M 09.21 Beispiel Brandenburg: Wählerprofile der Erstwähler
 


a) SPD- Wähler
Die SPD Wähler zeigten sich als einer relativ heterogene Gruppe von Jugendlichen. Sie kamen aus Elternhäusern mit eher niedriger Bildung und gehörten zum größten Teil keiner Religionsgemeinschaft an. Ihre Einstellungen zu Demokratie und Sozialismus waren nicht auffällig positiv oder negativ im Vergleich zu den anderen Jugendlichen. Sie befürworteten etwas seltener bürgerliche Freiheitsrechte wie Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht und forderten etwas häufiger einen Staat, der unter bestimmten Bedingungen auch repressiv gegen seine Bürger vorgeht (Law and Order). In ihren Werthaltungen unterschieden sich die SPD-Wähler lediglich durch eine stärkere Orientierung auf materialistische Werte (hohes Einkommen, Sicherheit) von den anderen Jugendlichen. Die SPD-Wähler zeigten eine geringe kognitive politische Mobilisierung: Sie waren weniger an Politik interessiert, redeten seltener mit Freunden über Politik, nutzten seltener die Massenmedien zur politischen Information und hatten weniger das Gefühl, politisch etwas bewirken zu können. Die SPD- Wähler waren in geringerem Maße politische und sozial engagiert, arbeiteten seltener in Organisationen mit und waren weniger bereit, sich an konventionellen Formen des politischen Protests, aber auch an illegalen Formen des zivilen Ungehorsams und an Gewalt zu beteiligen. […] In Bezug auf die Wende und das Gefühl der sozialen Benachteiligung als Ostdeutsche gab es keine Besonderheiten in den Einstellungen der SPD- Wählerschaft.[…]

b) CDU-Wähler
Im Gegensatz zur SPD- Wählerschaft zeigen die CDU- Wähler ein wesentlich eindeutigeres Profil. Die CDU- Wähler waren überwiegend männlich, höher gebildet und häufiger Mitglied in einer Religionsgemeinschaft. Die CDU- Wähler waren überzeugtere Anhänger der Idee der Demokratie und waren auch nach der verlorenen Bundestagswahl noch überdurchschnittlich zufrieden mit der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus erwiesen sie sich als Gegner des Sozialismus, sie standen sowohl der Idee als auch dem früheren Sozialismus der DDR negativ gegenüber. Die CDU- Wähler beurteilten zudem die Wende positiver und verwahrten sich gegen eine Gefühl der Benachteiligung als Ostdeutsche. Die CDU- Wähler entsprachen dem Bild des traditionell- konservativ eingestellten Staatsbürgers, sie stuften sich auf der politischen Links- Rechts- Skala eher rechts ein und vertraten stärker "Law and Order"-Positionen. Sie setzten stärker auf Werte wie Pflichtbewusstsein und Anpassung sowie auf Sicherheit und materiellen Wohlstand. Im Vergleich zu den anderen Jugendlichen waren sie eher autoritär disponiert und hatten traditionellere Vorstellungen von der Rolle der Frau in Familie und Beruf. In Bezug auf die Bereiche kognitive politische Mobilisierung und Partizipation fielen die CDU- Wähler durch ein stärkeres Engagement in kirchlichen Gruppen auf, Sie wiesen unkonventionelle politische Protestformen, ob legal oder illegal, von sich und waren zudem desinteressierter an Neuer Politik. Die CDU- Wähler bildeten jedoch die einzige Wählergruppe, die sich durch eine signifikant geringere Politikverdrossenheit, das heißt durch ein stärkeres Vertrauen in die Politiker und politischen Institutionen der BRD auszeichnete.[…]

c) FDP-Wähler
Die FDP-Wähler bildeten mit einem Anteil von etwa 4 Prozent eine recht kleine Gruppe unter den befragten Erstwählern. Die FDP- Wähler waren häufiger männlich und höher gebildet. Sie waren wie die CDU- Wähler zufriedener mit der Demokratie in der Bundesrepublik und lehnten den Sozialismus der früheren DDR ab. Die Wende wurden von den FDP- Wählern ebenfalls positiv beurteilt. Die FDP- Wähler befürworteten den Wert der Kritikfähigkeit […]. FDP- Wähler glaubten außerdem eher, politisch etwas bewirken zu können. Insgesamt entstand der Eindruck einer gebildeten und selbstbewussten FDP- Wählerschaft, welche sich in der Demokratie der BRD wohlfühlt und den Sozialismus früherer DDR-Prägung ablehnt. […]

d) PDS-Wähler
Ähnlich wie die CDU- Wähler hatten auch die PDS-Wähler ein relativ klares und eindeutiges Profil. Nach den Ergebnissen der Analyse waren die typischen PDS-Wähler höher gebildet und stammten aus höher gebildeten Elternhäusern. Außerdem gehörten sie seltener einer Religionsgemeinschaft an. Sie waren eher unzufrieden mit der Demokratie in der BRD und befürworteten stärker sowohl die Idee des Sozialismus als auch den Sozialismus der früheren DDR. Konsistent dazu beurteilten sie die Wende eher negativ. Die PDS-Wähler stuften sich politisch eher links ein, befürworteten stärker bürgerliche Freiheitsrechte wie Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht und lehnten staatliche Repressionsmaßnahmen eher ab. Sie lehnten außerdem Pflicht- und Akzeptanzwerte sowie materialistische Werte eher ab und befürworteten Werte wie Kritikfähigkeit und - als einzige Wählergruppe neben den Wählern von Bündnis90/Die Grünen - Prosozialität. Sie waren weniger autoritär disponiert, weniger ausländerfeindlich und stärker für die Gleichstellung von Mann und Frau in Familie und Beruf. Die PDS- Wähler bildeten außerdem die Gruppe mit der höchsten kognitiven politischen Mobilisierung sowie der höchsten Partizipation und Protestbereitschaft. Keine andere Wählergruppe profilierte sich insgesamt so stark wie die PDS- Wähler im Hinblick auf das allgemeine Interesse für Politik sowie das Interesse an Neuer Politik, im Hinblick auf die Kommunikation mit Eltern und Freunden über Politik, die Mediennutzung zur politischen Information, das Gefühl, selbst politisch etwas bewirken zu können, das tatsächliche Engagement im politischen und sozialen Bereich und die Bereitschaft zu jeglicher Form von politischem Protest mit Ausnahme von politischer Gewalt. […]

e) Wähler von Bündnis90/Die Grünen
Das Profil der Bündnis 90/Die Grünen - Wähler zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Profil der PDS- Wähler. Die typischen Wähler der Grünen waren ebenfalls höher gebildet und kamen aus einem gebildeteren Elternhaus. Sie stuften sich ebenfalls politisch links ein, befürworteten stärker bürgerliche Freiheitsrechte und lehnten "Law and Order"- Positionen ab. Deutlicher noch als die PDS- Wähler lehnten die Wähler der Grünen konventionalistische Werte wie Pflicht/Akzeptanz, Leistung und Materialismus ab und befürworteten individualistische Werte wie Selbstverwirklichung und Kritikfähigkeit sowie Prosozialität. Die Wähler der Grünen waren ebenfalls weniger autoritär disponiert, weniger ausländerfeindlich und weniger traditionell in ihren Ansichten zur Rolle der Frau in Familie und Beruf. IN Bezug auf die Bereiche kognitive politische Mobilisierung und Partizipation erwiesen sich die Wähler der Grünen als etwas weniger aktiv als die Wähler der PDS, aber auch die Wähler von Bündnis 90/Die Grünen interessierten sich stärker sowohl allgemein für Politik wie auch für die Themen der Neuen Politik. Auch die Wähler der Grünen hatten das Gefühl, politische etwas bewirken zu können, und wie die PDS- Wähler arbeiteten sie häufiger in einer politischen Gruppe mit und waren zur Beteiligung an allen Formen des politischen Protests bereit, mit Ausnahme von Gewalt. Im Gegensatz zu den PDS- Wählern gehörten die Wähler von Bündnis 90/Die Grünen häufiger einer Religionsgemeinschaft an und engagierten sich überproportional häufig in kirchlichen Gruppen. Die Wähler der Grünen hatten außerdem ein anderes Verhältnis zur Wende, zur Demokratie und zum Sozialismus: Zwar befürworteten die Wähler der Grünen ebenfalls die Idee des Sozialismus, im Gegensatz zu den PDS- Wählern lehnten sie den Sozialismus der früheren DDR jedoch ab und stellten sich als überzeugtere Anhänger der Idee der Demokratie dar. Konsistent mit diesem Einstehen für die Demokratie und der Ablehnung des früheren Sozialismus in der DDR beurteilten die Wähler der Grünen die Wende sehr viel positiver als die Wähler der PDS. […]

f) Wähler von rechtsradikalen Parteien
Die Wahl von rechtsradikalen Parteien (DVU, NPD, Republikaner) wurde durch die hier untersuchten Strukturmerkmale und politischen Orientierung weit besser vorhergesagt als die Wahl der anderen Parteien. Die typischen Wähler rechtsradikaler Parteien waren männlich, hatten eine geringere Bildung und stammten aus einem Elternhaus mit geringerer Bildung. Sie waren unzufriedener mit der Demokratie in Deutschland, unzufriedener noch als die PDS-Wähler. Sie identifizierten sich weder besonders stark mit den Normen und Werten der Demokratie noch mit denen des Sozialismus, beurteilten die Wende negativ und fühlten sich als Ostdeutsche gegenüber den Westdeutschen sozial benachteiligt. Die rechtsradikalen Wähler stuften sich politisch relativ weit rechts ein und befürworteten einen repressiven Staat (Law and Order). In Bezug auf die Werthaltungen waren die rechtsradikalen Wähler auffällig materialistische orientiert. Sie […]waren ausländerfeindlich und gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Familie und Beruf eingestellt. Die Wähler von rechtsradikalen Parteien zeigten eine geringe kognitive politische Mobilisierung, sie wissen ein Interesse für Neue Politik von sich, redeten seltener mit ihren Eltern, jedoch häufiger mit ihren Freunden über Politik. Sie hatten stärker das Gefühl, keinen Einfluss auf die Politik nehmen zu können und zeigten wenig Vertrauen in die politischen Institutionen. Darüber hinaus wiesen sie eine geringere Bereitschaft auf, sich an konventionellen Formen des politischen Protests zu beteiligen, zeigten jedoch eine erhöhte Bereitschaft zur Beteiligung an illegalen Formen des zivilen Ungehorsams und der politischen Gewalt. In Jugendzentren oder Jugendklubs und in gemeinnützigen Vereinen wie dem Roten Kreuz oder der Freiwilligen Feuerwehr waren die Wähler rechtsradikaler Parteien überdurchschnittlich stark engagiert.[…]

Aus: Hans- Peter Kuhn: Erstwähler- Wählerprofile der Parteien: multivariate Analysen. S.113-123. In: Kuhn, Hans Peter, Karin Weiss, Hans Oswald (Hg.): Jugendliche Wähler in den neuen Bundesländern. Eine Längsschnittstudie zum Verhalten von Erstwählern bei der Bundestagswahl 1998. Opladen 2001.

 

Arbeitsaufträge:

  1. Teilt euch in sechs Gruppen auf und erarbeitet jeweils eine Wählercharakterisierung; vergleicht anschließend in einer gemeinsamen Diskussion, durch welche Merkmale sich die Wähler unterscheiden bzw. welche Gemeinsamkeiten bestimmte Wählerklientele haben.
  2. Überlegt, inwieweit auf euch die jeweilige Beschreibung zutrifft. Wenn du z.B. SPD- oder CDU- Wähler(in) bist, erkennst du dich anhand der Merkmale wieder oder würdest du andere Merkmale hinzufügen bzw. vorhandene streichen?
-> drucken