M 02.02 Öffentlichkeit und Journalismus
 


Deutsche Lokalredakteure gehen oft zu behutsam mit Veröffentlichungen zu Themen um, die zu Vorurteilen einladen, die Stammtischgeschwätz geradezu provozieren. Sie gehen auch mit der Veröffentlichung zu unpopulären Projekten oft zu behutsam um. Sie beugen sich häufig Argumenten, die besagen, daß eine verfrühte Veröffentlichung öffentliche und auch politische Gegenkräfte mobilisieren kann. Lokaljournalisten sehen sich vielfach in politischer Verantwortung, sie berichten taktisch klug, stellen Öffentlichkeit also erst dann her, wenn Mehrheiten gesichert oder Aufbegehren gegen die "vernünftige" Entscheidung sinnlos geworden ist.

Dagegen steht die Position, keine Stillhalteabkommen mit politisch Handelnden in Politik und Verwaltung einzugehen. Frühzeitige Information soll sachliche Diskussion ermöglichen. Redaktionen, die sich auf Stillhalteabkommen einlassen, liefern sich den Argumenten der politisch Handelnden aus, ohne zu wissen, ob deren Entscheidung nun wirklich der Stein der Weisen ist. Aufgabe der Journalisten ist, Öffentlichkeit herzustellen. Ihr Auftrag ist es nicht, den Vorhang vor politischen Bühnen geschlossen zu halten und hinter den Kulissen selbst Politik zu machen. Journalisten müssen recherchieren, müssen im Interesse der Leser und der Demokratie auch die andere Seite der Medaille beschreiben. Konflikte zwischen politisch Handelnden und Journalisten sind unvermeidlich.

Kennworte für unser demokratisches System sind Worte wie Pluralismus, Öffentlichkeit, balance of power. Balance of power meint: Keine Institution soll zu mächtig werden, soll zuviel zu sagen haben. Gleichgewichtsstörungen können demokratiegefährdend sein ...

Wenn Journalisten beispielsweise unkritisch das weitergeben, was Politiker sagen, werden sie zum unentgeltlichen PR-Arbeiter für die Parteien. Das Prinzip der Gegenrecherche darf nicht außer Kraft gesetzt werden. Es muß geprüft werden, ob der Politiker wirklich etwas sagt oder ob die Aussage nur seiner Selbstdarstellung dient. Zeitungen werden benutzt, wenn es ihnen an Selbstbewußtsein und am Konzept mangelt. Im Interesse der Sache Zeitung müssen Verlag, Chefredaktion und Redakteure eine Linie verfolgen. Zeitungen dürfen nicht kapitulieren vor der hochentwickelten Beschwerdekompetenz von Politikern und Parteien. Zeitungen in ihrer Verantwortung für Öffentlichkeit sind wichtige Träger der politischen Kultur. Sie dürfen sich nicht diktieren lassen, ob ein Thema und in welcher Form es ins Blatt kommt.

Drittens werden viele Lokalteile immer noch zu sehr für Eliten gemacht, für Honoratioren, für Amtsinhaber, Würdenträger und Vorsitzende. Das Selbstgespräch der Gesellschaft zu organisieren, schreibt der hehre Anspruch der Zeitung vor. Zeitungswirklichkeit ist aber oft nur das Selbstgespräch und die Selbstdarstellung der Amts- und Würdenträger. Journalisten müssen aber tagtäglich entscheiden, ob sie Themen öffentlich machen oder unterdrücken. Politik macht der Journalist allemal, auch wenn er sein Wissen zurückhält.

Dieter Golombek:" Wieviel Zeitung braucht die Demokratie?" in: Die Zeitung, Nr. 4/5, 1990, S. 11. Aus: Massenmedien. Hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn (Nov.) (=Informationen zur politischen Bildung 208/209, Neudruck) 1990, S. 8.
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