[Die nachfolgende
Texterörterung zu Christine Brincks Text "Steckt die Schüler
in Uniform " ist nach dem so genannten Reißverschlussprinzip
aufgebaut und folgt überwiegend einer textsukzessiven
Bearbeitungsstrategie .]
A. Einleitung
Das äußere Erscheinungsbild
von Jugendlichen in der Schule ist, so scheint es, mittlerweile eines
der Standardthemen, mit denen die "politikarme" Haupturlaubszeit mehr
oder weniger regelmäßig aufwartet. Ist es einmal das
Piercing, dann sind wieder die Markenklamotten dran, oder irgendjemand
stößt mit seinen kritischen Anmerkungen über die
"bauchfreie" Mode der Schülerinnen eine "hitzige" Debatte an.
Nicht selten münden solche, meist im Sommerloch geführten
Diskussionen im Ruf nach der Einführung von Schuluniformen.
In ihrem Kommentar „Steckt Schüler in Uniform!“, der
am 12.11.1993 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist, geht es
Christine Brinck um das Thema Schuluniformen. Sie stellt dar, welche
Gründe für die Einführung von Schuluniformen in
Deutschland sprechen und wendet sich mit ihren Ausführungen an die
Leser der Zeitung und damit an die interessierte Öffentlichkeit.
B. Hauptteil
Christine Brinck stellt die
Behauptung auf, die Schuluniform fördere die demokratische
Gesinnung in der Schule. Zur Begründung führt sie an, dass
dadurch der Einschüchterung sozial Schwächerer durch die
Kinder wohlhabender Eltern in der Schule wirksam Einhalt geboten werden
könne.
Hier greifen die Überlegungen der
Autorin meines Erachtens aber deutlich zu kurz und können nicht
uneingeschränkt Gültigkeit beanspruchen .
Auch wenn wohl anzunehmen ist, dass Christine Brinck mit ihrer
Argumentation nicht ausdrücken will, dass Schuluniformen die
soziale Ungleichheit in der Schule einebnen, so glaubt sie doch, dass
das Mobbing sozial schwächerer Schülerinnen und Schüler
wegen ihrer Kleidung, dadurch deutlich verringert werden könne.
Selbst wenn man dieser Argumentation noch zustimmt, so muss man
einwenden, dass Schuluniformen schließlich an der großen
sozialen Ungleichhheit nichts ändern, die die Quelle darstellt,
aus der sich derartiges Mobbing speist. Und so ist meines Erachtens zu
erwarten, dass sich zwar der konkrete Gegenstand des Mobbing
ändern oder verlagern wird, während ihre Opfer die gleichen
bleiben. Hier müsste die hinter den Schuluniformen stehende
Kleiderordnung wohl noch weitaus weitreichendere Regeln aufstellen, so
ähnlich wie die Autorin dies von amerikanischen
Großstadtschulen berichtet. So müssten in letzter Konsequenz
sämtliche Objekte, die sich als Statussymbole eignen, aus der
Schule verbannt werden. Dazu zählen z. B. neben Schmuck, anderen
Abzeichen, natürlich auch Handys und mp3-Player. Was im
Übrigen mit der teuren Designer-Brille geschehen soll, die doch
ihren Träger auch befähigen könnte, sich über den
ein einfaches Kassengestell auf der Nase tragenden Mitschüler zu
erheben, sei nur als Problem angedeutet. Und wenn nicht auf dem
unmittelbaren Schulgelände, dann eben auf dem Schulparkplatz: Wie
soll sich der Drahteselfahrer vor den Hänseleien eines
Mitschülers schützen, der schon einen Tag nach dem Erwerb des
Führerscheins am Steuer eines nagelneuen Cabrios in der Schule
erscheint? Wie es Schuluniformen, völlig übertrieben als
"Gleichmacher im besten Sinne des Wortes" bezeichnet, gelingen
soll, ihren Trägern zu vermitteln, wie "Demokratie auf höchst
sinnfällige Weise gelebt und gelernt werden kann", ist mir
unbegreiflich. Denn Demokratie besteht ja gerade in der Teilhabe aller.
Die betroffenen Schüler und ihre Interessen kommen aber in den
Ausführungen von Christine Brinck überhaupt nicht vor. Zudem
werden demokratische Werte wie Selbstbestimmung, Mehrheitsprinzip,
Gerechtigkeit usw. gewiss nicht mit der Einführung von
Schuluniformen gefördert, sondern mit einer
altersgemäßen Befähigung, ein selbstbestimmtes Leben in
einer freien Gesellschaft zu führen.
Christine Brinck behauptet ferner,
dass die Schule "ein besonderer Ort" sei, "für den man sich auf
besondere Weise vorbereitet." Die allgemein geringe gesellschaftliche
Wertschätzung von Schule heutzutage lasse sich auch an der am
Freizeitlook orientierten Kleidung von Schülern und Lehrern
erkennen. Während man sich beim Besuch in einem erstklassigen
Restaurant in Schale werfe und dem Auszubildenden einer Bank
Businesskleidung abverlange, signalisiere - dies bleibt allerdings
unausgesprochen - der von Modetrends und Freizeitlook geprägte
Kleidungsstil, dass Schule von den Beteiligten nicht in der Weise wahr-
und ernst genommen werde, wie es sein sollte.
Es ist bemerkenswert, welchen Nachdruck
die Autorin diesen Ausführungen durch ihre Vergleiche mit dem
Businessstil eines Bankangestellten und dem Besuch eines
Dreisterne-Restaurants gibt. In der Tat: "Kleidung signalisiert
Einstellung." So und genauso will unsere Gesellschaft, die ihre
Produkte an den Mann und die Frau bringen will, Kleidung verstanden
wissen. Jeder soll seinen eigenen "Style" entwickeln und aus dem
vieltausendfachen Angebot zusammenbasteln. Und ein wesentlicher Teil
dieses "Styles", der in unserer Gesellschaft die Sehnsucht nach
unverwechselbarer Individualität kanalisiert, ist nun einmal
über Kleidung vermittelt. Dies mag man begrüßen oder
ablehnen, hinwegreden lässt es sich freilich nicht. Dass
darüber hinaus in bestimmten Geschäftszweigen wie z. B.
Banken, aber keineswegs nur dort, bestimmte "Kleiderordnungen" erwartet
werden, hat naturgemäß mit der Signalwirkung des
Businessstils zu tun, mit dem man die Seriosität und
Verlässlichkeit des eigenen (geschäftsmäßigen)
Angebots unterstreichen will. In der Schule aber wird nichts verkauft,
in der Schule muss nichts um des eigenen wirtschaftlichen Vorteils
signalisiert werden. Wenn Kleidung auch in der Schule Einstellung
signalisiert, dann tut sie das auf zweierlei Weise. Das Respektieren
des individuellen Kleidungsstils des Einzelnen signalisiert den Respekt
der Schule vor der Persönlichkeit des einzelnen und seiner
Freiheit zur Selbstbestimmung in einem Bereich, der längst, nicht
zuletzt durch die kommerziellen Interessen der Textilindustrie, zu
einem ganz wesentlichen Bestandteil von Ich-Identität geworden
ist. Auch wenn sich dadurch Probleme ergeben, spiegelt die Schule nur
das wieder, was es in der Gesellschaft sonst eben auch gilt.
Gerade diesem Gedanken scheint
Christine Brinck grundsätzlich zu widersprechen. Sie lehnt ab, die
Schule als Verlängerung des außerschulischen Lebens der
Jugendlichen zu begreifen. Schule, so stellt sie fest, sei ein
besonderer Ort, einem Arbeitsplatz vergleichbar. Daher müssten, so
folgert sie daraus, auch bestimmte Regeln gelten, die ein
vernünftiges Miteinander erst möglich machten. In diesem
Zusammenhang komme auch den Schuluniformen eine große Bedeutung
zu. Wer sie trage, so behauptet Christine Brinck, zeige damit, dass er
einen besonderen Ort mit besonderen Regeln betrete.
Dagegen lässt sich jedoch
einwenden, dass eine Schule, deren besondere Bedeutung sich nur oder
auch nur hauptsächlich über solche erzwungenen
Äußerlichkeiten vermittelt, wohl kaum dazu geeignet ist, die
innere Motivation der Schüler zum Lernen zu erhöhen. Und die
Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland in ihrer bisherigen
Geschichte ganz gut ohne Schuluniformen ausgekommen ist, hat nun
beileibe nicht dazu geführt, dass in der Schule Chaos herrsche,
wie die Autorin unterstellt. Aber in der Tat, eines hat sich
hoffentlich geändert: Die Schüler werden heute mehr und mehr
als Vertragspartner gesehen, mit denen gemeinsam jene Vereinbarungen
getroffen werden, die das Miteinander in ihrer Institution regeln. Ein
gutes Beispiel dafür sind die vielerorts schon zustande gekommenen
Schulordnungen, die auf der Basis einer Art vertraglicher, in jedem
Falle aber gegenseitiger Absprache aller Beteiligten entsprechende
Regelungen schaffen. Im Übrigen: Sollte es bei solchen Absprachen
auch zu einer nach demokratischen Prinzipien getroffenen Vereinbarung
über die Einführung von Schuluniformen kommen, wäre dies
durchaus akzeptabel. Erst dann könnte meines Erachtens ein
positiver Effekt von Schuluniformen auf die Identifikation von
Schülern mit ihrer Schule ausgehen. Dabei käme aber gewiss
auch der "modischen" Gestaltung und einer möglichen modischen
Anpassung solcher "Uniformen" in bestimmten Zeiträumen
großes Gewicht zu. Schließlich sollen Schuluniformen ja
nicht das (modische) Zeitgefühl der Ahnen ausdrücken, die
Jahre zuvor die Bank in der gleichen Schule gedrückt haben,
sondern die Identifikation der jeweils aktuellen Schülergeneration
mit "ihrer" Schule ermöglichen. Da Identifikation aber auch stets
sehr konkret sein muss, ist auch aus diesem Grunde eine andere als
schulspezifische Schulkleidung kaum denkbar. Und ob eine derartige
Schulkleidung von Kopf bis Fuß reichen muss, ist ohnehin
umstritten und zuguterletzt sogar mehr als eine Frage des Geschmacks.
Wenn man z. B. berücksichtigt, dass viele junge Mädchen
heutzutage aus Modegründen (weibliches Schönheitsideal) sich
kaum mehr zutrauen, einen Rock zu tragen, käme eine Schulkleidung
nach englischem oder gar japanischem Vorbild mit Bluse und Kostüm
fast einer Diskriminierung gleich.
C. Schluss
Trotz der wirklich interessanten
Erfahrungen, die amerikanische Highschools mit Schuluniformen gemacht
haben, halte ich die Forderung von Christine Brinck, nicht zuletzt
wegen der besonderen deutschen Situation im Umgang mit Uniformen in der
Vergangenheit für bedenklich. Auf längere Sicht gesehen
glaube ich auch nicht, dass Schuluniformen eine höhere
Lernmotivation und besseres Sozialverhalten erzeugen. Hier müssen
meines Erachtens andere Maßnahmen ergriffen werden, die das
schulische Lernen grundlegend verändern. Wir brauchen eine neue
Lernkultur, die Selbstverantwortlichkeit im sozialen Miteinander aller
Beteiligten in den Vordergrund stellt. Und eine Schule, die sich in
dieser Weise profilieren kann, wird die dann sicher geringer
ausfallenden Disziplinprobleme nicht mit Schuluniformen zu
bekämpfen haben.
(Quelle: teachSam: Christine Brinck:
Steckt die Schüler in Uniform, http://www.teachsam.de/deutsch/d_ubausteine/schr_ub/txteroert_ub/tero_txt_5_ub_11.1.htm,
abgerufen am 13.11.2006.)
www.teachsam.de
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