"Es dauert doch nur zwei Minuten" Gymnasiasten auf den Spuren der renommierten Umfrageinstitute. Im gesamten Wahlkreis Hamm-Unna II wurde angerufen, um eine möglichst genaue Wahlprognose zu erstellen. Das bedeutete Telefonstress: Mehr als 2.000 Anrufe tätigten die Schüler des Beisenkamp-Gymnasiums in der vergangenen Woche in der WA-Lokalredaktion.
"Guten Tag, mein Name ist . . ." Hundertfach das gleiche Sprüchlein. Mal knallte der Hörer am anderen Ende sofort auf die Gabel, mal ließ man sich gern auf die zehn Fragen ein. "Frauen sind auf jeden Fall netter", meint seit Donnerstag so gut wie jeder der 18 Schüler aus dem Sowi-Kurs 1 des Beisenkamp-Gymnasiums. "Die hören einem jedenfalls viel eher zu." Trotzdem waren es am Ende fast zur Hälfte Männlein wie Weiblein, die sich an der Umfrage, die der WA in dieser Woche gemeinsam mit den Schülern durchgeführt hat, beteiligten: 53,6 Prozent Frauen, 46,4 Prozent Männer, fast identisch mit der Bevölkerungsstruktur des Wahlkreises.
"Und das ist schon ein guter Indikator dafür, dass wir ein nahezu repräsentatives Ergebnis erzielt haben", weiß Kurs-Lehrer Thomas Sigmann. Zusätzlich abgesichert wird seine These durch die Altersstruktur der Angerufenen: Auch die wurde bis auf ein Prozent genau getroffen. Und wer immer noch zweifelt: Schon nach der Hälfte der erfolgreichen Anrufe hatten die Schüler die Ergebnisse bis aufs Zehntel genau ermittelt.
Geboren wurde die Idee zu der Umfrage bereits im Juli. Sigmann war es, der von dem Statistikprogramm der Bundesanstalt für politische Bildung wusste und bei der Uni Münster die Umfrage angemeldetet hatte. 2 000 Telefonnummern kamen postwendend ins Haus. Nicht nur solche aus Hamm, sondern auch Nummern aus Werne, Lünen oder Selm landeten da im Briefkasten - aus dem ganzen Wahlkreis 146 eben. Seitenweise nichts als Nummern ohne Namen.
Schnell war klar, dass die Schüler ihre Aufgaben angesichts der enormen Telefonkosten nicht ohne Sponsoren erledigen konnten. Der Westfälische Anzeiger kam ins Spiel, stellte den Schülern die Telefone zur Verfügung und entschloss sich zur Veröffentlichung der Ergebnisse.
Die Befragung wurden dann ausschließlich von den Zwölftklässlern durchgeführt. Und die entwickelten im Lauf der Woche eine ungeheure Energie. Bis zu zehn Stunden saßen sie in ihrer Freizeit am Telefon und fragten nach Erst- und Zweitstimmen, möglichen Koalitionen oder danach, wer denn wohl ab Montag der Kanzler sein wird. Immer der gleiche Fragebogen, immer die gleiche Reihenfolge. War jemand nicht zu Hause, wurde er am nächsten Tag noch einmal angerufen.
Kritisch wurde es meistens dann, wenn die Gesprächspartner politisch Farbe bekennen mussten. "Da sind ganz viele ausgeschieden", erzählt jeder der 18 Teilnehmer. So erklärt sich auch die relativ geringe Zahl an Teilnehmern. Trotz 2.000 Angerufenen konnten nur 456 Fragebögen verwertet werden.
Höchst interessante Ergebnisse lassen sich dennoch ableiten. Zum Beispiel in der Kanzlerfrage. Erheblich mehr Unionswähler tippen auf Schröder als alte und neue Nummer eins als dies im SPD-Lager der Fall ist. Oder der ungeheure Bonus der FDP bei Schülern, Auszubildenden und Studenten. Hier geht die 18-Prozent-Rechnung mehr als auf (23,23 Prozent). Erstaunlich ist jedenfalls auch, wie wenig die Angerufenen über ihre Direktkandidaten wissen. "Viele kannten noch nicht einmal Wiefelspütz oder Meyer", erzählen die Schüler, die im Lauf der Woche zu echten Wahlexperten geworden sind. Natürlich werden sie den Wahlabend intensivst verfolgen - auch wenn nur ein Teil von ihnen jetzt schon wählen darf.
Westfälischer Anzeiger vom 21.09.2002
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