M 08.06 Instrumente der Wählerstatistik
 


Repräsentative Wählerstatistik

Die Wahlforschung arbeitet mit Daten von unterschiedlicher Zuverlässigkeit und Aussagekraft. Eine sehr zuverlässige Informationsquelle sind die seit 1953 vom Statistischen Bundesamt bei Bundestagswahlen durchgeführten Repräsentativerhebungen, die vor allem eine Aufschlüsselung der abgegebenen Stimmen und der Wahlbeteiligung nach Altersgruppe und Geschlecht erlauben. Dabei werden in ausgewählten Wahlbezirken besondere Wahlzettel ausgegeben, auf denen die Unterscheidungsmerkmale "Alter" und "Geschlecht" vermerkt sind. Aus Datenschutzüberlegungen (insbesondere Sicherung des Wahlgeheimnisses) unterscheidet die repräsentative Wählerstatistik aber nach so wenig Merkmalen, daß die Aussagekraft eng begrenzt bleibt. Darüber hinaus sind Geslchecht und ater auch keine ähnlich aussagekräftigen Indikatoren wie soziales Milieu.


Meinungs- und Umfrageforschung

Die Meinungs- und Umfrageforschung hat den großen Vorteil, daß sie den Zugang zu einer Vielzahl von individuellen Daten im Zusammenhang mit Wählerverhalten ermöglicht, die auf anderem Wege nicht zu erhalten sind. Sie ist aber auch mit bestimmten Fehlerquellen verbunden.

Einer nach statistischen Kriterien repräsentativ ausgewählten Gruppe von Bürgern wird in gewissen Zeitabständen die Frage gestellt: "Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären, welcher Partei würden Sie Ihre Stimme geben?" Es folgt meist eine ganze Anzahl von Fragen, die sich u.a. auf demographische Daten, Organisationszugehörigkeit, Parteiidentifikation, Sympathie- und Kompetenzeinstufungen von Parteien und Spitzenpolitikern sowie die Einschätzung der Bedeutung politischer Sachprobleme beziehen. Als Beispiel für die Art der dabei anfallenden Ergebnisse kann das regelmäßig ausgestrahlte ZDF "Politbarometer" dienen. Während der Wahlkampfzeit wird u.a. die Panel-Methode angewandt, bei der ein "geschlossener Kreis" (panel) repräsentativ ausgewählter Bürger in bestimmten Abständen befragt wird, um Veränderungen zu erfassen.

Die Meinungsforschung ist in der Öffentlichkeit besonders bekannt geworden durch ihre Wahlprognosen. Dabei haben sich die Vorhersagen der großen Institute in der Tendenz als ziemlich zuverlässig erwiesen, wenn auch nicht unerhebliche Differenzen zwischen den Prognosen der verschiedenen Institute aufgetreten und auch Fehlprognosen nicht ausgeblieben sind.

Fehlerquellen sind u.a.:

  • bei der Auswahl der Befragten und bei der Formulierung der Fragen (unterschiedliches Verständnis von Fragen, Fehler der Interviewer) können bereits Verzerrungen auftreten;

  • die Antworten der Befragten müssen nicht immer ihre tatsächliche Meinung wiedergeben. Z.B. ist bekannt, daß Anhänger kleiner Parteien oder als extremistisch eingestufter politischer Gruppierungen ihre politischen Ansichten häufig nicht offen zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse von Rückerinnerungsfragen (früheres Wahlverhalten), daß das Erinnerungsvermögen offenbar vom vorherrschenden Meinungsklima beeinflußt wird;

  • die Zahl derjenigen, die sich als noch unentschlossen einstufen, ist vor Wahlen nicht unbeträchtlich, und ihre wahrscheinliche Entscheidung muß anhand problematischer Erfahrungswerte prognostiziert werden;

  • der Zeitfaktor zwischen Befragung und Wahltermin ist zu berücksichtigen, insbesondere, wenn noch wichtige, den Wähler beeinflussende politische Ereignisse auftreten;

  • jeder Schluß von kleinen Stichproben auf die Gesamtheit enthält eine statistisch genau zu berechnende Fehlerwahrscheinlichkeit, die eine Prognose bei sehr knappen Ergebnissen zum Lotteriespiel macht.

Kritiker der Meinungsforschung argumentieren, daß die ständige Veröffentlichung von Umfrageergebnissen die repräsentative Struktur unseres politischen Systems zu untergraben drohe, daß sich Politiker zu stark an den Ergebnissen von Meinungsumfragen orientieren könnten. Auch der Wähler könne durch Umfrageergebnisse in seinem Wahlverhalten beeinflußt werden. Da die Auftraggeber von wahlbezogenen Meinungsumfragen häufig Parteien sind, ist auch kaum zu vermeiden, daß versucht wird, die Ergebnisse als taktisches Instrument zu nutzen.


Wählerwanderungsbilanz

Die Wählerwanderungsbilanz ist ein Beispiel für die Verknüpfung von amtlichen Wahldaten und Daten der Umfrageforschung. [...] Die Wählerwanderungsbilanz soll - wie schon der Name sagt - Auskunft geben über die Wählerbewegungen zwischen zwei Wahlterminen. "Zunächst werden die amtlichen Endergebnisse zweier Wahlen miteinander verglichen, dann ermittelt man die Größe der Gruppen, die zur Wählerschaft hinzugekommen sind (Erstwähler), sowie der durch Tod oder Umzug herausgefallenen Wählergruppen, multipliziert diese Zahlen mit den gruppenspezifisch geschätzten Wahrscheinlichkeiten der Stimmabgabe für die einzelnen Parteien und bereinigt die amtlichen Endergebnisse um diese Werte. Die verbleibenden Differenzen können dann auf die Wählerwanderungen zwischen den Parteien zurückgeführt werden." (W. Bürklin: Wählerverhalten und Wertewandel. Opladen 1998, S. 99) Weitere Ausgleichsrechnungen führen schließlich zu der so überzeugenden Computer-Grafik des Wahlabends, die von den Unsicherheiten ihres Zustandeskommens nichts mehr verrät.

Aus: W.Woyke: Stichwort: Wahlen, 10. überarb. Aufl., Opladen 1998, S. 245 ff.
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