a) SPD- Wähler
Die SPD Wähler zeigten sich als einer relativ heterogene Gruppe von Jugendlichen.
Sie kamen aus Elternhäusern mit eher niedriger Bildung und gehörten zum größten
Teil keiner Religionsgemeinschaft an. Ihre Einstellungen zu Demokratie und Sozialismus
waren nicht auffällig positiv oder negativ im Vergleich zu den anderen Jugendlichen.
Sie befürworteten etwas seltener bürgerliche Freiheitsrechte wie Meinungsfreiheit
und Demonstrationsrecht und forderten etwas häufiger einen Staat, der unter
bestimmten Bedingungen auch repressiv gegen seine Bürger vorgeht (Law and Order).
In ihren Werthaltungen unterschieden sich die SPD-Wähler lediglich durch eine
stärkere Orientierung auf materialistische Werte (hohes Einkommen, Sicherheit)
von den anderen Jugendlichen. Die SPD-Wähler zeigten eine geringe kognitive
politische Mobilisierung: Sie waren weniger an Politik interessiert, redeten
seltener mit Freunden über Politik, nutzten seltener die Massenmedien zur politischen
Information und hatten weniger das Gefühl, politisch etwas bewirken zu können.
Die SPD- Wähler waren in geringerem Maße politische und sozial engagiert, arbeiteten
seltener in Organisationen mit und waren weniger bereit, sich an konventionellen
Formen des politischen Protests, aber auch an illegalen Formen des zivilen Ungehorsams
und an Gewalt zu beteiligen. […] In Bezug auf die Wende und das Gefühl der sozialen
Benachteiligung als Ostdeutsche gab es keine Besonderheiten in den Einstellungen
der SPD- Wählerschaft.[…]
b) CDU-Wähler
Im Gegensatz zur SPD- Wählerschaft zeigen die CDU- Wähler ein wesentlich eindeutigeres
Profil. Die CDU- Wähler waren überwiegend männlich, höher gebildet und häufiger
Mitglied in einer Religionsgemeinschaft. Die CDU- Wähler waren überzeugtere
Anhänger der Idee der Demokratie und waren auch nach der verlorenen Bundestagswahl
noch überdurchschnittlich zufrieden mit der Demokratie in der Bundesrepublik
Deutschland. Darüber hinaus erwiesen sie sich als Gegner des Sozialismus, sie
standen sowohl der Idee als auch dem früheren Sozialismus der DDR negativ gegenüber.
Die CDU- Wähler beurteilten zudem die Wende positiver und verwahrten sich gegen
eine Gefühl der Benachteiligung als Ostdeutsche. Die CDU- Wähler entsprachen
dem Bild des traditionell- konservativ eingestellten Staatsbürgers, sie stuften
sich auf der politischen Links- Rechts- Skala eher rechts ein und vertraten
stärker "Law and Order"-Positionen. Sie setzten stärker auf Werte wie Pflichtbewusstsein
und Anpassung sowie auf Sicherheit und materiellen Wohlstand. Im Vergleich zu
den anderen Jugendlichen waren sie eher autoritär disponiert und hatten traditionellere
Vorstellungen von der Rolle der Frau in Familie und Beruf. In Bezug auf die
Bereiche kognitive politische Mobilisierung und Partizipation fielen die CDU-
Wähler durch ein stärkeres Engagement in kirchlichen Gruppen auf, Sie wiesen
unkonventionelle politische Protestformen, ob legal oder illegal, von sich und
waren zudem desinteressierter an Neuer Politik. Die CDU- Wähler bildeten jedoch
die einzige Wählergruppe, die sich durch eine signifikant geringere Politikverdrossenheit,
das heißt durch ein stärkeres Vertrauen in die Politiker und politischen Institutionen
der BRD auszeichnete.[…]
c) FDP-Wähler
Die FDP-Wähler bildeten mit einem Anteil von etwa 4 Prozent eine recht kleine
Gruppe unter den befragten Erstwählern. Die FDP- Wähler waren häufiger männlich
und höher gebildet. Sie waren wie die CDU- Wähler zufriedener mit der Demokratie
in der Bundesrepublik und lehnten den Sozialismus der früheren DDR ab. Die Wende
wurden von den FDP- Wählern ebenfalls positiv beurteilt. Die FDP- Wähler befürworteten
den Wert der Kritikfähigkeit […]. FDP- Wähler glaubten außerdem eher, politisch
etwas bewirken zu können. Insgesamt entstand der Eindruck einer gebildeten und
selbstbewussten FDP- Wählerschaft, welche sich in der Demokratie der BRD wohlfühlt
und den Sozialismus früherer DDR-Prägung ablehnt. […]
d) PDS-Wähler
Ähnlich wie die CDU- Wähler hatten auch die PDS-Wähler ein relativ klares und
eindeutiges Profil. Nach den Ergebnissen der Analyse waren die typischen PDS-Wähler
höher gebildet und stammten aus höher gebildeten Elternhäusern. Außerdem gehörten
sie seltener einer Religionsgemeinschaft an. Sie waren eher unzufrieden mit
der Demokratie in der BRD und befürworteten stärker sowohl die Idee des Sozialismus
als auch den Sozialismus der früheren DDR. Konsistent dazu beurteilten sie die
Wende eher negativ. Die PDS-Wähler stuften sich politisch eher links ein, befürworteten
stärker bürgerliche Freiheitsrechte wie Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht
und lehnten staatliche Repressionsmaßnahmen eher ab. Sie lehnten außerdem Pflicht-
und Akzeptanzwerte sowie materialistische Werte eher ab und befürworteten Werte
wie Kritikfähigkeit und - als einzige Wählergruppe neben den Wählern von Bündnis90/Die
Grünen - Prosozialität. Sie waren weniger autoritär disponiert, weniger ausländerfeindlich
und stärker für die Gleichstellung von Mann und Frau in Familie und Beruf. Die
PDS- Wähler bildeten außerdem die Gruppe mit der höchsten kognitiven politischen
Mobilisierung sowie der höchsten Partizipation und Protestbereitschaft. Keine
andere Wählergruppe profilierte sich insgesamt so stark wie die PDS- Wähler
im Hinblick auf das allgemeine Interesse für Politik sowie das Interesse an
Neuer Politik, im Hinblick auf die Kommunikation mit Eltern und Freunden über
Politik, die Mediennutzung zur politischen Information, das Gefühl, selbst politisch
etwas bewirken zu können, das tatsächliche Engagement im politischen und sozialen
Bereich und die Bereitschaft zu jeglicher Form von politischem Protest mit Ausnahme
von politischer Gewalt. […]
e) Wähler von Bündnis90/Die Grünen
Das Profil der Bündnis 90/Die Grünen - Wähler zeigt eine gewisse Ähnlichkeit
mit dem Profil der PDS- Wähler. Die typischen Wähler der Grünen waren ebenfalls
höher gebildet und kamen aus einem gebildeteren Elternhaus. Sie stuften sich
ebenfalls politisch links ein, befürworteten stärker bürgerliche Freiheitsrechte
und lehnten "Law and Order"- Positionen ab. Deutlicher noch als die PDS- Wähler
lehnten die Wähler der Grünen konventionalistische Werte wie Pflicht/Akzeptanz,
Leistung und Materialismus ab und befürworteten individualistische Werte wie
Selbstverwirklichung und Kritikfähigkeit sowie Prosozialität. Die Wähler der
Grünen waren ebenfalls weniger autoritär disponiert, weniger ausländerfeindlich
und weniger traditionell in ihren Ansichten zur Rolle der Frau in Familie und
Beruf. IN Bezug auf die Bereiche kognitive politische Mobilisierung und Partizipation
erwiesen sich die Wähler der Grünen als etwas weniger aktiv als die Wähler der
PDS, aber auch die Wähler von Bündnis 90/Die Grünen interessierten sich stärker
sowohl allgemein für Politik wie auch für die Themen der Neuen Politik. Auch
die Wähler der Grünen hatten das Gefühl, politische etwas bewirken zu können,
und wie die PDS- Wähler arbeiteten sie häufiger in einer politischen Gruppe
mit und waren zur Beteiligung an allen Formen des politischen Protests bereit,
mit Ausnahme von Gewalt. Im Gegensatz zu den PDS- Wählern gehörten die Wähler
von Bündnis 90/Die Grünen häufiger einer Religionsgemeinschaft an und engagierten
sich überproportional häufig in kirchlichen Gruppen. Die Wähler der Grünen hatten
außerdem ein anderes Verhältnis zur Wende, zur Demokratie und zum Sozialismus:
Zwar befürworteten die Wähler der Grünen ebenfalls die Idee des Sozialismus,
im Gegensatz zu den PDS- Wählern lehnten sie den Sozialismus der früheren DDR
jedoch ab und stellten sich als überzeugtere Anhänger der Idee der Demokratie
dar. Konsistent mit diesem Einstehen für die Demokratie und der Ablehnung des
früheren Sozialismus in der DDR beurteilten die Wähler der Grünen die Wende
sehr viel positiver als die Wähler der PDS. […]
f) Wähler von rechtsradikalen Parteien
Die Wahl von rechtsradikalen Parteien (DVU, NPD, Republikaner) wurde durch die
hier untersuchten Strukturmerkmale und politischen Orientierung weit besser
vorhergesagt als die Wahl der anderen Parteien. Die typischen Wähler rechtsradikaler
Parteien waren männlich, hatten eine geringere Bildung und stammten aus einem
Elternhaus mit geringerer Bildung. Sie waren unzufriedener mit der Demokratie
in Deutschland, unzufriedener noch als die PDS-Wähler. Sie identifizierten sich
weder besonders stark mit den Normen und Werten der Demokratie noch mit denen
des Sozialismus, beurteilten die Wende negativ und fühlten sich als Ostdeutsche
gegenüber den Westdeutschen sozial benachteiligt. Die rechtsradikalen Wähler
stuften sich politisch relativ weit rechts ein und befürworteten einen repressiven
Staat (Law and Order). In Bezug auf die Werthaltungen waren die rechtsradikalen
Wähler auffällig materialistische orientiert. Sie […]waren ausländerfeindlich
und gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Familie und Beruf eingestellt.
Die Wähler von rechtsradikalen Parteien zeigten eine geringe kognitive politische
Mobilisierung, sie wissen ein Interesse für Neue Politik von sich, redeten seltener
mit ihren Eltern, jedoch häufiger mit ihren Freunden über Politik. Sie hatten
stärker das Gefühl, keinen Einfluss auf die Politik nehmen zu können und zeigten
wenig Vertrauen in die politischen Institutionen. Darüber hinaus wiesen sie
eine geringere Bereitschaft auf, sich an konventionellen Formen des politischen
Protests zu beteiligen, zeigten jedoch eine erhöhte Bereitschaft zur Beteiligung
an illegalen Formen des zivilen Ungehorsams und der politischen Gewalt. In Jugendzentren
oder Jugendklubs und in gemeinnützigen Vereinen wie dem Roten Kreuz oder der
Freiwilligen Feuerwehr waren die Wähler rechtsradikaler Parteien überdurchschnittlich
stark engagiert.[…]
Aus: Hans- Peter Kuhn: Erstwähler- Wählerprofile der Parteien: multivariate Analysen. S.113-123. In: Kuhn, Hans Peter, Karin Weiss, Hans Oswald (Hg.): Jugendliche Wähler in den neuen Bundesländern. Eine Längsschnittstudie zum Verhalten von Erstwählern bei der Bundestagswahl 1998. Opladen 2001.
Arbeitsaufträge:
- Teilt euch in sechs Gruppen auf und erarbeitet jeweils eine Wählercharakterisierung; vergleicht anschließend in einer gemeinsamen Diskussion, durch welche Merkmale sich die Wähler unterscheiden bzw. welche Gemeinsamkeiten bestimmte Wählerklientele haben.
- Überlegt, inwieweit auf euch die jeweilige Beschreibung zutrifft. Wenn du z.B. SPD- oder CDU- Wähler(in) bist, erkennst du dich anhand der Merkmale wieder oder würdest du andere Merkmale hinzufügen bzw. vorhandene streichen?