M 09.28 Problematik der Abwanderung: Der Osten als "Altenteil" der Republik?
 


[…] Die Altersgruppe der unter 15-Jährigen ist zwischen Ostsee und Erzgebirge innerhalb eines Jahrzehnts um fast ein Drittel auf knapp eine Million Kinder geschrumpft. Die Folgen für das Sozialgefüge der betroffenen Regionen sind verheerend. Die soziale Infrastruktur, also Kindertagesstätten, Schulen und ähnliche öffentliche Einrichtungen werden "zurückgebaut" - was letztlich die Attraktivität dieser Gegenden für Familien weiter schmälert, und so kommt ein Teufelskreis in Gang.
Der Osten Deutschlands wird dabei gleich von zwei Seiten in die Zange genommen. Zum einen erblicken dort nur noch rund halb so viele Babys das Licht der Welt wie in DDR-Tagen. Zum anderen zieht der Wanderungstreck - wie schon immer - vornehmlich in Richtung Westen. Dieser profitiert damit gleich zweifach: Von der Zuwanderung von "drüben" und von "draußen", also von Ausländern, die nach Köln, München, Hamburg und Co. ziehen. […]
Über 2 Millionen Ostdeutsche wanderten zwischen 1990 und 1999 gen Westen. Die 1,24 Millionen Wessis, die den Weg nach Ostdeutschland fanden, waren da nur ein Tropfen auf den heißen Stein, Summa summarum mussten die neuen Ländern seit der Einheit einen Aderlass von gut 821.000 Personen verkraften. Die Suche nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen ist wohl der Hauptgrund für die Abwanderung in die alten Bundesländer. Was die Sache für den Westen attraktiv und für den Osten besonders schlimm macht: Es kommen die Jungen - und die Alten bleiben: Rund 60 Prozent der ostdeutschen Abwanderer sind jünger als 30 Jahre. Den umgekehrten Weg schlagen dagegen ältere Semester ein. So sind 15 Prozent der West- Ost- Wandere älter als 50 Jahre (Ost-West: 9Prozent). Zweiter Knackpunkt: Vor allem junge ostdeutsche Frauen "machen rüber" - mehr als 60.000 allein im Jahr 1999. Insgesamt "verlor" der Osten im Zeitraum 1991 bis 1999 per saldo rund 326.500 Frauen. Von den neuen Bundesländern haben Sachsen- Anhalt und Mecklenburg- Vorpommern den stärksten Bevölkerungsrückgang zu verkraften. Zwischen 1990 und 1999 ging die Bevölkerung in Sachsen- Anhalt um 7,8Prozent oder 225.000 Personen und in Mecklenburg- Vorpommern um 7 Prozent oder 135.000 Personen zurück. Bei den Frauen beträgt das Minus quer durch die Bank 8 bis 9 Prozent.
Nur Brandenburg erzielte unter den neuen Ländern seit 1995 einen Bevölkerungsgewinn. Dieser erklärt sich vor allem aus dem Zuzug von jährlich knapp 30.000 Berlinern. Neue Meldungen allerdings besagen, dass sich dieser Trend umkehrt: Der Zuzug scheint im vergangenen Jahr nicht mehr ausgereicht zu haben, den Wegzug aus den ländlichen Gebieten zu kompensieren.
Bevorzugte Zielländer der neuen Bundesbürger sind vor allem West- Berlin (1998: plus 20 Prozent), Bayern (17 Prozent) sowie Niedersachsen und Nordrhein- Westfalen (je 14 Prozent).
Wegen Abwanderung geschlossen - so weit wird es in Ostdeutschland zwar nicht kommen. Gleichwohl wird die Landflucht in den kommenden Jahrzehnten zu einem noch größeren Problem als heute werden.
Denn der Bevölkerungsschwund wird - sofern aus dem Ausland keine Menschen zuwandern - dramatisch. Im Jahr 2050 werden dem Statistischen Bundesamt zufolge in ganz Deutschland weniger als 60 Millionen Menschen leben - in Ostdeutschland sogar nur noch 10 Millionen. Davon werden etwa 30 Prozent im "besten" Aktivenalter (15 bis 45 Jahre) mehr als ein Drittel werden sich im Rentenalter befinden (65 Jahre und älter).
Es könnte für den Osten sogar noch dicker kommen. Denn diese Vorausberechnung basiert auf der Annahme, dass ab dem Jahr 2016 der Wanderungssaldo zwischen neuen und alten Bundesländern ausgeglichen ist - ansonsten werden in fünf Jahrzehnten weniger als 10 Millionen Menschen zwischen Rügen und Zittau wohnen.

Aus: iwd - Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft: Die Jungen ziehen westwärts. Jahrgang 28/Nr.14. S.6+7.

 

Arbeitsaufträge:

  1. Wodurch kommt ein Teufelskreis für die ostdeutschen Regionen in Gang?
  2. Wie viele Westdeutsche ziehen nach Osten im Vergleich zu den nach Westen ziehenden Ostdeutschen?
  3. Welche Folgen hat es, dass so wenige Kinder in Ostdeutschland geboren werden?
  4. "Wegen Abwanderung geschlossen" - kann das passieren? Warum?
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