M 01.03 Die Zeitung im öffentlichen Leben
 


Im öffentlichen Leben der freien Welt ist die Zeitung also ein Mittel sachlicher Unterrichtung und unabhängiger Meinungsbildung. Sie ist ein Organ der Demokratie, deren Aufstieg sie immer mitbestimmt und deren Niedergang sie immer mitverschuldet.

Totalitäre Systeme haben die Zeitung in ihrem Wesen umgekehrt. Sie haben aus ihr unter dem Vorwande volksgemeinschaftlicher Verpflichtung ein "Führungsmittel" diktatorischer Staatsgewalt gemacht. (a) Oder sie brauchen die Presse monopolistisch als "operatives Mittel", als "Organisator und Agitator" einer Einheitspartei. (b) Diese gewaltsame Wende kann hier nicht dargestellt werden, sie wird nur im Vergleich herangezogen. Daß die totalitäre Presse als skrupellose Angriffswaffe unkontrollierter Gewalten gefährlich werden kann, sei nicht unterschätzt. Die beste Abwehr ist immer eine freie Presse von wirklicher innerer Unabhängigkeit, aber auch von wahrhaftigem, überzeugendem Wert, ein Zeitungswesen, das sich seines öffentlichen Auftrages bewußt bleibt und nicht der Versuchung vieler Mittel der Massenführung in der freien Welt verfällt, im Wettbewerb der Auflagen- und Anzeigeneinnahmen über dem Geschäft seine eigentliche Aufgabe zu vergessen.

(a) Vgl. hierzu die Hinweise Bd. II, S. 249 und: Oron J. Hale: Presse in der Zwangsjacke 1933-45. Düsseldorf 1965; Karl-Dietrich Abel: Presselenkung im NS-Staat. Eine Studie zur Geschichte der Publizistik in der nationalsozialistischen Zeit. Berlin 1968. Fritz Sänger: Politik der Täuschungen. Mißbrauch der Presse im Dritten Reich. Weisungen, Informationen, Notizen. 1933-45. Wien 1975.

(b) Das sowjetische Pressesystem ist dargestellt bei: Anton Buzek: Die kommunistische Presse. Frauenfeld 1965; E. M. Herrmann: Zur Theorie und Praxis der Presse in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Dokumente und Berichte. Berlin 1963; Jürgen Hüther: "Ideologische Beeinflussung durch die Massenmedien in der DDR". In: Rundfunk und Fernsehen 17 (1969), S. 360-374; Hansjürgen Koschwitz: Pressepolitik und Parteijournalismus in der UdSSR und der Volksrepublik China. Düsseldorf 1971.

aus: Emil Dovifat: Zeitungslehre I: Theoretische und rechtliche Grundlagen. Nachricht und Meinung. Sprache und Form. 6., neubearbeitete Auflage / von Jürgen Wilke, Berlin, New York (de Gryter) (=Sammlung Göschen 2091) 1976, S. 15.
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