Wahlkampf in der Schule
das Podium Podiumsdiskussion im Wilhelm-Hittorf-Gymnasium (v.l.n.r.: Winni Nachtwei, Ruprecht Polenz, Schüler David Herr, Lehrer Bernhard Waltermann, Phillip Götting und Christoph Strässer)

Wahlkampf in der Schule

Podiumsdiskussion im Wilhelm-Hittorf-Gymnasium

Noch eine Ewigkeit bis zum 22. September? Von wegen, der Wahlkampf zur Bundestagswahl 2002 ist in vollem Gange. Die Möglichkeit, ihre Argumente und Programme zu den Themen Arbeitsmarktpolitik, Bildungs-, Jugend- und Drogenpolitik sowie zur Frage der Wehrpflicht einer interessierten Schülerschaft vorzustellen, hatten Kandidaten der verschiedenen Parteien im Wilhelm-Hittorf-Gymnasium. Zu einer Podiumsdiskussion waren geladen: Ruprecht Polenz von der CDU, Christoph Strässer als Vertreter der SPD, Winni Nachtwei von Bündnis 90/Die Grünen sowie Philipp Götting von der FDP, der für den Bundestagskandidaten Daniel Bahr einsprang.

Arbeitsmarktpolitik

Nach einer kurzen Vorstellung der Gäste startete die Diskussion mit einem der Hauptwahlkampfthemen, der Arbeitsmarktpolitik. Polenz als Vertreter der CDU prangerte zuerst an, Deutschland habe momentan das geringste Wirtschafts-wachstum in Europa. Als Hauptursache nannte er die Tatsache, dass die Zahl der Rentner die der Neueinsteiger bei weitem übersteige. In der Konsequenz forderte er statt „falscher Steuer- und Finanzpolitik“, die die großen Betriebe entlaste, Steuersenkungen für den Mittelstand mit dem Ziel, dass mittelständische Unternehmen neue Arbeitskräfte einstellten. In diese Richtung ging auch die Forderung nach einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, da das Beschäftigungsfeld sich zunehmend in den Dienstleistungssektor verlagere.

Strässer dagegen sieht die Ursache für die problematische wirtschaftliche Situation nicht zuletzt auch in dem aktuellen Konjunkturtief. Um dem Ziel der Vollbeschäftigung näher zu kommen setzt er auf das Job-Aktiv-Gesetz und auf eine „aktive Arbeitsmarktpolitik“, womit Strässer konkretisiert eine Reform der Arbeitsmarktverwaltung – Zusammenarbeit mit privaten Vermittlungsagenturen – und eine gesetzliche Ausweitung der Teilzeitarbeitsplätze meint.

Die FDP sieht laut Götting die Lösung des Arbeitsmarkt-problems in radikalen Maßnahmen: einfachere Steuerstrukturen und ein umfassendes Steuersenkungsprogramm (u.a. eine Senkung des Spitzensteuersatzes) sollen die Attraktivität des Standorts Deutschland für Unternehmen fördern, denn die deutsche Wirtschaft investiere doppelt soviel ins Ausland wie umgekehrt. Finanzieren will die FDP ihre kostspieligen Steuersenkungspläne mit radikalen Einschnitten bei den Subventionen, z.B. in den Bereichen Steinkohle und Landwirtschaft. Die Grünen halten dagegen, es gebe keine so simple Lösung.

Resultierend aus der Feststellung, dass die Lohnnebenkosten auf 35-41 % gestiegen seien, forderte Nachtwei, Beschäftigungshindernisse abzubauen, um eine vermehrte Neueinstellung von Arbeitskräften zu bewirken. Zwar wollen auch die Grünen Verkrustungen auf dem Arbeits-markt auflösen, doch legen sie Wert auf ein Gleichgewicht zwischen Flexibilisierung und sozialer Sicherheit.

Bildungspolitik

Geradezu konträre Forderungen fanden sich bei den Programmatiken zur Bildungspolitik: Während die CDU zur Lösung der Bildungsmisere auf zentrale Abschlussprüfungen und den daraus resultierenden Druck auf Schulen schwört sowie eine Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf 12 Jahre fordert, hält die SPD nicht viel von zusätzlichen Vergleichen, sondern legt mehr Wert auf eine verstärkte Förderung der Ausbil-dungschancen für Nicht-Abiturienten, u.a. durch die Kreierung neuer Berufsbilder.

Die FDP möchte ähnlich wie die Christdemokraten auch in Hinsicht auf die EU-Konkurrenz die Zeit bis zum Abitur verkürzen, sprach sich aber auf Grund der Fächerspezialisierung in der Sekundarstufe II gegen ein Zentralabitur aus. Stattdessen sollen zentrale Abfragen bis Stufe 10 ein einheitliches, hohes Lernniveau sicherstellen. Die Grünen wünschen sich als Konsequenz aus der Pisa-Studie eine „innere Schulreform“, d.h. eine längere gemeinsame Grundschulzeit, verstärkte Kooperation mit Eltern und einen Ausbau der frühkindlichen Betreuung, verbunden mit der Forderung, dass deutlich differenzierter und individueller auf Schüler eingegangen werden solle. Die Parteivertreter waren übereinstimmend der Meinung, dass am aktuellen BAföG-Modell keine Änderung nötig sei.

Drogenpolitik

Drogenpolitisch fielen die Grünen mit ihrer Initiative zur Legalisierung von Marihuana aus der Reihe – sie begründen den Vorschlag damit, dass eine Kriminalisierung des Besitzes und Konsums leichter Drogen eben diesen erfahrungsgemäß keineswegs vermindere, sondern eher das Gegenteil bewirke.

Wehrpflicht

Bezüglich der Wehrpflichtfrage stand dagegen Polenz als Vertreter der CDU auf einsamem Posten: Als einziger verfocht er das Modell der Wehrpflicht, das durch neue Aufgaben der Bundeswehr legitimiert würde. Dazu erwähnte er, dass er fürchte, dass die Einbindung der All-gemeinheit in die Bundeswehr verloren gehen könnte und Länder wie Großbritannien und Frankreich, die die Wehrpflicht bereits abgeschafft hätten, Probleme hätten, Nachwuchs zu finden. Die FDP argumentiert dagegen vom wirtschaftlichen Standpunkt aus: die durch die Wehr-pflicht „verlorenen“ Monate verringerten doch die Berufschancen und überdies würden sowieso „Profis“ bei der Bundeswehr gebraucht.

Nachtwei wertet stellvertretend für Bündnis 90/Die Grünen die Wehrpflicht in erster Linie als „massiven Eingriff in die Grundrechte junger Männer“, da die Legitimität einer Reservistenarmee aus sicherheitspolitischer Sicht nicht mehr gegeben sei. Die bei einer Abschaffung der Wehrpflicht zur Verfügung stehenden Mittel sollen eine Berufsarmee finanzieren sowie zu einem großen Teil zur Förderung freiwilliger, sozialer Dienste eingesetzt werden, um den Wegfall der Zivildienstleisten-den zu kompensieren. Die Wehrpflichtgegner in der SPD schätzte Strässer auf eine starke Minderheit von 40 %, der er angehöre. Mit Blick auf die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr forderte auch er eine Förderung freiwilliger Projekte, etwa „Schüler Helfen Leben“.

David Herr, Jahrgangsstufe 12

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