Schüler befragen Politikwissenschaftler
Prof. Thränhardt Drei Schüler des Kooperations-Leistungskurses Wirtschaftswissenschaften von Hittorf- und Annette-Gymnasium befragten den Politwissenschaftler und Professor an der Universität Münster, Dr. Dietrich Thränhardt.

Schüler befragen Politikwissenschaftler - das Interview

Der ehemalige SPD-Aktivist ist 61 Jahre alt und Vater von drei Kindern. Besonders interessant war und ist seine Meinung aufgrund seiner relativ großen Unvoreingenommenheit und Sicht von außen bei gleichzeitig enormem Sachverständnis. Die Fragen von Linda Neubauer, Benjamin Bodo und Tobias Möllenbrink bezogen sich auf aktuelle politische Themen kommunaler und bundesweiter Relevanz wie beispielsweise Konjunkturschwierigkeiten, Drogenpolitik und die deutsche Einheit. Dazu kamen grundsätzliche Fragen nach der Wirksamkeit des politischen Systems.

Möllenbrink: Wie bewerten Sie das Wahlkampfverhalten der großen Parteien CDU/CSU und SPD sowie der FDP?

Thränhardt: Die Parteien überlappen sich inzwischen, haben teilweise gleiche Inhalte, so dass die Fronten für den Wähler sehr unübersichtlich sind. Schröder und Stoiber halten sich dabei weit in der Mitte auf. In öffentlichen Debatten handeln die Politiker nicht parlamentarisch, obwohl diese im Vergleich zur USA positiv zu bewerten sind. Die FDP verhält sich äußerst populistisch, das ist nicht gut so. Doch auch meine Partei (SPD, d.V.) hat ihren Wahlsieg 1998 weitgehend auf „Fernsehgerechtigkeit“ gegründet, und Inhalte wurden dabei nicht viel vermittelt.

Möllenbrink: Kann das politische System in seiner gegenwärtigen Ausprägung die Steuerung der Wirtschaft und Gesellschaft adäquat leisten?

Thränhardt: Allgemein ja. Durch den enormen Interessenskonflikt in Deutschland lässt sich eine ideale Steuerung natürlich nicht leisten. Das System ist insgesamt annehmbar, nicht zuletzt, weil kein besseres bekannt ist. Die Parteiendemokratie funktioniert wesentlich besser als das System der USA, wo die Politik sehr viel abhängiger von der Wirtschaft ist. Eine sinnvolle Chance zur Erweiterung und Verbesserung sehe ich jedoch in der europäischen Union.

Möllenbrink: Sehen Sie effektive, realisierbare Möglichkeiten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bzw. Ankurbelung der Konjunktur, die finanzpolitisch (Staatsverschuldung) vertretbar sind?

Thränhardt: Ich bin mit dem Konzept der Bundesanstalt für Arbeit sehr einverstanden. Dies sieht eine Senkung der Steuern und Sozialgebühren, also der Lohnnebenkosten, vor. Selbstständige und Beamte müssten stärker an den gesamtwirtschaftlichen Leistungen beteiligt werden, z.B. eine eigene Arbeitslosenversicherung aufstellen. Das Steuerkonzept sieht auch einen höheren Mindeststeuersatz vor.

Bodo: Besteht dann nicht die Gefahr, dass die höher besteuerten Unternehmen ins Ausland abwandern?

Thränhardt: Die Gefahr besteht zunächst schon, kann aber weitgehend reguliert werden. Zum Einen kann man nicht alles im Ausland machen, eigentlich nur „Billiglohnarbeiten“. Für Fachkräfte und die Bedienung komplizierter Maschinen muss man in Industrieländern bleiben. Außerdem fehlt in Entwicklungsländern die Infrastruktur und die politische wie innere Sicherheit. Ich denke auch, dass die Erpressung der Regierungen durch internationale Konzerne durch eine Koordination eingedämmt werden könnte.

Neubauer: Haben Sie (angesichts der Pisa-Studie) Vorschläge für eine Verbesserung des Bildungssystems?

Thränhardt: Weil der Bildungsetat relativ klein ist, werden zur Zeit viel zu wenig Stunden unterrichtet. In NRW kommen außerdem noch andere Faktoren erschwerend hinzu, z.B. dass man nach zehn Jahren Schulbesuch seine Schulpflicht erfüllt hat. Bayern ist allerdings auch nicht besser, obwohl das viele behaupten. Mein Vorschlag lautet also: zusätzlich mehr Lehrer einzustellen und den Kindergartenbereich qualitativ auszubauen. Man sollte die Schulzeit auf zwölf Jahre verkürzen, da die elfte Klasse nur zur Anpassung der Minderheit der Real- und Hauptschüler dient und somit für viele verschenkt ist, dafür aber das Abiturschuljahr bis zum Ende laufen lassen (und nicht nur bis Mai). Lehrerfortbildungen sollten ruhig in den Ferien stattfinden, denn es ist nicht einzusehen, dass eine Berufsgruppe 13 Wochen Ferien im Jahr hat.

Neubauer: Was halten Sie von der Idee der Profilklasse, die, mit den besseren Schülern bestückt, das Abitur in einem Jahr weniger schaffen könnte?

Thränhardt: Das würde die Transparenz des Schulsystems gefährden, wäre aber mit meinem System sowieso hinfällig. Als „die abschließende Lösung“ ist dies jedoch auch nicht zu betrachten, denn die habe ich nicht.

Neubauer: Was halten Sie von den Studiengebühren, die in NRW eingeführt werden sollen?

Thränhardt: Die 50 Euro für jedes Semester sind nicht gut, ab einer gewissen Studiendauer halte ich jedoch eine Studiengebühr für angemessen. Falsch ist, dass Kindergärten kostenpflichtig sind, Hochschulen jedoch nicht, obwohl letztere dem wohlhabenderen Teil der Bevölkerung vorbehalten sind.

Neubauer: Inwieweit lässt sich Ihrer Meinung nach das Problem des Rechtsradikalismus durch eine entsprechende Jugendpolitik bekämpfen?

Thränhardt: Das liegt teilweise sogar wieder am Schulunterricht, der dieses Thema nur mangelhaft behandelt. Eine gewisse Strenge in der Erziehung wäre notwendig, die die grundlegenden zivilisatorischen Regelungen durchsetzen könnte. Die Politik müsste in dieser Hinsicht transparenter und glaubwürdiger sein.

Neubauer: Ist die deutsche Einheit Ihrer Meinung nach psychisch und mental vollzogen?

Thränhardt: Da gibt es immer noch Diskrepanzen. Obwohl die Einheit damals gut gelaufen ist, hätte die ostdeutsche Wirtschaft geschützt werden müssen. Nun wandert die Bevölkerung aus Ostdeutschland ab, und die Industrie ist dort in einer schlechten Lage.

Bodo: Sehen Sie in der Legalisierung von weichen Drogen eine sinnvolle Lösung des Drogenproblems?

Thränhardt: Man sollte in dieser Richtung natürlich nicht nur restriktiv handeln, und man muss harte und weiche Drogen ganz stark unterscheiden. Ansonsten bin ich mir allerdings sehr unsicher. Eine „laisser-faire-Haltung“ gegenüber Drogen wäre fatal, ebenso ein Verbot von allen weichen Drogen, also auch Tabak und Alkohol, wie das Beispiel der USA in den zwanziger Jahren zeigt.

Bodo: Wie stehen Sie zur Kameraüberwachung auf öffentliche Plätzen?

Thränhardt: Wenn damit ein Sicherheitsgewinn verbunden ist, kann man es akzeptieren, wie z.B. am Bahnhof. Ideologisch sehe ich dies nicht völlig positiv oder negativ.

Bodo: Wie stehen Sie zum Verkauf der Stadtwerke Münster?

Thränhardt: Den Verkauf halte ich für keine gute Idee. Das wäre ein Schwächung der Substanz der kommunalen Wirtschaft und Politik. Beim Wasser kann sich Münster selbst versorgen, es besteht also gar keine Notwendigkeit des Verkaufs. Bei Strom und Wasser steht Münster recht gut da, mit viel Kundschaft, und der ÖPNV wird sowieso subventioniert und würde auch nicht mit verkauft. Die Folge eines Verkaufs wären auch steigende Preise und eine schlechtere Versorgung. Der Individualverkehr in der Stadt wäre auch gefährdet. Ich denke, wir leben im Moment ganz gut mit unseren Stadtwerken.

Benjamin Bodo, Tobias Möllenbrink, Linda Neubauer

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