. Der Assoziierungsvertrag des Vereinigungsparteitages 1993 hingegen, der die Grundsätze von 1980 modifiziert, verzichtet auf den Begriff der Basisdemokratie. Trotzdem drückt sich dieser Gedanke in der dezentralen Parteiorganisation aus, in der die Orts-, Kreis- und Landesverbände ein hohes Maß an organisatorischer und programmatischer Selbständigkeit besitzen.

Die Wähler und Mitglieder der Grünen sind vor allem in der mittleren Generation vertreten, heute ist der Großteil der Mitglieder und Wähler zwischen 30 und 45 Jahre alt; der Anteil der Jungwähler hat sich verringert, ist jedoch nach wie vor hoch. Der Akademikeranteil ist bei Wählern wie Mitgliedern überproportional hoch. Viele Mitglieder kommen aus Dienstleistungsberufen. Die Grünen sind eine eher mitgliederschwache Partei, ihre Mitgliederzahl wächst jedoch kontinuierlich. Nach ihrer Gründung 1980 hatte die Partei 10.000, 1985 bereits 39.000 Mitglieder, Ende 1995 46.130 Mitglieder mit einem hohen Frauenanteil (1987 bei 33%).

Trotz schlechter Ergebnisse auch bei Landtags- und Kommunalwahlen 1990, konnten Bündnis ‘90/Die Grünen mit 7,3% (7,9% West, 4,3% Ost) zu den Bundestagswahlen 1994 als drittstärkste Fraktion in den Bundestag einziehen. Sie sind (Mitte 1997) in allen westlichen Landesparlamenten und in Sachsen-Anhalt vertreten und in vier Ländern auch an der Regierung beteiligt.

Bei der Bundestagswahl 1998 erreichten die Grünen 6,7 % der Zweitstimmen und sind in der Koalition mit der SPD erstmals an einer Bundesregierung beteiligt. Dies ist wohl als Hauptgrund dafür zu sehen, dass der Einfluss der "Realos" sich gegenüber den "Fundis" noch weiter verstärkte.

In eine innerparteiliche Krise ist der Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen mit der Zustimmung zur Beteiligung Deutschlands an den Militäreinsätzen in Afghanistan geraten. Zudem befindet sich die Partei schon seit einigen Wahlen in Bund und Ländern im Abwärtstrend, sie verliert zunehmend die junge Generation als Wähler/innen. Mit dem neuen Parteiprogramm "Grün 2020 - wir denken bis übermorgen" möchten die Grünen sich zur "Reformpartei mit Regierungsverantwortung" wandeln. Ob es ihnen gelingt, Ihre Ziele aus der Gründungszeit Anfang der 80er Jahre und damit ihr eigenes Profil als Umwelt- und Reformpartei mit den Anforderungen an eine Regierungspartei glaubwürdig gegenüber ihren Parteimitgliedern und Wähler/innen zu vertreten, scheint heute eher fraglich. Eine zweite Amtsperiode einer rot-grünen Bundesregierung hängt nach heutiger Sicht also vor allem vom Abschneiden der Grünen bei der Wahl ab. Die starken Gegner der Grünen um Platz drei in der Parteienlandschaft sind dabei die FDP, die als Koalitionspartner der SPD (siehe Hamburg und Berlin) an Bedeutung gewinnt, und im Osten Deutschlands die PDS, die die Grünen - und in manchen Ländern sogar die CDU - auf die Plätze verweist.

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