M 01.05 Ein schwarzes Jahr für die Pressefreiheit
 


Reporter ohne Grenzen begeht in diesem Jahr zum 10. Mal den Internationalen Tag der Pressefreiheit. Der Jahresbericht für den Zeitraum 1999, den die internationale Organisation zur Verteidigung der Pressefreiheit an diesem Tag vorlegt, weist eine traurige Bilanz aus.

Im vergangenen Jahr starben 36 Journalisten in Ausübung ihres Berufes. Weil sie das Menschenrecht auf Informations- und Meinungsfreiheit wahrnahmen, wegen ihrer Recherchen und Veröffentlichungen wurden damit beinahe doppelt so viele Menschen getötet wie im Jahr zuvor. Unter den Opfern waren auch zwei Deutsche: Die Stern-Reporter Volker Krämer und Gabriel Grüner wurden am 13. Juni im Kosovo erschossen.


Journalisten als "militärische Ziele"

Der Krieg im Kosovo war nur einer von vielen bewaffneten Konflikten, die im vergangenen Jahr erstmals oder erneut aufflammten. Die Zunahme gewaltsamer Auseinandersetzungen schlägt sich unmittelbar in der Bilanz von Reporter ohne Grenzen zum "Internationalen Tag der Pressefreiheit" nieder; Kriege und Bürgerkriege sind der Hauptgrund für die gestiegene Zahl der Todesopfer - die in den Jahren von 1995 bis 1998 rückläufig war.

In Sierra Leone machten Rebellen gezielt Jagd auf missliebige Journalisten und exekutierten allein im Januar 1999 acht "feindliche" Pressevertreter. Oft wurden auch die Familien überfallen, gefoltert, ermordet.

In Ost-Timor wurden zwei Korrespondenten, wahrscheinlich von indonesischen Soldaten, gezielt ermordet.

Auch in Jugoslawien, Tschetschenien oder Kolumbien wurden sowohl einheimische Journalisten wie auch Auslandskorrespondenten zum Ziel von Attentaten oder Entführungen. Zensur durch Haftstrafen und Geldbußen.

In vielen Ländern erlauben bestehende oder neu geschaffene Pressegesetze zum Teil drakonische Geldbußen oder sogar Gefängnisstrafen für Tatbestände wie "Verbreitung von Falschmeldungen", "Beleidigung" oder "Diffamierung". Reporter ohne Grenzen fordert von den verantwortlichen Regierungen immer wieder die Abschaffung von Haftstrafen für diese sogenannten Pressevergehen. Sie widersprechen internationalen Konventionen und sind weltweit eine der größten Bedrohungen für die Pressefreiheit.

Zu Beginn dieses Jahres befanden sich 85 Journalistinnen und Journalisten in Haft. Die Zahl der kurzzeitig inhaftierten oder fest genommenen geht jedoch in die Hunderte. Reporter ohne Grenzen verzeichnete 446 Fälle, zudem insgesamt 653 Fälle von Drohungen oder Anschlägen.

Fast 400 Medien wurden verboten oder zensiert.

Fast die Hälfte der 188 Staaten mit Sitz bei der UNO verteidigen die staatliche Kontrolle der audiovisuellen Medien, vor allem das Staatsmonopol auf das Fernsehen. 20 von ihnen stehen auf der von Reporter ohne Grenzen geführten Liste der "Feinde des Internet": Sie kontrollieren die neuen Kommunikationswege durch Filter oder Zugangsbeschränkung zum weltweiten Datennetz. Gründe zur Hoffnung

In vielen Ländern hat sich die Situation der Pressefreiheit im Vergleich zum Vorjahr nicht oder nur unwesentlich verändert, in vielen ist sie schlechter geworden. Doch trotz der entsetzlichen Bilanz gibt es mehr zu berichten als die Zahl der ermordeten, inhaftierten oder bedrohten Journalisten: zum Beispiel eine deutliche Verringerung der Spannungen in Kambodscha, die Bereitschaft zum politischen Wechsel in in Kroatien oder der Slowakei, die mutigen und in dieser Form noch vor kurzem kaum vorstellbaren Demonstrationen für mehr Pressefreiheit im Iran. Und es gibt, in Lateinamerika, Indochina und vielen anderen Ländern, eine steigende Zahl unabhängiger Journalistenorganisationen, ein immer dichter werdendes Netzwerk für die Meinungs- und Pressefreiheit. Reporter ohne Grenzen wird weiterhin an und in diesem Netzwerk arbeiten.

Aus: Reporter ohne Grenzen aktuell: Pressemitteilung, Berlin, 27. 4. 2000 http://http://www.rog.at/news/2000/presse20000427a.html (Download vom 10.05.01)
Ausführliches Material zur Situation der Pressefreiheit finden sich auf den Internetseiten von Reporter ohne Grenzen http://www.reporter-ohne-grenzen.de
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