Text:
Schuluniform statt Lederjacke? (nach oben)
Leser, Fachleute und
Journalisten diskutieren
Wer zur Klassenclique gehören will,
muss heute "gestylt" sein. Doch das Marken-Diktat setzt Kinder wie
Eltern unter Druck. Könnte eine einheitliche Schulkleidung helfen?
Oder wäre das nur zwanghafte Gleichmacherei?
Pro: Ulrich Wickert, Moderator der
ARD-Tagesthemen
Uniformen stärken das
Gemeinschaftsgefühl
Die Einführung der "Uniform" an
Schulen könnte sinnvoll sein, wenn damit nicht die
militärische Uniform gemeint wird oder jene, die herausstellt,
dass man zu einer besseren Schule gehört. Statt dessen wäre
eine Schuluniform sinnvoll, die vom Äußeren ablenkt .
Heute wird auf Schüler, die nicht
die neueste, modernste Mode tragen, ein unglaublicher Gruppendruck
ausgeübt. Das führt vielfach dazu, dass sich derjenige, der
aus einem bescheideneren Haushalt kommt, entweder mit Gewalt von
anderen Jugendlichen die Kleidung besorgt, die notwendig ist, um
anerkannt zu werden. Oder die Schüler mit weniger wohlhabenden
Eltern fühlen sich durch die Mitschüler ausgesondert. Und
wozu dies führen kann, ist hinreichend bekannt.
Es haben sich sogar schon viele
Jugendliche hoch verschuldet, nur um die richtigen Klamotten zu tragen.
Auch für Eltern, die die Ansprüche ihrer Kinder nicht
befriedigen können, wird der Gruppendruck in der Schule zur
Belastung. Das Argument, mit der Kleidung drücke man seine
Individualität aus, zieht nicht. Denn dies bedeutet, den Ausdruck
von Individualität auf Wohlhabende zu beschränken. Das Wort
"Uniform" gebrauche ich in seinem ursprünglichen Sinn: eine Form.
Als ich in den fünfziger Jahren in
Paris eine französische Schule besuchte, wurde uns aufgetragen,
einen grauen oder blauen Kittel überzuziehen (und übrigens
auch Pantoffeln zu tragen!). Als Schüler glaubte ich, der Kittel
diene nur dazu, unsere Kleidung vor Tintenflecken zu schützen. In
Frankreich werden heute noch die Schülerinnen und Schüler
gebeten, nicht gerade in Uniform, aber uniform gekleidet zum Unterricht
zu erscheinen. Damit ist eine dezente Kleidung in Grau oder Blau
gemeint, die soziale Unterschiede verdeckt. Eine Uniform würde die
Erziehung zur Zusammengehörigkeit stärken, die den
Heranwachsenden Orientierung und einen Halt gäbe.
Kontra: Ingrid Stahmer (SPD), Berliner
Senatorin für Schule, Jugend, Sport
Zwang zur Einheit schadet nur
Wenn wir an unseren Schulen gegen durch
Marken-Jeans und Baseball-Caps geschürten Sozialneid vorgehen
wollen, dann reicht es nicht aus, eine Idee aus der Mottenkiste des 19.
Jahrhunderts zu kramen. Jugendliche lassen sich heute nicht mehr in
eine genormte Einheitskluft zwängen.
Nicht Faltenrock und Schulblazer
können sie davon abbringen, sich über reine
Äußerlichkeiten zu definieren. Sondern nur in einer Schule,
die mehr ist als reine Lernfabrik kann ein soziales Miteinander
eingeübt werden. Schule muss Lern- und Lebensort sein, der den
Schülern auch neben dem Unterricht in Arbeitsgemeinschaften, auf
Schul- und Sportfesten ermöglicht, ein Wir-Gefühl zu
entwickeln.
Es ist ein wichtiges Bildungsziel,
Schüler zu toleranten und selbstbestimmten Menschen zu erziehen.
Es wäre pädagogisch völlig verfehlt, dieses Ziel durch
Gleichmacherei und Einheitszwang erreichen zu wollen. Kinder sollten
früh lernen, dass nicht alle Menschen gleich aussehen müssen,
um gleichwertig zu sein. Seien wir doch mal ehrlich: Es ist heute eine
gesellschaftliche Tatsache, dass Kleidung, Autos oder das Handy
für viele dazu dienen, sich zu positionieren oder sogar eine
bestimmte Lebenshaltung auszudrücken. Ist das nicht auch eine Art
der Uniformierung? Die Schule sollte früh Möglichkeiten
eröffnen, sich mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen.
Es ist sehr viel sinnvoller, etwa die
Einheitsuniform der Clique zum Thema eines wertorientierten Unterrichts
zu machen, als die Schule zum Elfenbeinturm zu erklären.
Außerdem gibt es keine gesetzliche Handhabe, Schüler zum
Tragen einer bestimmten Kleidung zu zwingen. Auch die Finanzierung ist
völlig offen: Ohne private Sponsoren wären die
Einheitsklamotten schlicht nicht zu bezahlen. Wenn dann auf der Uniform
das Logo der sponsernden Turnschuhfirma prangt, wären wir da, wo
wir gerade nicht hinwollen.
Leser Diskutieren
Nur ein Umweg
Das Problem ist erkannt: eine
heranwachsende Generation, die ihre Identifikation erheblich in Äußer- und Oberflächlichkeiten sucht, die ihnen
vorgelebt werden. So weit, so gut. Was wäre dagegen zu tun? Durch
eine Schuluniform sollen die Schüler für rund 30 (von 168!)
Stunden die Woche aus diesem Zusammenhang gerissen werden. Somit werden
sie, ganz nebenbei, der Möglichkeit beraubt, über ihr
Aussehen auf Kollisionskurs mit dem Vorhandenen, vertreten durch die
Instanz Schule, zu gehen. Diesen Konflikt, der zur Ausbildung eines
eigenständigen Charakters notwendig ist, werden sie dann auf einem
Umweg und keinesfalls unkomplizierter austragen.
Und nach dem Schulgong werden Kinder und
Jugendliche dann schlicht in die Realität der Rollenmuster
entlassen. Die von einer gigantischen Mode- und Werbeindustrie
geprägt sind, die dann mit schrill-frechen Schuluniformen neue
Absatzgipfel erklimmt. Wir aber werden uns am Vormittag am
einheitlichen Anblick unserer Schüler erfreuen und, sobald es
dunkel ist, niemandem mehr die Tür öffnen.
Manfred G.
Nur ein Fahrrad
Ich schlage folgende
Vervollständigung der Uniformierung vor: standardisiertes
Schulfahrrad, identische Füllfederhalter, fielmannsches
Einheitsbrillenmodell. Ohne Zweifel: Bei Einhaltung obiger Auflagen
wird die Schule endlich wieder zu einem Hort der sozialen
Glückseligkeit. Schließlich vermittelt sie ja andere Werte
als jene unserer Gesellschaft. Hier geht es nicht um Prestige und
Status.
Abgrenzung des einzelnen findet, weil ja
doch notwendig, auf Basis absolut legitimer und objektiver
Leistungskriterien statt. Ganz im Mittelpunkt stehen dabei die
Neigungen des einzelnen, die es herauszufinden und optimal zu
fördern gilt. Und so sitzen die Schüler dem Lehrer aufmerksam
lauschend im harmonischen Klassenverband gegenüber - wäre da
nur nicht das aus einem externen Wertesystem eingedrungene Statussymbol
Markenkleidung. Also: Rettet die Schule durch Uniform-Pflicht!
Natürlich mit einem kleinen Namensschild. Oder wer ist die da in
Grau?
Sven M.
Nur ein Spiegel
Da mein zweijähriger Sohn Jasper
noch das Sprechen verweigert, konnte ich ihn bislang in ausgewaschene
Secondhandstrumpfhosen zwängen. Doch irgendwann wird auch er reden
und seine Armani-Socken einfordern. Also her mit der Schuluniform? Die
Antwort leuchtet mir nicht ein. Vielleicht, weil ich als Kind den
Konsumterror kaum gespürt habe, da ich die abgelegten Sachen
meiner fünf Geschwister trug und trotzdem glaube, ohne
größere psychische Störungen groß geworden zu
sein.
Vielleicht aber auch, weil ich einmal
ein halbes Jahr in einem englischen Internat eine grüne Schulkluft
mit gelben Streifen und beigefarbenen Socken und Schuhen getragen habe
und feststellte: Wer reich war und wer arm, war auch so jedem klar.
Schließlich gab es Haarspangen, Uhren, Ketten, Tornister,
Frisuren, an denen sich das Einkommen von Mami und Papi ablesen
ließ. Und es gab die Schulpullis in der Polyester- oder in der
Cashmerevariante. Vor allem aber hatten alle nach dem Unterricht nur
eines im Sinn: sich so schnell wie möglich in ihre
Röhrenjeans zu zwängen, in ihre Miniröcke und
Pömps. So dass die Eltern doppelt zahlten: für die Uniform
und die normale Kleidung.
Vielleicht ist mein Sohn noch zu klein
und ich zu unrealistisch. Aber statt die Kinder zwangszuuniformieren,
sollten wir erst mal selbst aufhören, uns mit dem neuen Golf, den
Ferien auf Teneriffa, dem Notebook auszustechen. Schließlich sind
die Kinder nur der Spiegel. Entweder wir verändern uns und unser
Wirtschaftswunderland radikal, oder wir stecken uns selbst in
Uniformen. Aber die haben uns noch nie gut gestanden.
Ursula H.
E-Mail Corner
Da die Kinder nicht nur zu Hause und in
der Schule leben, sondern auch noch in der Freizeit auf andere
Konsumsüchtige treffen, ändert eine Schuluniform nichts am
Symptom. Es wird lediglich aus der Schule in den Freizeitbereich
verlagert. Das Problem zu lösen, heißt die Gesellschaft als
ganze von jeglicher Sucht zu befreien. Dies würde etwa für
die Werbung bedeuten, dass künftig nur noch nachweisbare
Leistungen angepriesen werden dürfen, die sich auf objektive
Informationen beschränken. "Genuß", "Lust" und so weiter
sind nicht objektiv. Nur so kann das eigentliche Problem angegangen
werden: die Sucht und unsere süchtige Gesellschaft.
Stefan M.
Zitiert
Früher ging es in der Schule darum,
etwas zu lernen. Heute können unsere Kinder nicht mehr lesen,
rechnen und schreiben, dafür aber alle Turnschuhmarken und
Popstars auswendig. Vielleicht würde die gute alte Schuluniform
dazu beitragen, dass sich zumindest in der Schule wieder auf das
Wesentliche besonnen wird.
Hugo K.
Warum wollen wir nur nichts von unseren
Nachbarn lernen? In Frankreich und Großbritannien gehen Kinder
traditionell in Uniform zur Schule. Der Akzeptanz für den anderen
war das in diesen von Toleranz geprägten Ländern offenbar
alles andere als abträglich.
Melanie P.
(Quelle: Sonntagsblatt: Schuluniform
statt Lederjacke?, 21.11.1997, http://www.sonntagsblatt.de/1997/47/47-deb.htm#aktuelledebatte,
abgerufen am 03.11.2006.)
www.chrismon.de
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