Informationstext 05 Wolfgang Clement: Für Toleranz und Zivilcourage - Gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit

[...] Es geht darum, wie wir jedem Fremdenhass und aller Gewalt entschieden und so wirkungsvoll wie möglich entgegentreten können. Denn wir dürfen und wir wollen nicht hinnehmen, dass Menschen in unserem Land beleidigt, eingeschüchtert, bedroht, angegriffen und verletzt oder gar ermordet werden. Ich erinnere an das schreckliche Verbrechen im Juni, bei dem drei junge Polizeibeamte in unserem Land ermordet wurden.
Ich erinnere an den gemeinen Anschlag, der hier in Düsseldorf in diesen Sommerwochen 10 Menschen, die in unserem Land ihre neue Heimat nehmen wollten, zum Teil schrecklich schwer verletzt hat, eine hinterhältige Tat, die leider noch nicht aufgeklärt werden konnte; ich bin aber überzeugt, dass unsere Strafverfolgungsbehörden das ihnen Mögliche tun, um den oder die Täter zu fassen, damit sie zur Rechenschaft gezogen werden können. Ausländer waren von Gewalttaten der letzten Zeit in erster Linie betroffen, aber auch Behinderte, Homosexuelle und Obdachlose, kurz: Minderheiten.
Damit dies niemand überhört: Wir werden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln des demokratischen Rechtsstaates gegen rechtsradikale Parolen und menschenverachtende Gewalt vorgehen. Das hat die Landesregierung gestern in ihrer ersten Sitzung nach der Sommerpause bekräftigt, ich zitiere aus unserem Beschluss nur zwei Punkte:
"Die Landesregierung wird unter Ausnutzung aller repressiven Mittel durch Polizei, Verfassungsschutz und Justiz den Verfolgungsdruck auf rechte Straf- und Gewalttäter erhöhen. Die Landesregierung wird alle präventiv wirkenden Maßnahmen - insbesondere der politischen und schulischen Aufklärung sowie der Jugend- und Sozialarbeit weiterentwickeln."
Mit einem ganzen Maßnahmenbündel versuchen wir gemeinsam mit den Schulen, mit den Trägern der Jugendhilfe, der Polizei und vielen anderen bereits seit Jahren, Gefährdungen durch Gewalt und Fremdenfeindlichkeit zu begegnen. Ein interministerieller Ausschuss wird diese Aktivitäten künftig koordinieren.
Die fremdenfeindlichen, gewalttätigen Ausschreitungen der letzten Wochen sind aber nicht nur ein Angriff gegen die Opfer, sie sind auch ein "Schlag gegen die Demokratie", wie Paul Spiegel es ausgedrückt hat. Ich möchte hinzufügen: Was wir an Gewalt und Fremdenfeindlichkeit in den letzten Wochen erlebt haben, macht deutlich: Der zivile Konsens zeigt zumindest in einigen Bereichen unserer Gesellschaft bedrohliche Ermüdungserscheinungen.
Dem müssen und wollen wir mit allen Menschen guten Willens entgegenwirken, und ich greife gern auf, was ich von verschiedenen Seiten gehört habe: Wir wollen dies natürlich auch über die Grenzen der demokratischen Parteien hinaus gemeinsam tun.
Wo liegen die Ursachen für Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, was kann dagegen getan werden?
Professor Heitmeyer wird uns dazu gleich einiges sagen. Denn es hat ja in der Vergangenheit - in den 80er und dann wieder Anfang der 90er Jahre - ebenfalls traurige Anlässe gegeben, sich mit diesem Thema intensiv - auch seitens der Wissenschaft - zu beschäftigen.
Ich will dem nicht vorgreifen, sondern auf ein Problem hinweisen, das mich in diesem Zusammenhang besonders beschäftigt:
Dass das Leben und die Würde unantastbar sind, gilt für alle Menschen ohne jede Ausnahme.
Dem breiten und - davon bin ich überzeugt - letztlich stabilen Konsens ziviler Grundregeln und umfassender Humanität in unserer demokratischen Gemeinschaft setzen die Protagonisten der Gewaltszene einen zunehmend enthemmten Hass entgegen.
Da reicht es nicht, sie immer noch auch als nur Irregeleitete anzusehen, die sich einen falschen Reim auf vermeintlich schlechte Verhältnisse machen: Auf den Fall der Mauer, den Stress der Wiedervereinigung, auf fehlende Lehrstellen und drohende Arbeitslosigkeit.
Es ist hoch an der Zeit, diejenigen, die Gewalt und Hass predigen und danach handeln, als verantwortliche Subjekte ihrer Worte und Taten und damit als erklärte Gegner der offenen, demokratischen Gesellschaft in den Blick zu nehmen und sie als das zu bezeichnen, was sie sind: Kriminelle, die zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Ich will auch dies sagen: Wenn Schüler vor laufenden Kameras ohne jede Scheu verkünden, sie hielten Ausländer nicht für Menschen und fänden die Teilnahme an Treibjagden gegen vermeintlich Andersartige "geil", dann müssen wir alle aufschrecken. Unaufgeklärt sind sie nicht - aber offensichtlich haben sie die Aufklärung als Grundlage unserer Gesellschaft aggressiv verworfen.
Stillschweigende Duldung darf es nicht mehr geben. Wenn es um Menschenrechte geht, gibt es bei uns keine Narrenfreiheit. Das müssen auch alle jungen Leute lernen.

Nebenbei bemerkt: Ich frage mich auch, ob immer alles gesendet werden muss...

Natürlich weiß ich selber, dass man Mitläufer, harte Ideologen und Täter der Gewaltszene nicht über einen Kamm scheren darf, dass bei den einen durchaus sozialpädagogische Maßnahmen helfen können, bei den anderen nur die ganze Härte des Gesetzes angebracht ist.
Solche Differenzierungen sind notwendig, aber das ist jetzt nicht mein Punkt.
Wenn die Wachsamkeit gegenüber Gewalt und Ausländerfeindlichkeit bei uns kein Strohfeuer bleiben soll, dann muss sich die demokratische Öffentlichkeit wieder stärker als bisher der fortdauernden Gefährdung ihrer Grundlagen bewusst werden.

Das heißt:

Lassen Sie mich noch einen weiteren Gedanken anschließen:
Wirtschaft und Sport in einer immer enger zusammen wachsenden Welt leben von Toleranz und Integration, sind geprägt vom Miteinander, von Menschen unterschiedlicher Nationen, Einstellungen und sozialer Herkunft.
Das zeigen beispielsweise die Bundesligaclubs hier im Westen mit ihren aus weit über 20 verschiedenen Nationen stammenden Spielern.
2006 wird die Fußball-WM bei uns stattfinden. Ich wünsche mir, und werde das Meine mit allem Nachdruck dazu beitragen, dass alle ausländischen Teilnehmer und Gäste gern zu uns kommen und dass sie sich bei uns sicher fühlen.
Hass gegen Ausländer verkennt auch, dass Erfolge der Wirtschaft in Deutschland ohne Menschen anderer Nationen nicht möglich wären.
So verkauft Opel beispielsweise fast zwei Drittel seiner Fahrzeuge an Kunden im Ausland. Bei Opel arbeiten neben rund 38.000 deutschen Staatsbürgern zudem über 5.000 Menschen aus mehr als 40 Nationen. Überdies sind Toleranz und die Sicherheit ausländischer Mitbürger eine wichtige Voraussetzung für ausländische Investoren in Deutschland, die zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen bei uns entscheidend beitragen.
Die weitaus meisten Menschen in unserem Land wissen das. Das Lebensgefühl der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ist ein demokratisches. Viele sind zur Übernahme von Verantwortung bereit und treten engagiert für das Gemeinwohl ein. Das haben die Reaktionen in der letzten Zeit deutlich gemacht.
In nicht wenigen Kommunen haben sich spontan Bürgerinnen und Bürger zusammengeschlossen, um gemeinsam Position für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit zu beziehen. Dabei sind viele junge Menschen, die sehr sensibel und empört auf Unrecht und Gewalt reagieren. Wir wollen mit dem "Bündnis für Toleranz und Zivilcourage" alle Kräfte in unserem Land stärken und unterstützen, die Fremdenhass und Gewalt bei uns nicht zulassen wollen, die Nazi-Kopien und Schlägertrupps, die es darauf anlegen, andere Menschen einzuschüchtern und zu verletzten, auf unseren Straßen und Plätzen nicht ertragen wollen. Das muss meiner Meinung nach ein wesentliches Ziel unserer Verabredungen am Ende der Veranstaltung sein.
Mir geht es darum, konkrete Verabredungen zu treffen, um allen in unserem Land deutlich zu machen: Wir werden nicht zulassen, dass Menschen bei uns durch Gewalt, Beleidigung oder Diskriminierung verletzt werden. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, sich mit uns gegen rechtsradikale Parolen und fremdenfeindliche Gewalt zu wehren. Ein solches Signal könnte von hier ausgehen, wenn wir alle - Kirchen, Wirtschaft und Gewerkschaften, Parteien, Verbände und Vereine - im Schneeballsystem jeweils unsere Mitglieder zum Mitmachen gewinnen.
Ich wünsche mir, dass eine Welle der Toleranz und Zivilcourage durch unser Land rollt, so dass Fremdenfeindlichkeit und Gewalt bei uns endlich und endgültig keine Chance mehr haben.

(aus: Wolfgang Clement, "Für Toleranz und Zivilcourage - Gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit", beim Stadttorgespräch in Düsseldorf am 16.8.2000, Presseamt der Landesregierung)